Die Phantome des Hutmachers. Georges Simenon
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Phantome des Hutmachers - Georges Simenon страница 8
Er hätte es besser treffen können als mit Louise. Eine ganze Menge hätte sich angenehmer einrichten lassen. Ja, er fing an, das dicke Mädchen zu hassen. Nie fragte sie etwas. Man hatte keinen Schimmer, was sie dachte. Dachte sie womöglich gar nicht?
Er mochte es nicht, dass sie im Haus schlief. Delphine, die Kinder hatte, war sofort nach dem Abendessen nach Hause gelaufen auf die andere Bahnhofseite. Anfangs hatte auch Louise in der Stadt geschlafen. Dann hatte sie jedoch erklärt, wegen der Morde an den alten Frauen nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr das Haus verlassen zu wollen.
Wieso hatte er es akzeptiert, ihr im Ersten ein Zimmer herzurichten? Hatte er da noch vielleicht so eine vage Vorstellung im Hinterkopf gehabt? Wenn man nicht allzu genau hinguckte, war sie ganz appetitlich. Jetzt aber, da er durch die Trennwand hindurch hörte, wie sie ihre Toilette verrichtete, konnte er nicht darüber hinwegsehen, dass sie ungepflegt war. War er mal in ihr Zimmer gegangen, so hatte ihn der Geruch dort angeekelt, genauso wie die auf einem Stuhl herumliegende Wäsche.
Wahrscheinlich war sie nicht gefährlich, sie stellte aber trotzdem eine Komplikation dar, und um Komplikationen zu umgehen, hatte er schon genug getan.
Man würde da schon sehen.
Er wechselte das Jackett – zum Arbeiten trug er stets ein altes –, ging ins Hinterzimmer und zündete den Kocher an, den er zum Dämpfen der Hüte nutzte.
Mit dem kleinsten Schlüssel an seinem Bund schloss er einen Wandschrank auf. Von allergrößter Bedeutung waren diese Schlüssel, glatt waren sie, glänzten wie Werkzeuge, immer trug er sie in derselben Tasche, und nie vergaß er, sie auf den Nachttisch zu legen, ehe er ins Bett ging.
Ganz hinten in dem Schränkchen hing eine Kordel von der Decke, an der er zwei-, dreimal kurz zog.
Valentin, noch immer mit der Kundin und dem kleinen Jungen beschäftigt, machte ein paar Schritte, um ihm mitzuteilen:
»Madame ruft nach Ihnen, Monsieur Labbé.«
Denn indem er an der Kordel zog, setzte er einen Mechanismus in Gang, der im ersten Stock auf den Fußboden klopfte, genau wie früher, als Mathilde, wenn sie ihn brauchte, mit dem Stock auf den Fußboden geklopft hatte.
»Ich geh schon«, verkündete er seufzend.
Das Schränkchen wieder zumachen, die Schlüssel zurück in die Tasche stecken. Merkwürdig: In Kachoudas’ Geschäft war der kleine Schneider damit beschäftigt, Maß zu nehmen bei einem kleinen Jungen, den seine Mutter mitgebracht hatte. Ein kleiner Junge und eine Mutter auf jeder Straßenseite und, noch merkwürdiger, aus demselben Dorf.
Labbé verschwand auf der Wendeltreppe, wo Valentin seine Schritte hören konnte. Die Tür ging auf und wieder zu. Die Vorhänge verhinderten, dass man hereinsah. In ihrer Küche war Madame Kachoudas, die nie an die Nachbarn von gegenüber dachte, mit in die Luft gereckten Armen dabei, ein Kleid über ihr Unterkleid zu streifen, denn um es wärmer zu haben, zogen sich diese Leutchen in der Küche an und wuschen sich dort sogar. Für die Mädchen und den Jungen stellte man eine Emailleschüssel auf einen Stuhl.
Er legte ein weiteres Holzscheit auf das Feuer, setzte sich, zündete seine Pfeife an, und erst dann schlug er die Zeitung auf.
Der Würger hat ein neues Opfer gefunden.
