Dialektik der Ordnung. Zygmunt Bauman

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Dialektik der Ordnung - Zygmunt Bauman

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formaler Hinsicht (der einzigen bürokratisch legitimen Form von Sinngebung) denen »normaler«, geplanter und durchorganisierter Maßnahmen in Verwaltung oder Wirtschaft. Denn für jede Handlung, die einer bürokratischen Rationalisierung unterzogen werden kann, ist Max Webers nüchterne Charakterisierung der modernen Verwaltung zutreffend:

      Genauigkeit, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Kenntnis der Akten, Kontinuität, Diskretion, Einmütigkeit, strenger Gehorsam, reduzierte Reibungsverluste sowie Material- und Personalkosten – all das erreicht in einer streng bürokratischen Verwaltung einen Kulminationspunkt … Die Bürokratisierung bietet zuallererst die Möglichkeit der Spezialisierung von Verwaltungsfunktionen auf der Basis völlig objektiver Kriterien. … ›Objektive‹ Amtsausübung richtet sich nach berechenbaren Regeln und wird ›ohne Ansehen der Person‹ vollzogen.19

      Die Übertragung dieser Definition von Bürokratie auf den Holocaust mag vielen als furchterregende Travestie oder als Zynismus besonderer Grausamkeit erscheinen.

      Karl Schleuner20 verdanken wir die Einsicht, daß die physische Vernichtung der europäischen Juden einen sehr komplexen Verlauf nahm. Die Endlösung entsprang weder der Vision eines wahnsinnigen Monsters, noch vollzog sie sich nach wohlüberlegten Entscheidungen im Sinne einer »Problemlösung« ideologisch motivierter Führer. Der Gedanke der Endlösung entwickelte sich allmählich und nahm in jedem Stadium Richtungswechsel vor, dabei auf Krisen reagierend und vorangetrieben von der »Entschlossenheit, jedes sich bietende Hindernis zu überwinden«. Schleuners Konzept faßt anschaulich die Erkenntnisse der »Funktionalisten« unter den Historikern des Holocaust zusammen, die sich in den letzten Jahren zunehmend gegen die »Intentionalisten« durchsetzten, deren Kausalerklärung des Holocaust, das heißt die Vorstellung einer dem Genozid an den Juden eigenen Motivationslogik oder Konsistenz, kaum noch haltbar ist.

      Das ist die erschütterndste Lehre aus der Analyse des »komplexen Phänomens Auschwitz«, die Tatsache, daß die Wahl physischer Vernichtung als des richtigen Mittels zur Entfernung* der Juden das Ergebnis eines bürokratischen Entscheidungsprozesses war, bei dem Kosten-Nutzen-Überlegungen, Finanzfragen und einheitliche Regelauslegung eine Rolle spielten. Um es noch deutlicher zu formulieren: Die Entscheidung wurde im ernsthaften Bemühen um möglichst rationelle Lösungen für sich verändernde Problemstellungen getroffen. Auch die vielzitierte Tendenz der Bürokratie zur Erweiterung von Zielsetzungen – so normal wie bürokratische Routine – hatte daran wesentlichen Anteil. Allein die Tatsache, daß es Funktionäre mit speziellen Aufgaben gab, hatte zur Folge, daß immer neue Initiativen ergriffen und die ursprünglichen Ziele ständig höher gesteckt wurden. Das Expertenwissen – das eigentlich nur instrumentellen Charakter hatte – bewies wieder einmal seine Eigendynamik und eine ausgeprägte Neigung, die ursprünglich gesetzten Ziele zu übertreffen und umzudefinieren.

      Allein die Tatsache, daß es eine Gruppe von Fachleuten für Judenfragen gab, verlieh der nazistischen Judenpolitik eine bürokratische Eigendynamik. Noch 1942, als Deportationen und Massenmord bereits begonnen hatten, wurde es den Juden gesetzlich untersagt, Haustiere zu halten, arische Friseure aufzusuchen oder das Reichssportabzeichen zu erwerben. Es bedurfte keiner besonderen Weisungen von oben – das Aufgabengebiet eines »Fachmannes« für Judenfragen bot die Gewähr, daß die Kontinuität der diskriminierenden Gesetzgebung nicht abriß.23

      Zu keinem Zeitpunkt ihrer langen, qualvollen Vollstreckung geriet

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