Der Weg des Psychonauten – Band 2. Stanislav Grof
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Synchronistisches Denken ist außerdem von wesentlicher Bedeutung für ein angemessenes Verständnis der Astrologie der Archetypen. Jung benutzte die Astrologie in seinem Aufsatz, um die vielfältigen synchronistischen Zusammenhänge zwischen der materiellen Welt und der menschlichen Psyche aufzuzeigen. In seinen späteren Lebensjahren befasste er sich regelmäßig mit den astrologischen Horoskopen seiner Patienten, bevor er mit ihnen zu arbeiten begann. Seine Tochter, Gret Baumann-Jung, studierte eigens Astrologie, um für ihn die Horoskope seiner Patienten zu erstellen und um 1974 für den Psychologischen Klub in Zürich eine Arbeit über das Horoskop ihres Vaters vorzustellen. Gegen Ende seines Lebens war Jung von der Bedeutung der Synchronizität in der natürlichen Ordnung der Dinge so überzeugt, dass er sie als Leitprinzip in seinem täglichen Leben verwendete.
Der berühmteste Fall von Synchronizität in Jungs eigenem Leben ereignete sich während einer Therapiesitzung mit einer seiner Patientinnen. Diese Patientin war sehr resistent gegen die Psychotherapie, gegen Jungs Interpretationen und gegen die Vorstellung von transpersonalen Realitäten. Während der Analyse eines ihrer Träume mit einem goldenen Skarabäus, als die Therapie in eine Sackgasse geraten war, hörte Jung, wie etwas gegen die Fensterscheibe prallte. Er schaute nach, was passiert war, und fand auf der Fensterbank einen glänzenden Rosenkäfer (Cetonia aurata), der versuchte, ins Haus zu gelangen. Es handelte sich um ein sehr seltenes Exemplar, die engste Entsprechung zu einem goldenen Skarabäus, der in diesen Breitengraden zu finden ist. Nichts dergleichen war Jung jemals zuvor oder danach begegnet. Er öffnete das Fenster, brachte den Käfer hinein und zeigte ihn seiner Klientin. Diese außergewöhnliche Synchronizität wurde zu einem wichtigen Wendepunkt in der Therapie dieser Frau.
Cetonia aureata, der »Skarabäus« aus der Synchronizitäts-Geschichte von C. G. Jung.
Beobachtungen von Synchronizitäten beeinflussten Jungs Denken und seine Arbeit tiefgreifend, insbesondere sein Verständnis der Archetypen, der universalen Urbilder und der ordnenden Prinzipien des kollektiven Unbewussten. Die Entdeckung der Archetypen und ihrer Rolle in der menschlichen Psyche ist Jungs wichtigster Beitrag zur Psychologie. Über weite Strecken seiner beruflichen Laufbahn war Jung sehr stark von der kartesisch-kantischen Perspektive beeinflusst, welche die westliche Wissenschaft mit ihrer strikten Trennung zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven, dem Innen und dem Außen dominiert. Unter ihrem Einfluss sah er die Archetypen zunächst als transindividuelle, aber im Wesentlichen innerpsychische Prinzipien, vergleichbar mit biologischen Instinkten. Er ging davon aus, dass die Grundmatrix für sie im Gehirn fest verankert ist und von Generation zu Generation vererbt wird.
Die Existenz von synchronistischen Ereignissen ließ Jung erkennen, dass Archetypen sowohl die Psyche als auch die materielle Welt transzendieren. Er war überzeugt, dass es sich um autonome Bedeutungsmuster handelt, die sowohl die Psyche als auch die Materie beeinflussen. Er sah, dass sie eine Brücke zwischen Innen und Außen bilden, und schlug die Existenz einer Grauzone zwischen Materie und Bewusstsein vor. Aus diesem Grund begann Jung, sich auf Archetypen als »psychoide« (psyche-ähnliche) Qualitäten zu beziehen, wobei er den Begriff verwendete, der von Hans Driesch, dem Begründer des Vitalismus, geprägt wurde (DRIESCH 1914). Stephan A. Hoeller beschrieb Jungs vertieftes Verständnis der Archetypen in poetischer Sprache auf prägnante Art und Weise: »Der Archetyp ist, wenn er sich in einem synchronistischen Phänomen manifestiert, wahrhaftig ehrfurchtgebietend, wenn nicht geradezu wunderbar – ein unheimlicher Bewohner auf der Schwelle. Psychisch und zugleich physisch könnte man ihn mit dem doppelgesichtigen römischen Gott Janus vergleichen. Die beiden Gesichter des Archetyps sind in dem gemeinsamen Kopf der Bedeutung vereint« (HOELLER 1982).
