Arbeit im Wandel. Jeff Schwartz
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Für manche ist »Zukunft der Arbeit« zwar nur die Abkürzung für »die Roboter werden uns unsere Jobs wegnehmen«, aber bei vielen anderen wächst der Glaube daran, dass in Wirklichkeit Innovation und Kreativität an erster Stelle stehen werden. Wir können Prozesse nur bis zu einem gewissen Grad automatisieren, ebenso wie wir Kosten und Tempo nur bis zu einem gewissen Punkt senken beziehungsweise steigern können – irgendwann werden wir etwas Neues erschaffen müssen. Wir müssen innovativ sein. Und genau das waren wir während des Ausbruchs von Covid-19, im Kleinen und im Großen. Ich arbeitete weiterhin mit Klienten und Kollegen weltweit zusammen, nur nicht persönlich, sondern über Zoom, WebEx und ähnliche Plattformen. Abends und an den Wochenenden recherchierte und arbeitete ich an diesem Buch. Es war eine Zeit der Bestandsaufnahmen. Man hatte das unangenehme Gefühl der Unsicherheit, passte sich an und suchte nach Möglichkeiten, die Dinge auf neue Weise zu erledigen. Mit meinen Kollegen bei Deloitte überlegten wir uns sehr rasch, wie wir unsere Arbeit fortsetzen konnten – aus der Ferne und besser. Wie bei jeder Anpassung an eine neue Technologie veränderten und verbesserten wir die Dinge, die wir zuvor schon gemacht hatten, und gingen über zu Zoom, Teams, Slack und anderen kollaborativen Technologien. Wir stellten fest, dass wir auf diese Weise sogar mehr schafften. Wir erledigten Dinge, von denen wir nie geglaubt hätten, dass sie aus der Ferne möglich seien, beispielsweise die Einführung umfangreicher technischer Systeme in Organisationen ohne Hunderte von Beratern vor Ort. Wir stellten fest, dass wir erfolgreiche, interaktive Online-Workshops mit Arbeitsgruppen durchführen, auf virtuellen Whiteboards zusammenarbeiten und sogar virtuelle Brainstormings abhalten konnten. Außerdem erfuhren wir auch gegenseitig mehr über uns, als wir von zu Hause aus arbeiteten. Wie ich zu meinen Teams immer sage: Wenn wir keine Kinder oder Hunde im Hintergrund hören, fehlt etwas. Unser Leben sollte im Fluss der Arbeit sichtbar sein. Das ist etwas, das wir beim Übergang in eine neue Normalität nicht wieder aufgeben sollten.
Unsere kollektive Pause
Die Pause, die Unsicherheit, die Notwendigkeit der Anpassung erinnern uns daran, dass jedes Menschenleben eine Geschichte von Umwälzungen, Anpassungsfähigkeit und Überleben ist. Ich wurde ein Jahr nach dem ersten Start eines Satelliten geboren (der sowjetische Sputnik 1 im Jahr 1957), sah mit elf Jahren die ersten Menschen auf dem Mond herumspazieren (US-Amerikaner im Jahr 1969) und war Zeuge der ersten kommerziellen Raumflüge zur Internationalen Weltraumstation im Jahr 2020. Meine Laufbahn erstreckte sich über mehrere Börseneinbrüche, Millennium-Bug, 9/11, die Wirtschaftskrise ab 2008 sowie Pandemien (H1N1, Ebola und Covid-19). Und ja – die Technologie hat sich gewaltig verändert. Meine Referate an der Uni tippte ich noch auf der elektrischen Schreibmaschine und irgendwann hatte ich ein Tablet mit der Rechenleistung eines Supercomputers. Ich habe als Forscher, Lehrer, Banker, Direktor von Regierungsprogrammen, Berater, Schriftsteller und Professor gearbeitet. Ich habe in den USA, Nepal, Sri Lanka, Kenia, Russland, Belgien, Indien und Israel gelebt. Mir ist klar, dass ich während meiner gesamten Laufbahn lauter Lektionen in Anpassungsfähigkeit erhalten habe. Ich ändere ständig meine Erwartungen und passe mich an die Geschehnisse an – nicht an etwas, was ich mir vielleicht als Nächstes vorgestellt hätte.
Meine Töchter erhielten ähnliche Lektionen in Anpassungsfähigkeit, als Covid-19 ihren Tagesablauf durcheinanderwirbelte. Meine Tochter Rachel (28), eine MBA-Doktorandin an der Emory-Universität in Atlanta, ging in der zweiten Hälfte des Semesters zum Fernunterricht über, ebenso wie 1, 6 Milliarden andere Studenten auf der ganzen Welt, und anschließend absolvierte sie ein virtuelles Sommerpraktikum. Meine jüngere Tochter Bizzie (25) war gerade seit drei Wochen in Madagaskar und trainierte als Freiwillige des US-Friedenskorps, als sie – ebenso wie 7000 weitere Freiwillige und Trainees weltweit – zurück in die USA evakuiert wurde. Es war das erste Mal seit seiner Gründung im Jahr 1961, dass das gesamte Korps nach Hause zurückkehrte. Ich beobachtete, wie meine Töchter mit diesen Veränderungen zurechtkamen und resilienter wurden.
