Mögest Du glücklich sein. Laura Malina Seiler

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Mögest Du glücklich sein - Laura Malina Seiler

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hatte, was mich erwarten würde. Mein kleines Zimmerchen war ausgestattet mit einem Bett und einem kleinen Nachttisch. Jeder Tag lief gleich ab:

      4:00 Uhr aufstehen, 4:30–6:00 Uhr meditieren, Frühstück, 8:00–9:00 Uhr meditieren, kurze Pause, 9:00–11:00 Uhr meditieren, Mittagessen, 13:00–14:30 Uhr meditieren, kurze Pause, 14:30–15:30 Uhr meditieren, kurze Pause, 16:00–17:00 Uhr meditieren, Abendessen, 16:00–19:00 Uhr meditieren, 19:00–20:00 Uhr Diskurs, 20:00–21:00 Uhr meditieren und ab 21:00 Uhr schlafen.

      Langsam dämmerte es mir, dass das vielleicht doch ziemlich lange zehn Tage werden würden, aber ich war immer noch voller Vorfreude auf die Zeit und dachte mir, dass ich ja jetzt schon seit mehreren Jahren täglich meditierte und es mit Sicherheit eine wunderbar entspannte Zeit werden würde.

      Der erste Tag lief super. Ich saß hoch motiviert morgens um 4:30 Uhr in der Meditationshalle und war bereit, das Beste aus den zehn Tagen herauszuholen. Es war anfangs merkwürdig, mit niemandem sprechen zu dürfen, und ich spürte, wie mein Geist im Laufe des Tages anfing, sich selbst mit den merkwürdigsten Gedanken zu beschäftigen. Wenn man plötzlich nur noch mit sich selbst zu tun hat, beginnt der Geist, sich zu verselbstständigen, und plötzlich scheint alles wesentlich dramatischer, als es in Wirklichkeit ist. Ein bisschen so, wie wenn einem nachts plötzlich einfällt, dass man am nächsten Tag noch eine wichtige E-Mail schreiben muss, und diese E-Mail auf einmal die Wichtigkeit einer Präsidentschaftswahl bekommt.

      Am Abend des ersten Tages, während des Diskurses, bei dem die Teilnehmer die Theorie von Vipassana erklärt bekamen, erfuhr ich, dass Vipassana die von Buddha entwickelte Technik ist, durch die er erleuchtet wurde. Das Wissen über Vipassana war fast 2500 Jahre in Birma von buddhistischen Mönchen in seiner ursprünglichen Form erhalten worden, während es überall sonst auf der Welt verloren gegangen war. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts fing die Lehre von Vipassana an, sich durch den Lehrer S. N. Goenka wieder in der westlichen Welt zu verbreiten.

      Buddha gelang es damals, durch Vipassana all sein Leid aufzulösen und frei zu sein von menschlichen Ängsten und Sorgen. Erleuchtung klingt super, dachte ich mir. Frei zu sein von allem Leid wäre auch fein. Natürlich hatte die Sache einen klitzekleinen Haken. Wäre Erleuchtung so einfach zu erlangen, hätten wir sie wahrscheinlich alle bereits. Denn um erleuchtet zu werden, muss erst mal alles an die Oberfläche kommen, was den Menschen von seiner Erleuchtung abhält. Der Weg zur Erleuchtung läuft quasi einmal quer durch die Dunkelheit.

      Vipassana lehrt, mit einem ausgeglichenen, ruhigen Geist achtsam die aufkommenden Empfindungen im Körper zu beobachten und wahrzunehmen, wie diese im Körper entstehen, aufkommen und wieder gehen. Buddha hatte erkannt, dass unser Körper uns dazu dient, die Vielzahl aller Gefühle empfinden zu können, und dass unser Unterbewusstsein rund um die Uhr damit beschäftigt ist, alle Reize, die von außen kommen, in Form von körperlichen Empfindungen zu verarbeiten. Die Grundlage von Vipassana ist das universelle Gesetz der Unbeständigkeit. Alles im Universum unterliegt diesem Gesetz. Alles verändert sich ununterbrochen. Während du gerade diese Worte liest, bist du älter geworden, dein Körper hat sich verändert, deine Gedanken haben sich verändert, die Erde hat sich weitergedreht, und nichts ist mehr so, wie es noch vor einem Moment gewesen ist.

      Durch das bewusste und objektive Beobachten der eigenen körperlichen Empfindungen erfahren wir dieses universelle Gesetz an uns selbst. Gefühle kommen, drücken sich auf die ein oder andere Art aus und vergehen wieder. Diese Erkenntnis führte Buddha zu der Feststellung, dass der Schlüssel zur Erleuchtung darin liegt, die aufkommenden Emotionen wahrzunehmen, sich aber nicht von ihnen beeinflussen zu lassen.

