Dialektik der Ordnung. Zygmunt Bauman

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Dialektik der Ordnung - Zygmunt Bauman

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und streng durchorganisierten bürokratischen Stabes nicht messen. Eine aktive Beteiligung am Töten hätten die Tausende von normalen Beamten und Fachleuten, ohne deren Mitwirken auf den verschiedensten Ebenen dieses gigantische Unternehmen undurchführbar gewesen wäre, weit von sich gewiesen. Hilberg schreibt dazu:

      Die Täter wurden unter der deutschen Bevölkerung nicht eigens ausgewählt … Es lag in der Natur der administrativen Organisation, des juristischen Systems und der Finanzverwaltung, daß eine spezielle Auswahl und Schulung gar nicht nötig war. Jedes Mitglied der Ordnungspolizei konnte als Aufseher eines Ghettos oder Deportationszuges eingesetzt werden. Von jedem Juristen des Reichssicherheitshauptamtes wurde erwartet, eine Einsatzgruppe führen zu können. Und jeder Finanzfachmann des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes hatte die Vorausetzungen für den Dienst in einem Todeslager. Die gesamte Aufgabe ließ sich also mit dem bereits vorhandenen Personal bewältigen.27

      Und wie wurden ganz normale Deutsche zu Massenmördern? Folgt man Herbert C. Kelman28, so werden moralische Hemmungen gegen Gewalt und Greueltaten abgebaut, wenn drei Bedingungen erfüllt sind, ganz gleich ob diese einzeln oder in Kombination auftreten. Die Gewalt muß durch Befehl von oben autorisiert sein, die Handlungen müssen Routinesache sein (durch eine regelbestimme Praxis und exakte Aufgabenzuweisung) und die Opfer müssen einem Prozeß der Dehumanisierung unterliegen (durch ideologische Definition und Indoktrination). Mit der dritten Bedingung werden wir uns erst später befassen, doch die beiden ersten klingen vertraut. Wir kennen sie als Prinzipien rationalen Handelns, in denen die repräsentativsten Institutionen der Moderne universal verankert sind.

      So wie alles, was Midas berührte, zu Gold wurde, so verwandelte die SS-Verwaltung alles, was in ihren Machtbereich geriet – einschließlich der Opfer – ihren hierarchischen Befehlsstrukturen an, in denen strenge Disziplin und moralisch gesehen ein Vakuum herrschte. Der Genozid war eine Kollektivproduktion; wie Hilberg gezeigt hat, gehörten dazu die von Deutschen begangenen Taten und die – auf deutschen Befehl, aber mit an Selbstaufgabe grenzendem Gehorsam geleistete – Mitwirkung der jüdischen Opfer. Besonders darin erweist sich die technische Überlegenheit einer zielgerichteten, rationell organisierten Massenvernichtung gegenüber ungeordnet gewalttätigen Ausschreitungen. Die Mitwirkung der Opfer eines Pogroms ist schlechterdings nicht vorstellbar. Die Unterstützung der SS-Bürokratie im Holocaust durch die Opfer war vorausgeplant und sogar eine entscheidende Voraussetzung für dessen Gelingen. »Der gesamte Prozeß hing in großem Maße von der jüdischen Mitwirkung ab – sowohl in individueller Form als auch organisiert seitens der Judenräte … die deutschen Behörden verlangten von den Judenräten Informationen, Geld, Arbeits- oder Ordnungskräfte, und diese wurden zur Verfügung gestellt.« Die Ausweitung der bürokratischen Regeln, bei der gleichzeitig jedes andere Loyalitätsverhältnis und jedes moralische Motiv zum Schaden der Opfer dieser Bürokratie kriminalisiert wurde, um sie schließlich mit deren eigener Intelligenz und Arbeitskraft zu vernichten, entsetzt. Entsprechende Mechanismen lassen sich aber in jeder Form von Bürokratie, ob nun bösartig oder mildtätig, entdecken. Im Fall des Holocaust gelang dies zum einen durch die Organisation der Ghettos, die die Judenräte und die Ghettobewohner in jeder Hinsicht den »funktionalen« Zwecken der Deutschen unterwarf. »Was die Lebensfähigkeit [des Ghettos] aufrechterhielt, diente automatisch deutschen Zielen… das jüdische Geschick bei der Zuteilung von Wohnraum oder der Verteilung der Lebensmittelrationen erhöhte die deutsche Effizienz. Jüdische Rigorosität in der Steuereintreibung oder bei der Arbeitseinteilung diente der Durchsetzung deutscher Härte, selbst die Unbestechlichkeit konnte der deutschen Verwaltung noch nützlich sein.« Zum zweiten wurde in jeder Etappe der Vernichtung Wert darauf gelegt, den Opfern eine Wahlmöglichkeit nach Maßgabe rationaler Kriterien zu bieten, wobei die rational sinnvolle Entscheidung automatisch dem »geplanten Ziel« diente. »Die phasenweise Deportation der Juden war raffiniert, weil diejenigen, die zunächst verschont geblieben waren, sich damit trösten konnten, manchmal müßten einige Wenige für die Gesamtheit geopfert werden.« Selbst den Deportierten ließ man bis zu ihrem Ende zum Schein die Möglichkeit rationaler Entscheidung. Die Gaskammern wurden als »Waschräume« bezeichnet – nach Tagen in überfüllten, verdreckten Viehwaggons eine willkommene Vorstellung. Und selbst diejenigen, die sich keiner Illusion mehr hingaben, konnten entscheiden zwischen dem »schnellen und schmerzlosen« Tod oder dem zusätzlichen unsäglichen Leiden, das die Widerspenstigen erwartete. Nicht nur die von den Opfern unbeeinflußte Einbindung der Ghettos in die Vernichtungsmaschinerie war bis ins Detail durchgeplant; man machte sich auch die rationalen Fähigkeiten der »Funktionsträger« zunutze, um Verhalten zu erzeugen, das von Pflichterfüllung und Kooperation im Sinne des bürokratisch definierten Zwecks erfüllt war.

       Soziale Erzeugung moralischer Unsichtbarkeit

      Bisher haben wir uns um die Rekonstruktion jener sozialen Mechanismen bemüht, die »animalisches Mitleid ausschalten«; um die soziale Erzeugung seines Verhaltens, das angeborenen moralischen Hemmungen entgegenwirkt und das Individuen, die im Sinne der »Normalität« keineswegs »moralisch degeneriert« sind, in Mörder oder vorsätzlich handelnde Komplizen zu verwandeln vermag. Die Erfahrung des Holocaust deckt nun noch einen weiteren sozialen Mechanismus auf; dieser ist in seinen Möglichkeiten noch weit gefährlicher, da er eine viel größere Anzahl von Menschen als Täter in den Genozid einbezieht, ohne daß diese dabei bewußt mit schwierigen

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