Dialektik der Ordnung. Zygmunt Bauman

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Dialektik der Ordnung - Zygmunt Bauman страница 4

Dialektik der Ordnung - Zygmunt Bauman

Скачать книгу

Wirksamkeit zu verhindern.

      In der Arbeit an diesem Buch habe ich besonders profitiert von der Kritik und dem Rat von Bryan Cheyette, Shmuel Eisenstadt, Ferenc Fehèr, Agnes Heller, Lukasz Hirszowicz und Victor Zaslavsky. Ich hoffe, die Genannten finden auf den folgenden Seiten mehr als nur flüchtige Spuren ihrer Gedanken und Anregungen. Mein besonderer Dank gilt Anthony Giddens für die aufmerksame Lektüre der verschiedenen Fassungen des Buches, für kluge Kritik und viele wertvolle Ratschläge. Meinem Herausgeber David Roberts danke ich für die Unterstützung und Geduld.

      1

       Einführung: Die Soziologie nach dem Holocaust

      In Zukunft werden auch die Todeslager und ›Muselmänner‹ zu den materiellen und geistigen Hervorbringungen der Zivilisation zu zählen sein.

      Richard Rubenstein und John Roth, »Approaches to Auschwitz«.

      Wir begegnen in der Soziologie zwei Formen der Bewußtseinstrübung und Blindheit gegenüber dem Holocaust und seinen Konsequenzen für eine Theorie der Zivilisation und Moderne.

      Das soziologische Denken wertet den Holocaust einerseits als etwas, das den Juden widerfuhr, als Ereignis spezifisch jüdischer Geschichte und damit als singuläres Ereignis, nicht weiter beunruhigend und ohne Relevanz für die soziologische Theorie. Der Holocaust gilt dann als Kulminationspunkt des christlich-europäischen Antisemitismus, als solcher seinerseits singulär und ohne Vergleich in einer langen, facettenreichen Tradition ethnischer und religiöser Vorurteile und Übergriffe. Derart ragt der Antisemitismus wegen seiner geschichtlich einzigartigen Systematik, seiner ideologischen Intensität und Internationalität, aber auch aufgrund seines besonderen regionalen und konfessionellen Nährbodens aus allen anderen gesellschaftlichen Antagonismen heraus. Der Holocaust, gedacht gewissermaßen als Fortsetzung des Antisemitismus mit anderen Mitteln, wird vor diesem Hintergrund zur monströsen historischen Ausnahme stilisiert. Die daraus abzuleitenden Erklärungen erhellen zwar die Pathologie der ihn hervorbringenden Gesellschaft, lassen aber keine Rückschlüsse auf ihren »gesunden/normalen« Zustand zu. Weder der orthodoxe soziologische Modernitätsund Zivilisationsbegriff, noch gar die Grundlagen dieser Wissenschaft scheinen von daher revisionsbedürftig.

      Die andere Richtung soziologischer Betrachtung versucht diesen Fehler im Ansatz zu vermeiden, führt jedoch zur selben Konsequenz. Der Holocaust ist demnach in seiner Anhäufung von Monstrositäten zwar ein Extremfall – die einzelnen Phänomene, isoliert betrachtet, jedoch durchaus »normal«. Die These: Man könne (und müsse) mit diesen resistenten und universell anzutreffenden Phänomenen leben, da die soziale Ordnung sie normalerweise zähme, wenn nicht sogar neutralisiere. Der Holocaust erhält in dieser Sicht den Status eines Extremfalles unter vielen anderen »analogen« sozialen Konflikten oder Übergriffen. Die radikalste Denkrichtung behauptet gar, für den Holocaust seien bestimmte archaische, kulturell nicht auslöschbare, das hieße also »naturgegebene« Prädispositionen des Menschen verantwortlich – etwa unter Berufung auf Lorenz und die Aggression als Instinkt oder die von Arthur Koestler postulierte emotionale Prävalenz der stammesgeschichtlich älteren Hirnschichten.1 Die für den Holocaust vermeintlich verantwortlichen Faktoren werden aus dem Feld soziologischer Betrachtung eliminiert, wenn man sie als »präsozial« und immun gegen kulturelle Einflüsse betrachtet. Man kann den Holocaust dann allenfalls noch unter der schrecklich-finsteren – aber zumindest theoretisch faßbaren – Kategorie des Genozids subsumieren; oder ihn dem Kapitel ethnisch, kulturell oder rassistisch motivierter Unterdrückung und Verfolgung zuweisen.2

      Unabhängig davon, welchem der beiden Ansätze die Soziologie folgt – der Holocaust läßt sich in die Kontinuität von Geschichte einfügen:

      Das Kunststück, den Holocaust bei aller Singularität als normales Ereignis aufzufassen, gelingt unter Hinweis auf andere historisch belegte Greuel, von den Kreuzzügen über das Gemetzel an katharischen Ketzern und den türkischen Völkermord an den Armeniern bis hin zur britischen Erfindung des Konzentrationslagers in den Burenkriegen.3