Psychiater hören von ihren Patienten oft von »phantastischen Zufällen«; das bemerkenswerte Phänomen der Synchronizität ist jedoch von der konventionellen Psychologie und Psychiatrie nicht erkannt worden. Verweise auf »unglaubliche Zufallsereignisse« werden nicht ernst genommen und als pathologische Verzerrungen der Wahrnehmung und des Urteilsvermögens oder als »Beziehungswahn« angesehen. Wer sich jedoch die Zeit nimmt, die Fakten zu überprüfen, muss zugeben, dass die Wahrscheinlichkeit, dass viele dieser Koinzidenzen zufällig sind, verschwindend gering ist.
In den sechzig Jahren, in denen ich mich mit Bewusstseinsforschung befasse, habe ich viele außergewöhnliche Synchronizitäten bei meinen Patienten beobachtet, insbesondere bei denen, die sich einer psychedelischen Therapie unterziehen und spirituelle Krisen erleben, sowie bei Teilnehmern an Workshops und Schulungen zum Holotropen Atmen. Ich habe auch viele Geschichten über sie von meinen Kollegen in Forschung und Therapie gehört und hunderte davon persönlich erlebt. Ich möchte diese Erörterung der Synchronizität mit einigen Beispielen illustrieren. Interessierte Leser können in meinem Buch Impossible – Wenn Unglaubliches passiert (GROF 2006) weitere Beispiele für bemerkenswerte Synchronizitäten finden.
Das erste dieser Beispiele ist eine außergewöhnliche Geschichte im Zusammenhang mit meinem verstorbenen Freund und Lehrer, dem berühmten Mythologen Joseph Campbell. Sie weist insofern eine gewisse Ähnlichkeit mit Jungs Begegnung mit dem Goldkäfer auf, als dass sie das Erscheinen eines Insekts zu einer höchst unwahrscheinlichen Zeit und an einem äußerst unwahrscheinlichen Ort zum Inhalt hat. Während einem seiner vielen Workshops am Esalen-Institut in Big Sur, Kalifornien, hielt Joe einen langen Vortrag über sein Lieblingsthema: die Arbeit von C. G. Jung und seine revolutionären Beiträge zum Verständnis der Mythologie und Psychologie. In diesem Vortrag sprach er flüchtig über das Phänomen der Synchronizität. Einer der Teilnehmer, der mit diesem Begriff nicht vertraut war, unterbrach Joe und bat ihn um eine Erklärung.
Nachdem er Jungs kurze, allgemeine Definition und Beschreibung dieses Begriffs dargelegt hatte, beschloss Joe, den Zuhörern ein Beispiel für eine bemerkenswerte Synchronizität aus seinem eigenen Leben zu präsentieren. Bevor er später nach Hawaii gezogen war, hatten Joe und seine Frau, Jean Erdman, in Greenwich Village in New York City gelebt. Ihre Wohnung befand sich im vierzehnten Stock eines Hochhauses am Waverly Place an der Sixth Avenue. Joes Arbeitszimmer hatte zwei Doppelfenster, eines mit Blick auf den Hudson River und das andere zur Sixth Avenue. Das erste Fensterpaar bot einen schönen Blick auf den Fluss, und bei schönem Wetter war es immer geöffnet. Der Blick aus dem anderen Doppelfenster war uninteressant, und die Campbells öffneten es nur sehr selten. Laut Joe hatten sie es in den rund vierzig Jahren, die sie dort lebten, nicht öfter als zwei oder drei Mal geöffnet, außer zum Putzen.
Eines Tages in den frühen 1980er Jahren saß Joe in seinem Arbeitszimmer an seinem monumentalen Werk The Way of the Animal Powers, einer umfassenden Enzyklopädie der schamanischen Mythologien der Welt (CAMPBELL 1984). Er schrieb gerade das Kapitel über die Mythologie der afrikanischen !Kung, einer Untergruppe der San, die in der Kalahari-Wüste leben. Eine der bedeutendsten Gottheiten im Pantheon der San ist die Gottesanbeterin Mantis, welche die Merkmale einer Trickster-Figur und des Schöpfergottes in sich vereint.
Christina und Stanislav Grof mit Jean Erdman und Joseph Campbell bei einem Seminar in Honolulu, Hawaii.
Joe war ganz in diese Arbeit vertieft, umgeben von Artikeln, Büchern und Bildern zum Thema. Besonders beeindruckt war er von der Geschichte, die Laurens van der Post über sein Kindermädchen Klara, eine San-Mischlingsfrau, schrieb, die sich seit seiner Geburt um ihn gekümmert hatte. Van der Post