Schweiß, Schlamm und Endorphine. Iris Hadbawnik
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Das Phänomen Extrem-Hindernislauf – auch Obstacle Course Race (OCR), Hindernislauf, Survival-Run, Mud Race, Mud Run (also: Matschrennen) oder Extrem-Crosslauf genannt – hat sich in den letzten Jahren wie ein Lauffeuer verbreitet. Seit der Premiere des ersten kommerziellen Rennens – dem Tough Guy Race, also dem Rennen für harte Kerle – im Januar 1987 in England, hat sich das Konzept dieser Erfolgsgeschichte unaufhaltsam in alle Welt ausgebreitet. Dabei wollte der ehemalige britische Soldat Billy Wilson, der in der Szene besser als Mr. Mouse bekannt ist, mit einem Charity-Event lediglich einen Gnadenhof für Pferde finanziell unterstützen.
Wilson, der zuvor Trainingscamps für die Grenadier Guards, ein Regiment der Britischen Armee, entworfen hatte und dem das normale Marathon-Laufen einfach zu langweilig geworden war, hatte die Idee, jene Art von Militärcamps auf den zivilen Bereich zu projizieren und im Rahmen eines Crosslaufs mit zunächst einfachen natürlichen Hindernissen anzubieten. Niemand konnte damals auch nur im Geringsten erahnen, welchen Hype er damit auslösen würde.
Allein an den Teilnehmerzahlen des Tough Guy lässt sich ablesen, wie diese Idee praktisch in Windeseile in der Ausdauerszene die Runde machte. Von anfänglich knapp 100 Läufern stieg die Zahl mit jeder Berichterstattung und mit jeder Verschärfung des Hindernisparcours sprunghaft an. Heute liegt das Teilnehmerlimit des Rennens bei 7.000 Läufern. Dabei gilt der Tough Guy bis heute als einer der schwierigsten Läufe der Welt und wurde bis vor wenigen Jahren als die inoffizielle Weltmeisterschaft unter den Extremläufen gehandelt. Auf einer Strecke von aktuell 15 Kilometern müssen mehr als 200 teils anspruchsvolle Hindernisse, mit einer Höhe von bis zu 20 Metern, überwunden werden. Da kann es auch schon mal vorkommen, dass man kurz nach dem Start eine Güllegrube passieren muss oder beim Tauchen im winterlichen Gewässer mit dem Kopf gegen eine Eisscholle knallt. Die Härte dieses Rennens belegt auch die Finisher-Quote, die derzeit bei rund 50 Prozent liegt. 2015 kamen bei 5.500 Startern lediglich 2.800 erfolgreich über die Ziellinie. Demnächst werden es noch weniger Finisher sein. Am 29. Januar 2017 wird der Tough Guy nämlich wohl leider zum letzten Mal stattfinden.
WIE KOMMT MAN AUF DIE IDEE, SICHEINER HERAUSFORDERUNG WIE DEM TOUGH GUY RACE ZUSTELLEN?
Im Falle von Sebastian Menck (Jg. 1995) war es purer Zufall. Der mittlerweile 21-Jährige ist seit über zwei Jahren in der OCR-Szene aktiv, lief äußerst erfolgreich verschiedene Wettkämpfe und hat sich für Anfang 2017 das Tough Guy Race als besonderes Ziel gesetzt:
»Den ersten Kontakt zum Trailrunning hatte ich bereits im Internat in England, wo ich für einige Zeit zur Schule ging. Unter dem Namen ›Crosscountry‹ wurde hier querfeldein gelaufen. Die Gegend um North Yorkshire eignet sich perfekt dafür. über große Wiesen geht es dauerhaft bergauf und bergab. Steinmauern begrenzen hier die Felder und stellen optimale Hindernisse dar. In dieser ländlichen Umgebung gibt es praktisch nur diese Art des Laufens, denn asphaltierte Straßen sind rar.
