Dialektik der Ordnung. Zygmunt Bauman

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Dialektik der Ordnung - Zygmunt Bauman

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ist oder deren Aufdeckung oder Diskussion bewußt vermieden wird. Anders formuliert: Die moralische Dimension des Handelns kann unsichtbar sein oder bewußt verschleiert werden.

      In diesem Zusammenhang ein weiteres Zitat von Hilberg: »Man muß sich bewußt machen, daß die meisten Mittäter [des Holocaust] keine Gewehre auf jüdische Kinder abfeuerten oder Gas in die Gaskammern leiteten … es waren Bürokraten, die Schriftsätze formulierten, Zeichnungen anfertigen, die telefonierten und an Besprechungen teilnahmen. Sie betrieben die Vernichtung eines ganzen Volkes von ihren Schreibtischen aus.«32 Das wenige, was man von den Konsequenzen oder vermeintlich harmlosen Geschäftigkeit wußte, war schnell verdrängt. Kausale Zusammenhänge zwischen bürokratischem Handeln und dem Massenmord ließen sich nur schwer entdecken. Es galt moralisch nicht als verwerflich, einer vermeintlich natürlichen Neigung nachzugeben und sich nicht über Gebühr Gedanken zu machen, die Konsequenzen des eigenen Tuns nicht bis zum Ende weiterzudenken. Wer nicht verstehen kann, wie derartige moralische Blindheit überhaupt möglich ist, denke nur an unsere Zeit: Die Beschäftigten einer Waffenfabrik feiern einen »arbeitsplatzsichernden« Rüstungsauftrag, um abends vor dem Fernsehschirm ehrlich erschüttert über die Massaker zwischen Äthiopiern und Eriträern zu sein; oder man denke daran, daß »fallende Rohstoffpreise« als gute Nachricht begrüßt werden, während man über »hungernde Kinder in Afrika« tief bestürzt ist.

      Vor einigen Jahren prägte John Lachs den Begriff der Mediatisierung, der Vermittlung des Handelns, für eines der herausragendsten und folgenreichsten Merkmale der modernen Gesellschaft: Handlungen werden von einem Dritten ausgeführt, der »zwischen mir und den Folgen meines Tuns steht, so daß diese mir verborgen bleiben«. Zwischen Plan und Ausführung entsteht eine Distanz, die mit einer Unzahl minutiöser Handlungen von Befehlsempfängern ausgefüllt ist, die jeder Verantwortung enthoben sind. Die »Mittelsmänner« schirmen die Folgen der Handlungen vor den Handelnden selbst ab.

      Das Resultat ist, daß es viele Handlungen gibt, für die niemand mit vollem Bewußtsein Verantwortung übernimmt. Für den Auftraggeber existieren sie nur als Wort oder in der Vorstellung; er betrachtet sie nicht als die eigenen, weil er ihre Ausführung nicht miterlebt. Der Mann, der sie tatsächlich ausführt, identifiziert sich andererseits nicht damit, weil er glaubt, selbst nur das schuldlose Instrument fremden Willens zu sein…

      Ohne die unmittelbare Erfahrung der Konsequenzen eigenen Handelns agiert auch der Untadeligste in einem moralischen Vakuum: die abstrakte Kenntnis des Bösen ist weder ein zuverlässiger Leitfaden noch ein hinreichendes Motiv … wir sollten über das Ausmaß der weitgehend nicht vorsätzlichen Grausamkeit an sich unbescholtener Menschen nicht überrascht sein…

      Bemerkenswert ist, daß wir durchaus in der Lage sind, falsches Handeln und schreiende Ungerechtigkeit als solche zu erkennen. Was bestürzt, ist, wie es dazu kommen konnte, wenn jeder einzelne eigentlich nur harmlose Dinge tat … Es fällt schwer zu akzeptieren, daß es häufig weder einen einzelnen noch eine Gruppe gibt, die verantwortlich sind. Noch schwerer fällt es zu akzeptieren, daß das eigene Handeln an anderer Stelle Leiden verursacht hat.33

      Die wachsende physische und psychische Distanz zwischen dem eigenen Handeln und dessen Folgen bewirkt nicht nur, daß moralische Hemmungen wegfallen, sondern verschleiert auch die moralische Tragweite des Handelns und verhindert auf diese Weise das Auseinanderbrechen von individuellen ethischen Grundsätzen und den sozialen Konsequenzen der Handlung. Indem die meisten sozial signifikanten Handlungen durch eine lange Kette komplexer Kausal- und Funktionszusammenhänge vermittelt sind, rücken moralische Probleme aus dem Blickfeld, denn es bietet sich nur selten die Gelegenheit zu Überprüfung und bewußter moralischer Entscheidung.

      Die technisch-administrative Effizienz des Holocaust erklärt sich zum Teil auch aus der geschickten Verwendung »moralischer Beruhigungsmittel«, wie sie die moderne Bürokratie und Technokratie bereithalten. Die mangelnde Transparenz von Kausalzusammenhängen in komplexen Interaktionsnetzen und die »Distanzierung« abstoßender und moralisch verwerflicher Konsequenzen bis hin zur Nichtsichtbarkeit für die Täter spielten dabei eine entscheidende Rolle. Die Nazis entwickelten eine dritte, vielleicht noch raffiniertere Methode, die sie zwar ebenfalls nicht selbst erfunden hatten, die sie jedoch zu einem bis dahin unbekannten Grad perfektionierten: die Dehumanisierung der Opfer. Die sozio-psychologischen Faktoren, die für die furchtbare Effizienz dieser Methode ausschlaggebend waren, sind weitgehend in Helen Feins Konzept eines »Bezugssystems von Verpflichtungen« (universe of obligation) enthalten. Fein definiert dieses als »Kreis von Personen, die eine wechselseitige Schutzverpflichtung haben, hergeleitet aus der speziellen Beziehung zu einer Gottheit oder geheiligten Quelle der Macht«35. Dieses »Bezugssystem« ist ein soziales Terrain, innerhalb dessen moralische Regeln Gültigkeit haben, die außerhalb dieser Grenzen jedoch ebenso ihre Verbindlichkeit verlieren wie Gewissensentscheidungen ihre Legitimation. Um die Menschlichkeit der Opfer zu zerstören, genügt es, diese aus dem »Bezugssystem« auszugrenzen.

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