Unsere langen, gewundenen Laufbahnen
Schon früh in meiner Karriere lernte ich, mich anzupassen. Oft fiel der Beginn einer neuen Aufgabe sogar mit wichtigen Weltereignissen zusammen. Nach der Graduiertenschule war ich im Oktober 1987 gerade mitten in der Einarbeitung für eine Position als Finanzberater bei der Chemical's Investment Bank, die heute zu JPMorgan Chase gehört, als die Börsen den prozentual größten Tagesverlust seit der Weltwirtschaftskrise erlitten. Ein paar Jahre später, nach dem Fall der Berliner Mauer 1989, verabschiedete ich mich von meinem »Geschäftsleben« und wurde einer der ersten selbstständigen Direktoren des US-Friedenskorps, als es nach dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion die Arbeit in Russland aufnahm. Am 1. September 2001, wenige Tage vor den Angriffen vom 11. September, stieß ich zu Deloitte. Sieben Jahre später erlebten wir die globale Finanzkrise und die folgende große Rezession.
Diesen Herausforderungen standen die Höhepunkte meiner Karriere gegenüber. Zu ihnen gehört die Leitung der Deloitte-Beratungskanzleien in Indien, sowohl für die Global-Delivery-Teams als auch für die Berater, die mit einigen der größten Unternehmen in Indien zusammenarbeiteten. Ich arbeitete von 2011 bis 2016 für Reliance Industries, als das Unternehmen gerade Jio gründete (das heißt auf Hindi »das Leben leben«). Jio ist heute die größte 4G- und Mobilfunkfirma in Indien. Die Firma nahm im Jahr 2016 die ersten Kunden an und hatte bis zum Sommer 2020 knapp 400 Millionen Kunden. So wurde sie zu Indiens größtem Telekommunikationsunternehmen mit Schwerpunkt 4G-Connectivity. Während dieser Zeit vollzog sich in ganz Indien ein Übergang – sowohl in der Wirtschaft des Landes als auch in ihren Beziehungen zur globalen Wirtschaft. Ich konnte einen kleinen Beitrag zur Schaffung des zweitgrößten 4G-Telekommunikationsunternehmens der Welt sowie zur raschen Einführung smarter Mobilfunkdienste und Apps in Indien leisten.
Unser Bezugsrahmen
Weder den Wandel der Arbeit noch Anpassungsfähigkeit lernte ich in der Schule – niemand tut das. Rückblickend erkenne ich, dass ich zum Teil deshalb bemerkenswert gut darauf vorbereitet war, Unternehmensführern die Zukunft der Arbeit nahezubringen, weil ich als Student und Doktorand Geschichte, Philosophie und Staatskunde sowie später BWL und Wirtschaft studierte. Vor allem aber bereiteten mich wohl die Erfahrungen, denen ich ausgesetzt war, auf die ganze Breite und Vielfalt dessen vor, was sich im Lauf unseres Lebens in der Welt ereignete. Im Jahr 1983 beendete ich gerade meinen Dienst als Lehrer des Friedenskorps in Nepal, einem der schönsten und ärmsten Länder der Welt, wo ich in einem Dorf ohne Zugang zu fließendem Wasser oder Strom, das noch dazu eine Stunde Fußweg von der nächsten Straße entfernt war, Mathe und Naturwissenschaften unterrichtet hatte. Zwei Jahre später, im Sommer 1985, war ich Sommerpraktikant für Unternehmensfinanzierung in der Park Avenue in New York. Irgendwo zwischen Nepal und New York hatte ich das Glück, sehr vielen unterschiedlichen Gesichtern menschlicher Erfahrungen zu begegnen.
Was ich mein Leben lang lerne – und was hoffentlich auch meine Töchter lernen –, ist, dass es wichtig ist, wie wir die Welt betrachten und was wir für relevant und möglich halten. Dies formt, was wir erreichen können und was wir tatsächlich tun. Neue Zeiten und neue Bedingungen schaffen neue Möglichkeiten. Wenn wir unsere Sichtweise nicht ändern – die Zeithorizonte, Beziehungen, das Tempo –, verpassen wir Gelegenheiten. Für uns als Individuen und als Organisationen und Gemeinschaften hat sich Covid-19 als Zukunftsbeschleuniger erwiesen. Aber diese Zukunft war ohnehin bereits im Kommen: Sie bietet Chancen für die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen sowie Laufbahnen, die aus mehreren Phasen bestehen, in denen wir uns immer wieder neu erfinden. Wenn wir uns auf alles einlassen wollen, was möglich ist, brauchen wir unbedingt ein neues geistiges Selbstbild – ein Growth Mindset, das heißt eine bewegliche, flexible Denkweise.