Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung. Группа авторов

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Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung - Группа авторов

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Forderung an Erziehung“ aus dem Jahr 1966, „dass Auschwitz nicht noch einmal sei“. (Adorno, 1970, S. 92) Die Unterrichtsrealität behindert oder erschwert dieses Anliegen in verschiedenster Weise. Melisa Erkurt, selbst als bosnisches Flüchtlingskind nach Österreich gekommen, reflektiert in ihrem Buch „Generation Haram“ über ihre Unterrichtserfahrungen:

      „Jugendliche haben oft ziemlich steile Ansichten, die man als Erwachsene so gar nicht teilt. Argumente, für die man andere schnell einmal verurteilen würde – aber Schülerinnen und Schüler sollte man in einer Diskussion, vor allem als Pädagogin, nicht vor den Kopf stoßen. Selbst wenn sie Aussagen tätigen, die man zu hundert Prozent ablehnt und sogar als gefährlich einstufen könnte, wie zum Beispiel, dass der Islamische Staat gerecht ist, Nazis nur besorgte Bürger waren […]. Als Lehrperson darf man seinen Schülerinnen und Schülern die eigene Meinung nicht aufzwingen, aber man soll demokratie- und menschenfeindliche Thesen auf keinen Fall einfach stehen lassen. Man darf die Kinder und Jugendlichen aber auch nicht dafür verurteilen, sondern muss sich alles anhören und ruhige, nicht vorwurfsvolle Fragen stellen, bei deren Beantwortung der Schüler oder die Schülerin im besten Fall selbst bemerkt, dass das keinen Sinn ergibt, was er oder sie da sagt.“ (Erkurt, 2020, S. 152)

      Zusammenfassend lassen sich drei zentrale Herausforderungen beschreiben, mit denen viele Lehrerkräfte in die Fortbildungsveranstaltungen zu Nationalsozialismus und Holocaust kommen:

      – Das Gefühl von Überforderung aus inhaltlichen Gründen, aber auch aufgrund des großen Verantwortungsgefühls für das Thema.

      – Die Enttäuschung darüber, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler mit ihrem Unterricht nicht erreichen können, dass diese dem Thema Nationalsozialismus und Holocaust generell, aber insbesondere auch den Gedenkstätten mit großer Distanz gegenüberstehen und sich kaum darauf einlassen, weil sie sich übersättigt fühlen, weil sie eine große zeitliche Distanz spüren oder weil sie die industrielle Vernichtung der Juden in Europa nicht als ihre Geschichte sehen.

      – Die Konfrontation mit Jugendlichen, die mit „problematischen“ Äußerungen zu Nationalsozialismus und Holocaust verunsichern und irritieren.

      Die Lehrpersonen, die an Fortbildungsveranstaltungen von _erinnern.at_ teilnehmen, ob an den Pädagogischen Hochschulen in den Bundesländern, am Zentralen Seminar oder aber auch an den Lehrgängen, die sie an Erinnerungsorte nach Israel führen, eint die Überzeugung von der Wichtigkeit des Themas. Entsprechend ihrer oben beschriebenen Erfahrungen formulieren Lehrerinnen und Lehrer ihre Anliegen und Erwartungen. Die meisten sind auf der Suche nach geeigneten Zugängen zum Thema, sie wünschen sich Anregungen, wie sie in ihren zunehmend heterogenen Klassen das Thema behandeln, wie sie die Distanz zum Thema überwinden können, wie sie auf provozierende oder aber auch ideologisch motivierte Äußerungen ihrer Schülerinnen und Schüler angemessen und wirkungsvoll reagieren, wie sie die Jugendlichen auf Gedenkstättenbesuche vorbereiten und diese mit ihnen gut nachbereiten können. Auf den Seminarreisen nach Israel geht es vielen auch darum, „die andere“, also die Opferperspektive kennenzulernen und so die eigene Perspektive zu erweitern.

      Lernerfahrungen in Israel

      Die Erinnerungsorte in Israel beeindrucken die Lehrenden auf unterschiedlichste Weise. In Yad Vashem sind es Dimension, Ästhetik und natürlich auch der konsequente Blick auf die verfolgten und ermordeten Menschen, auf die Zerstörung der jüdischen Kultur in Europa. Anders als bei uns werden die Verbrechen nicht relativiert, es gibt keine Rechtfertigungen wie die wirtschaftliche Not der Menschen oder das Nichtwissen-Können. Im Kinderdenkmal werden in einer Endlosschleife die Namen der ermordeten Kinder und ihr Alter genannt, während man vielen von ihnen auf Fotos in die kindlichen Augen schaut. Die emotionale Wirkung ist enorm. Der Besuch im Tal der Gemeinden zeigt die Wucht der Zerstörung auf einer ganz anderen Ebene. So viele Orte in Europa hatten eine mehr oder weniger große jüdische Gemeinde, viele Lehrerinnen und Lehrer entdecken dort in Jerusalemer Stein gehauen ihre Heimatorte und wissen: Nichts oder kaum etwas ist davon ist geblieben. Die Anzahl der österreichischen Gerechten unter den Völkern macht sich im europäischen Vergleich bescheiden aus. Und der Gang durch das Museum, das die Geschichte des Holocaust in Form einer unausweichlichen Einbahn erzählt, nimmt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit – im doppelten Sinne. Der Gang durch die Ausstellungsbereiche als eine Art Selbsterfahrung. Alles fängt an mit dem auf Videos festgehaltenen Treiben jüdischen Lebens in Osteuropa, führt zu den verächtlichen Auswüchsen antisemitischer Propaganda, es zeigt das assimilierte jüdische Leben und zeichnet die verschiedenen Phasen des Genozids nach. Am Ende die Halle der Namen und zuletzt der Blick auf die Hügel Jerusalems. Dieses Ende der Ausstellung ist natürlich auch ein politisches Statement.

      Es ist die Perspektive der Verfolgten, die hier erzählt wird. Aber die Vertriebenen und die Ermordeten begegnen den Besucherinnen und Besuchern nicht als Opfer, zu denen sie von den Nationalsozialistinnen und -sozialisten gemacht wurden, sondern als Menschen mit ihrer Geschichte, mit einem Namen, mit einem Gesicht. Durch fundierte Vorträge wird das historische Wissen über den zutiefst verwurzelten Antisemitismus,

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