Zurück in meinem Internat in Deutschland, dem Kurpfalz Internat nahe Heidelberg, meldete ich mich für das einzigartige Projekt »Extrem-Hindernislauf« an, welches dort seit einiger Zeit für die Schüler des Internats angeboten und vom Extremsportler Raffael Zeller geleitet wird. Mit meinen Erfahrungen aus England war ich schnell überzeugt und brannte für das spezielle Training. unter Raffaels professioneller Anleitung eigneten wir uns grundlegende Techniken zur schnellen und effektiven Fortbewegung im Gelände an. Die Herausforderungen, denen ich mich hier stellen musste, waren völlig neue. Die steilen Berge, die kalten Flüsse und die dichten Wälder im Raum Heidelberg verlangen einem Anfänger alles ab. Dazu kam der Nervenkitzel, denn die Projektgruppe »Extrem-Hindernislauf« fand immer abends nach Einbruch der Dunkelheit statt. Nur mit Stirnlampen bewaffnet, ging es über Wiesen und durch die dunklen Wälder. Fernab von Häusern und Wegen hat uns Raffael die Berge hinauf- und wieder hinuntergepusht. Durch Hunderte Liegestütze erreichte jeder von uns seine eigene Leistungsgrenze und wuchs über sich hinaus. Stück für Stück fühlte sich das Laufen auf einmal viel einfacher an. Nicht weniger fordernd, doch durch die Kälte, durch die Feuchtigkeit und den schweren Matsch an den Füßen wurde es zur Normalität. Dieser rohe, extrem fordernde Sport faszinierte mich immer mehr. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich nie gedacht, dass dieses Training der Anfang meines Weges in die OCR-Szene sein würde. Nach der jährlichen Feuertaufe, dem 23 Kilometer langen Querfeldein-Abschlusslauf der Projektgruppe, entschied ich mich endgültig, an einem ersten OCR-Wettkampf teilzunehmen. Vor dem Start war ich sehr nervös – hätte es aber nicht sein müssen, weil ich durch Raffael optimal auf das Rennen vorbereitet wurde. Nach diesem ersten erfolgreichen Wettkampf, dem Spartan Sprint in München, erlag ich vollends dem Bann des Extrem-Hindernislaufens. Nun folgte ein Wettkampf auf den nächsten, und durch die Zusammenarbeit mit dem Onlinemagazin androgon. com wurde dieses Hobby bis heute zu meiner großen Leidenschaft. «
KURZER AUSFLUG IN DIE HISTORIE: EXTREM-HINDERNISLAUF DAMALS UND HEUTE
Wer sich Bilder und Aufnahmen von Extrem-Hindernisläufen anschaut oder schon an einem solchen Rennen teilgenommen hat, fühlt sich in Szenen von Filmen wie Full Metal Jacket von Stanley Kubrick (1987), Ein Offizier und Gentleman von Taylor Hackford (1982) oder 300 von Zack Snyder (2006) hineinversetzt. Es gilt, mit lautem Gebrüll in den Wettkampf zu starten, Herausforderungen zu meistern, den Anweisungen eines Drill Instructors Folge zu leisten, gegen »Gladiatoren« zu kämpfen und Hindernisse zu bewältigen, die jeder Militärausbildung alle Ehre erweisen würden. Denn genau hier findet sich der Ursprung der Idee zu Tough Guy und Co.
Während sich seit der Antike bis zum späten Mittelalter die feindlichen Heere in der Kriegsführung vor allem in starren Formationen auf dem Schlachtfeld gegenüberstanden und bekämpften, änderte sich Ende des 19. Jahrhunderts diese Taktik durch den Einsatz von Feuerwaffen und Artillerie. Dies vor allem wegen der hohen Verluste an Soldaten. Seitdem kam es zu einem Umdenken der Militärs und zur Einführung der sogenannten »asymmetrischen Kriegsführung«, bei der sich die Soldaten im feindlichen Gelände den schwierigen örtlichen Bedingungen anpassen mussten und sich zusätzlich tarnten. Ziel war es, dadurch möglichst hinter die feindlichen Linien zu gelangen und den Gegner aus dem Hinterhalt zu bekämpfen. Dabei ging es für die Soldaten samt Waffe und Gepäck über Stock und Stein, über natürliche, aber auch feindliche Hindernisse jeder Art. Egal ob Wassergräben, Wände und Mauern, Panzersperren oder Stacheldrähte – das schnellstmögliche Bewältigen der Barrieren war schlichtweg lebensnotwendig, um nicht vor die feindlichen Geschütze zu geraten.
Sportler überwinden beim OCR zum Teil martialische Hindernisse. Hier beim Getting Tough –The Race 2015.
Also versuchte man in den Kasernen, die Soldaten bestmöglich auf ihren Einsatz vorzubereiten. Spätestens jetzt kamen die Hindernisbahnen ins Spiel. Hier lernten die Männer neben Ausdauer, Beweglichkeit und Kraft auch die lebensrettende Schnelligkeit im Gelände. Sie perfektionierten den Wechsel zwischen aufrechtem Lauf und der niedrigsten Gangart, dem Krabbeln oder Robben, sowie dem Bewältigen der Hindernisse. Da man sich unaufhörlich auf den verschiedenen Ebenen bewegen und der Körper immer wieder auf einen neuen Impuls reagieren musste, bedurfte dies einer sehr hohen körperlichen Fitness. Diese Trainingseinheiten wurden mit einfachen Worten befohlen: »Dran! Drauf! Drüber!« Bis heute gelten diese Worte als Schlachtruf der Infanterie (Panzergrenadiere).
Noch heute ist die Hindernisbahn ein fester Bestandteil der Grundausbildung in deutschen, aber auch europäischen Kasernen. Die Hindernisbahn – kurz auch H-Bahn, HiBa oder Sturmbahn genannt – ist eine militärische Ausbildungsanlage, die Körperkraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Schnelligkeit der Soldaten schulen soll. Im Prinzip ist sie mit einem militärischen Zirkeltraining vergleichbar, aber bei vielen Soldaten eher gefürchtet als geliebt. Wer sich bis zur Bundeswehrzeit weniger um seine körperliche Fitness gekümmert hat, der wird die Hindernisbahn eher als notwendiges Übel betrachten. Bei anderen, wie auch bei mir, kann die HiBa aber auch den Beginn