Ist es nicht seltsam, festzustellen, wie die Wörter die Realität verzerren? Der WÜRGER! Und das zu allem Überfluss in Großbuchstaben! Als würde man, zum Beispiel, als Würger geboren. Als wäre es, kurz gesagt, eine Berufung! Nur dass die Wahrheit so ganz anders aussah! Immer machte ihn das ein bisschen ärgerlich. Und dieser Ärger hatte ihn sogar dazu gebracht, der Zeitung den ersten Brief zu schreiben. Seinerzeit hatte es geheißen:
Ein gefährlicher Verrückter irrt in der Stadt umher.
Er hatte erwidert:
Nein, Monsieur, einen Verrückten gibt es nicht. Sprechen Sie nicht von etwas, das Sie nicht kennen.
Trotzdem, der kleine Jeantet war nicht dumm. Während die Polizei die Stadtstreicher und die Matrosen auf Kneipentour einsammelte, auf gut Glück Leute auf der Straße anhielt und nach ihren Papieren verlangte, trug der Reporter eine Beweisführung zusammen, die etwas für sich hatte. Nach dem dritten Opfer, Mademoiselle Lange, der Kurzwarenhändlerin aus der Rue Saint-Yon, und nachdem die Überwachung bereits mit Anbruch der Dunkelheit eingesetzt hatte, schrieb er:
Es ist falsch, sich mit Herumtreibern und, ganz allgemein gesprochen, mit all denen zu befassen, die durch ihr Äußeres oder ihr Auftreten die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Der Mörder ist zwangsläufig ein Mann, der nicht groß auffällt. Er ist also kein Fremder, wie manche vermutet haben. Wenn man bedenkt, dass seine drei Verbrechen einiges an Lauferei nötig gemacht haben, ist es mehr als wahrscheinlich, dass er zumindest ein Mal einer der Freiwilligenpatrouillen begegnet ist, die jeden Abend die Stadt durchkämmen.
Das stimmte. Der Hutmacher war einer Patrouille begegnet und hatte seelenruhig seinen Weg fortgesetzt. Man richtete das Strahlenbündel einer Taschenlampe auf ihn, und eine Stimme sagte:
»Guten Abend, Monsieur Labbé.«
»Guten Abend, meine Herren!«
Einzig ein bekannter und angesehener Bürger konnte …
Er ging in seinen Schlussfolgerungen sehr viel weiter, der Jüngling, den man jeden Abend am ersten Tisch des Café des Colonnes schreiben sah:
… Die Tatzeiten weisen darauf hin, dass es ein verheirateter Mann ist, mit festen Gewohnheiten …
Er gründete diese Annahme auf die Tatsache, dass keines der Verbrechen nach der Abendessenszeit verübt worden war.
… Folglich ein Mann, der abends nicht allein aus dem Haus geht …
Dann ging er ins Detail. Nach dem fünften Mord, dem vorletzten, dem an Léonide Proux, der Hebamme aus Fétilly, hatte er geschrieben:
Es steht zu vermuten, dass die Geburtshelferin durch einen Telefonanruf aus dem Haus gelockt wurde, was ein Versorgungsköfferchen zu belegen scheint, das sie bei sich hatte, als sie überfallen wurde …
Das war falsch. Genau genommen war sie die Einzige, der Monsieur Labbé fast zufällig begegnet war. Natürlich, sie hatte auf der Liste gestanden. Hätte er sie vielleicht tatsächlich angerufen, wenn er ihr nicht begegnet wäre?
Da einen derart entlarvenden Anruf von einem öffentlichen Fernsprecher oder aus einem Café zu tätigen riskant gewesen wäre …
Er wollte zu intelligent sein, intelligenter als der Mörder. Dieser, so nahm er an, nutze zu Hause ein eigenes Telefon. Bedachte er dabei wirklich nicht, dass in diesem Fall seine Frau oder das Hausmädchen das Gespräch würde mithören können?
Außerdem hatte Monsieur Labbé gar kein Telefon, er hatte es stets abgelehnt, sich einen Anschluss legen zu lassen. Der kleine Jeantet verhedderte sich