      In der Theorie eigentlich ganz easy. Wenn da nicht dieser Zwischenteil wäre, dass der Geist alles nach oben schwemmt, was bis dahin unterdrückt wurde, wenn er plötzlich nicht mehr von außen abgelenkt ist. Am zweiten Tag fing mein Verstand während der Meditationen plötzlich an, die dramatischsten Szenarien vor meinem inneren Auge abzuspielen. Ich stellte mir vor, wie ich nach den zehn Tagen zurückkommen und mein Freund mich verlassen würde oder er sich gerade in eine wunderschöne Surferin verlieben würde, während ich im Exil war. Oder dass Menschen, die ich liebe, einen Unfall haben würden, dass meinen Geschwistern etwas zustoßen könnte oder dass meine Oma vielleicht plötzlich krank werden würde. Für jede einzelne dieser Szenarien wurde mein Verstand plötzlich unfassbar kreativ, warum es nur so sein könnte und nicht anders. Er fand dafür die absolut logischen Argumente, und plötzlich saß ich da, spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen, wie mein Hals ganz eng wurde und die Angst in jede Zelle meines Körpers strömte. Ich fühlte mich unendlich einsam. Ich fühlte mich verlassen. Ich hatte plötzlich panische Angst, allein gelassen zu werden. Irgendwo in mir war noch ein kleiner Anteil an gesundem Verstand, der versuchte, gegen die Angst anzukämpfen, aber es war so vergebens wie bei Don Quijote, der gegen die Windmühlen antreten wollte.

      Ich versuchte, mir zu sagen, dass das alles absoluter Quatsch sei, den ich mir erzähle, dass alles in Ordnung sei, dass es keinen Grund gäbe, so beunruhigt zu sein. Aber die Angst hatte längst auf die richtigen Knöpfe in mir gedrückt, sodass alles gute Zureden ins Leere lief. Vor lauter Verzweiflung und weil die Angst irgendwann so unerträglich war, fing ich an, sie in meinem Kopf anzuschreien. So laut, dass ich dachte, es müssten bestimmt alle um mich herum hören. Ich schrie die Angst an, sie solle aufhören, mir diese schrecklichen Bilder in den Kopf zu legen. Ich schrie sie an, dass ich sie nicht fühlen wolle. Dass mir das wehtäte. Dass ich diesen Schmerz nicht fühlen wolle. Ich flehte sie an zu gehen. Aber sie ging nicht. Sie blieb sogar recht unbeeindruckt von meinem Bitten. Es bestärkte sie nur. Sie saß neben mir auf meinem Meditationskissen und rührte sich keine Millimeter von mir weg.

       Das Problem ist nie das Problem

      Nach einer schlaflosen Nacht saß ich am dritten Tag völlig zerknittert auf meinem Meditationskissen und fragte mich, wie lange ich das wohl aushalten würde. Falls die nächsten sieben Tage genau so weitergehen würden, würde ich meinen Verstand verlieren. Ich begann, mich über mich selbst zu ärgern. Ich war Coach, verdammt noch mal. Ich hatte doch eine Million Techniken, um mit Ängsten umzugehen. Wie konnte es sein, dass ich mich gerade so hilflos fühlte?

      In einem der wenigen Augenblicke während der Meditation, wo es mir gelang, mich ganz auf meinen Atem zu konzentrieren und mein Nervensystem wieder ein wenig zu beruhigen, sammelte ich mich und überlegte, was meine Möglichkeiten wären. Mein Ego und mein innerer Schweinehund plädierten dafür, so schnell wie möglich meine Sachen zu packen und zu gehen. Abbrechen war für mich aber keine Sekunde eine Option. Das heißt, es blieb nur eine Möglichkeit: Ich musste einen Weg finden, aus meinem Schmerz und aus meiner Angst herauszukommen. Ich wünschte mir so sehr, die zehn Tage wirklich für mich nutzen zu können, aber ich spürte auch, dass ich gerade mit allem rationalem Menschenverstand nicht wirklich weiterkam.

      Also tat ich das Einzige, was mir in diesem Moment möglich schien: Ich bat um ein Wunder. Ich bat darum, eine neue Perspektive auf meine Angst zu bekommen. Ich bat darum, mir ein Zeichen zu schicken, irgendetwas Unwahrscheinliches, damit ich wusste, dass die Angst nur eine Illusion war und ich vertrauen konnte.

      Vertrauen lernen wir genau in den Momenten, wenn wir eigentlich weglaufen wollen. Wenn alles in uns danach schreit, das Weite zu suchen. Wenn uns panische Angst überkommt. Genau in diesen Momenten zu vertrauen, ist die Kunst des erfüllten Lebens. Sich nicht dem Misstrauen hinzugeben, sondern der Liebe zu folgen. Der Stimme in uns, die sagt, es ist alles gut. Du bist beschützt. Auch wenn es sich gerade anders anfühlt, aber vertraue, und du wirst sehen, alles wendet sich zum Guten.

      Als ich um ein Wunder bat, hörte ich auf zu kämpfen. Ich hörte auf, die Angst anzuschreien und sie weghaben zu wollen. Ich hörte auf zu glauben, immer alles wissen zu müssen, für alles eine Lösung haben zu müssen und nie Angst haben zu dürfen. Ich erlaubte mir, die Erfahrung machen zu dürfen und es nicht besser zu wissen. Ich gab mich der Situation hin und öffnete damit das Tor für eine Lösung, die außerhalb meines Verstandes lag. Ich öffnete

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