      Der Holocaust wird vielfach in die jahrhundertealte Tradition der jüdischen Ghettoisierung, Diskriminierung und Pogrome gestellt – als grauenerregende, wenngleich logische Konsequenz ethnisch und religiös motivierten Hasses. Derart ist die Sprengkraft des Schreckens entschärft, die grundlegende Revision der soziologischen Theorien überflüssig. Der gängige Modernitätsbegriff gerät nicht in Zweifel, daß die Analyse ihres latenten Potentials unterbleibt. Die ›erklärenden‹ und ›sinnstiftenden‹ Axiome und Methoden der Soziologie werden als perfektes gesellschaftspolitisches Rüstzeug angesehen. Das Resultat ist allgemeine Selbstzufriedenheit. Die modernen soziologischen Erklärungsmodelle, in einer bestimmten Konstellationsebene als theoretischer Rahmen wie pragmatischer Leitfaden soziologischen Handelns bewährt, bleiben der Kritik entzogen – auch trotz und nach dem Holocaust.

      Kritik an dieser saturierten Soziologie wird bisher in erster Linie von Historikern und Theologen vorgetragen – ohne von der Soziologie ernsthaft zur Kenntnis genommen worden zu sein. Verglichen mit der beeindrukkenden Menge der gründlichen Studien von Historikern und der Weite der Auseinandersetzung unter christlichen und jüdischen Theologen nimmt sich der Beitrag der Soziologie zur Untersuchung des Holocaust dürftig und überflüssig aus. Ein Blick auf den gegenwärtigen soziologischen Forschungsstand zu diesem Thema offenbart das Paradox: Der Holocaust gibt mehr Aufschluß über den Stand der Soziologie, als diese in der jetzigen Form imstande ist, zur Erklärung des Holocaust beizutragen. Die Soziologen haben sich diesem alarmierenden Befund bisher nicht gestellt, geschweige denn sich damit auseinandergesetzt.

      Wie man sich die soziologische Bewältigung des ›Komplexes Holocaust‹ vorzustellen hat, belegt ein Zitat des berühmten Everett C. Hughes:

      Das nationalsozialistische Regime in Deutschland befahl das ungeheuerlichste Stück ›Vernichtungsarbeit‹, das die Juden in ihrer Geschichte zu erleiden hatten. Die entscheidenden Fragen angesichts eines solchen historischen Faktums lauten: (1) Wer erledigte dieser Arbeit? – und (2) Warum leisteten die ›guten‹ Menschen dagegen keinen Widerstand? Was wir brauchen, ist genaue Kenntnis über ihren Aufstieg zur Macht und bessere Mittel, sie von der Macht fernzuhalten.

      Ganz im bewährten Stil soziologischer Praxis fordert Hughes eine gründliche psychosoziale Diagnose. Untersuchungsgegenstand sei die spezifische Kombination von Faktoren, die spezifische Verhaltensmuster bei den Erfüllungsgehilfen von ›Vernichtungsarbeit‹ auslösen (bzw. die damit korrelieren). Außerdem jene Faktoren, die den latenten Widerstand gegen diese Tendenz unterdrücken. Ziel dieses soziologischen Ansatzes: ein prädiktives Erklärungsmodell – basierend auf der Vorstellung von einer rational durchorganisierten, kausalen Gesetzmäßigkeiten und statistischer Wahrscheinlichkeit unterworfenen Welt – das den Ausbruch von ›Vernichtungstendenzen‹ verhindern helfen soll. Man hofft, die moderne Zivilisation durch eine konsequente Anwendung jener präventiven soziologischen Modelle garantieren zu können, denen sie angeblich ursächlich ihre rationale ›Beherrschbarkeit‹ verdankt. Allenfalls ein gewisser Nachbesserungsbedarf des – vermeintlich nicht diskreditierten – ›Social Engineering‹ wird eingeräumt.

      In einer lesenswerten Studie vom Holocaust hat Helen Fein5 die von Hughes empfohlene Methodik Schritt für Schritt angewandt. Fein untersucht den Zusammenhang einer Reihe psychologischer, ideologischer und struktureller Variablen und der prozentualen Verteilung von Opfern und Überlebenden unter der jüdischen Bevölkerung im nationalsozialistisch besetzten Europa. Nach herkömmlichen soziologischen Maßstäben gelingt Helen Fein eine beeindruckende Forschungsleistung. Faktoren wie die nationale Ausprägung des Antisemitismus, der Grad der jüdischen Akkulturation und Assimilation sowie die daraus resultierende gesellschaftliche Solidarität in den einzelnen Ländern sind sorgfältig analysiert und präzise erfaßt. Einige Korrelationen konnten

Скачать книгу