Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung. Группа авторов

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Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung - Группа авторов

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für Jugendliche die Frage nach individueller und kollektiver Identität und ihrer Position zur österreichischen bzw. deutschen Vergangenheit und „Verantwortungsgemeinschaft“ stellt, stehen Lehrerinnen und Lehrer sowie außerschulische Pädagoginnen und Pädagogen vor der Herausforderung, nationalstaatliche Narrative und homogenisierte Erinnerungsperspektiven auszuweiten und jene von zugewanderten Lernenden miteinzubeziehen. Der schulbuchbasierte Unterricht ist im deutschsprachigen Raum immer noch ein weitgehend national orientierter; über die NS-Verbrechen in Südosteuropa und die Schauplätze des Zweiten Weltkrieges in den kolonialisierten Ländern erfahren Schülerinnen und Schüler erstaunlich wenig. „In den Bezugsangeboten bleiben sie daher oft in der Trias TäterInnen-Opfer-ZuseherInnen angerufen, die offensichtlich wenig Raum für andere Perspektiven lässt (wie etwa für Widerstandsdiskurse der PartisanInnen oder für postkoloniale Bezüge, aber auch für widersprüchliche Erinnerungskontexte, wie etwa in Algerien, dem Iran, Palästina etc.).“ (Sternfeld, 2016)

      Die Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust ist als globale Geschichte mit globalen Auswirkungen zu vermitteln; die Erinnerung daran kann sich demzufolge ebenfalls nicht an nationalstaatliche Grenzen halten. Angesichts der globalen Dimensionen von Weltkrieg und Holocaust ist es zudem nicht unwahrscheinlich, dass migrierte Jugendliche einen familiären Bezug zu den verhandelten Themen haben. Wesentlich ist, Erinnerungen nicht als miteinander in Konkurrenz stehend zu begreifen oder zu hierarchisieren.

      Pädagogisch-didaktisch reflektierte schulische oder außerschulische Vermittlung von Nationalsozialismus und Holocaust sollte interkulturelle Perspektiven insofern berücksichtigen, dass der Fokus auf der „Migrationsgesellschaft als Kontext statt auf Migrant[Inn]en als Zielgruppe“ liegt (Kühner, 2008). Als soziale Kondition betrifft „Migrationsgesellschaft“ schließlich sämtliche Teilhabende, unabhängig von ihrer Herkunft. Astrid Messerschmid formuliert die Anforderung so: „Die Wissensvermittlung über den Holocaust – sein Ausmaß, die Art der Durchführung und seine ideologische Begründung – kann keiner Selbstbestätigung dienen über das eigene moralisch gefestigte Geschichtsbewusstsein oder über einen nationalkollektiven Konsens der Aufarbeitung“ (Messerschmidt, 2010).

      Nicht hegemoniale Wissensproduktion, sondern Heterogenität in der Vermittlerpraxis sowie eine stärkere Subjektorientierung sollten als zentrale Ziele der Geschichtsvermittlung in post-migrantischen Gesellschaften formuliert werden.

      Multiperspektivische Lehr- und Lernmaterialien mit Gegenwartsbezug

      Zukunftsweisende Projekte

      Was künftige Entwicklungen und Perspektiven in der Vermittlungsarbeit von Nationalsozialismus und Holocaust betrifft, sei auf ein innovatives Bildungsangebot in Kanada verwiesen, wo spezielle Workshops für Neuimmigrantinnen und -immigranten konzipiert wurden, die den Spracherwerb und das Lernen über den Holocaust verknüpfen. In Kombination mit spezifischen Sprachlernmethoden helfen die von der bereits erwähnten IWitness-Plattform der USC Shoah Foundation stammenden Videointerviews die neue Sprache zu erlernen, den Wortschatz aufzubauen, sowie gleichzeitig die Geschichte des Holocaust zu vermitteln. Lernenden werden konkrete Beispiele von Personen gezeigt, die flüchten mussten, in ein neues Land eingewandert sind und die notwendigen Fähigkeiten erworben haben, um sich erfolgreich in die Aufnahmegesellschaft zu integrieren. Auch wenn sich ihre eigene Flucht bzw. Migration nach Kanada erheblich von jener der Holocaust-Überlebenden unterscheidet, bilden die eingesetzten Interviews mit Zeitzeuginnen und -zeugen sowie die gemeinsamen Erfahrungen der Einwanderung beim Aufbau eines neuen Lebens und damit verbundenen Schwierigkeiten und Herausforderungen ein pädagogisch sinnvolles Lernumfeld, so die Überlegung (Phillips, 2018).

      Unabdingbar ist beim historischen Lernen, Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartswahrnehmungen und Zukunftserwartungen miteinander zu verknüpfen. Eine gelungene Geschichtspädagogik schafft ein motivierendes Unterrichtsklima und stimuliert einen Reflexionsprozess, „durch den sich die Lernenden mit der Vergangenheit in Beziehung setzen und einen Dialog mit der eigenen Vorgeschichte beginnen.“ Zugänge und Bezüge zur Vergangenheit herzustellen, gelingt – wie am Lern- und „Resonanzort“ Yad Vashem gezeigt – durch „komplexe, aus mehreren Identitätsschichten zusammengesetzte Persönlichkeiten, kulturelle Resonanzen und Bezüge zu heutigen Lebenswelten, transnationalen und transkulturellen Bewegungen, Parallelen in der Altersstruktur sowie Individualität und Handlungsmacht“ (Hartmann, 2020).

      Trotz innovativer und effektiver Bildungstools, die bereits zur Anwendung kommen, muss das Angebot an zielgruppenorientierten, multiperspektivischen, mehrsprachigen und auch in einfacher Sprache zugänglichen Unterrichtsmaterialien und -konzepten kontinuierlich erweitert werden.

      Fazit

      Die Vermittlung von Nationalsozialismus und Holocaust steht gegenwärtig vor mehreren Herausforderungen. Der Schule kommt dabei als zentraler Sozialisationsinstanz besondere Bedeutung zu. Die von Lehrenden beschriebenen Schwierigkeiten, Wissen über Nationalsozialismus und Holocaust zu vermitteln, beruhen auf einem Zusammenspiel verschiedener Ursachen und Entwicklungen. Digitalität und Migration haben sich als charakteristische Aspekte des aktuellen pädagogischdidaktischen Diskurses herauskristallisiert. Die Dynamik der Entwicklungen in heterogenen und digitalisierten Klassenzimmern mündet in Fragestellungen, die die grundsätzlichen Fragen der Holocaust Education „Warum über den Holocaust unterrichten?“, „Was über den Holocaust unterrichten“ und „Wie über den Holocaust unterrichten?“ ergänzen: Wie geht es Schülerinnen und Schülern, die nicht den historischen und kulturellen Erfahrungshintergrund der Mehrheitsgesellschaft haben? Wie kann der Distanz und Abwehr, die Jugendliche den Inhalten (artikuliert oder unartikuliert) entgegenbringen, begegnet werden? Wie lassen sich die Geschichten von Überlebenden in den Unterricht integrieren, vor allem, wenn diese bald nicht mehr selbst an Schulen gehen? Und schließlich: Wie können digitale Bildungsangebote im Präsenz- und im Fernunterricht sinnvoll eingesetzt

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