Die Phantome des Hutmachers. Georges Simenon

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Phantome des Hutmachers - Georges Simenon страница 6

Die Phantome des Hutmachers - Georges Simenon Georges Simenon

Скачать книгу

musste gesprochen werden. Er machte sich nicht immer die Mühe, die Wörter deutlich auszusprechen, denn unten kam davon ohnehin nur wirres Gemurmel an. Heute zum Beispiel sagte er immer wieder mit gewisser Befriedigung:

      »Du würdest einen Fehler begehen, Kachoudas!«

      Es gab diesen Abend kein besonders gutes Essen, er nahm sich aber trotzdem das zarteste Stück Kalbskotelett. Es gab Tage, da aß er auch das zweite Abendessen ganz auf.

      Er trat ans Fenster. Er hatte Zeit. Er schob das Rollo etwas beiseite und bemerkte den kleinen Schneider, der mit dem Essen schon fertig war und wieder Platz nahm auf seinem Tisch, während die Mädchen in der Stube auf dem Boden spielten und die Älteste zusammen mit ihrer Mutter bestimmt das Geschirr abwusch.

      Mit lauter Stimme sagte er, indem er zu dem Tablett zurückging:

      »Hast du gut gegessen? Bestens.«

      Und daraufhin leerte er die Teller – bis auf den Kotelettknochen – in die Toilette, wobei er darauf achtete, nicht die Spülung zu betätigen. Zuerst hatte er das noch gemacht, aber das war ein Fehler gewesen. So wie diesen hatte es eine Menge Fehler und Unvorsichtigkeiten gegeben, die er nach und nach korrigiert hatte.

      Mit den leeren Tellern ging er wieder nach unten, wo Louise auf seinem Platz zu Abend aß. Um nicht so viel Geschirr spülen zu müssen, nutzte sie zum Essen den Teller und zum Trinken das Glas ihrer Herrschaft. Sie las während des Essens, sie genauso, allerdings Groschenheftchen.

      »Sie gehen nicht raus, Louise?«

      »Hab keine Lust, mich erwürgen zu lassen.«

      »Gute Nacht.«

      »Guten Abend, Monsieur.«

      Es war fast geschafft. Noch ein paar tagtägliche Verrichtungen waren auszuführen: sich vergewissern gehen, dass die Ladentür gut abgeschlossen war, das Licht ausmachen, noch einmal die Treppe hinaufsteigen, den Schlüssel aus der Tasche holen, aufmachen, zumachen.

      Nachher würde Louise raufgehen, um sich im Hinterzimmer schlafen zu legen, und er für eine gute Viertelstunde noch ihre schweren Schritte hören, bis der Bettrost kreischte unter ihrem Gewicht.

      »Ein Kalb ist das!«

      Er hatte das Recht, die Stimme zu erheben. Von Zeit zu Zeit war das fast eine Notwendigkeit. Er konnte jetzt ebenso die Toilettenspülung ziehen, sich des Kragens, der Krawatte, des Jacketts entledigen, seinen braunen Morgenmantel überziehen. Nur war er ja noch nicht ganz fertig mit allem, denn es blieben drei, vier Scheite im Kamin nachzulegen.

      Louise war es, die sie morgens nach oben schaffte und stapelte auf dem Treppenabsatz im ersten Stock.

      Alle Häuser in der Straße hatten das gleiche Alter, sie stammten aus der Zeit Ludwigs XIII. Von außen waren sie mit ihren Arkaden und ihrem steil abfallenden Dach gleich geblieben, im Lauf der Jahrhunderte aber hatte jedes im Inneren diverse Veränderungen erfahren. Über dem Kopf von Monsieur Labbé beispielsweise existierte ein zweites Stockwerk, das man allerdings nur über die Straße erreichte. Neben dem Geschäft war eine Tür zu einem schmalen Gang, der zum Innenhof führte. Und dort fing die Treppe an, die in den zweiten Stock führte, ohne aber mit dem ersten irgendwie in Verbindung zu stehen.

      Früher, als dort oben noch Mieter wohnten, war das praktisch gewesen. Die Zimmer standen seit Langem jedoch leer, nämlich seit dem ersten Jahr der Erkrankung von Mathilde, die es nicht aushielt, den ganzen Tag lang Schritte über sich zu hören.

      Einen Prozess hatte man anstrengen müssen, um die Leute aus dem Zweiten loszuwerden. Und noch viel größere Schwierigkeiten als das hatte es gegeben!

      Vergaß er auch nichts? Die Scheite brannten. Die Rollos waren ordentlich zu. Das Deckenlicht, es war ihm eh zu grell, konnte er noch löschen, anlassen nur die Lampe, die auf dem Sekretär stand, denn zu allen Zeiten schon war in einer Ecke dort ein kleiner Sekretär gewesen, voll mit winzig kleinen Schubladen, und jetzt war das ganz praktisch.

      Er nahm den Packen Zeitungen, die Schere, stopfte seine alte Meerschaumpfeife. Zwei-, dreimal drehte er sich zum Fenster und dachte an Kachoudas.

      »Armer Kerl!«

      Anfangs war die Verfertigung der Briefe eine Geduldsarbeit gewesen, denn da hatte er ja jeden Buchstaben noch einzeln ausgeschnitten. Inzwischen kannte er die Zeitung so gut, dass er wusste, in welcher Rubrik er sich fast sicher sein konnte, die benötigten Wörter zu finden. In Mathildes Nähkorb hatte er außerdem eine Stickschere ergattert, die keine unsauberen Stellen hinterließ.

       Die Sechste ist tot, junger Mann, und wieder wird die Stadt ihr Los beklagen.

      Es war ihm zur Gewohnheit geworden, sich unmittelbar an Jeantet zu wenden.

       Bedenken Sie, dass Mademoiselle Mollard seit mehreren Jahren an einer Herzkrankheit litt, dass sie arm war, dass sie allein lebte, dass sie keinen hatte, der sie gepflegt hätte, und dass sie gezwungen war, den Kindern ihrer Freundinnen Klavierunterricht zu geben. Ihr Schwager, der Architekt, der beileibe genug verdient, hat sich ja immer geweigert, ihr unter die Arme zu greifen.

       Natürlich habe ich sie nicht deswegen umgebracht. Ich habe sie umgebracht, so wie die anderen, weil es sein musste. Aber das will keiner begreifen. Wieder wird man sagen und schreiben, ich sei ein Verrückter, ein Wahnsinniger, ein Sadist, ein Besessener, aber das stimmt nicht.

       Ich tue, was ich tun muss, und damit basta. Würde man sich davon überzeugen, vermiede man diese stupide Panik, die die Leute davon abhält, aus dem Haus zu gehen, und die allen Handel in Mitleidenschaft zieht.

       Vorausgesetzt, niemand begeht eine Dummheit, steht nur noch eine auf der Liste. Genau sieben werden es sein, und daran werden alle Ermittlungen der Welt nichts ändern.

       Zum Beweis, junger Mann, kündige ich Ihnen schon jetzt an, dass es am Montag sein wird.

      Die Adresse war einfach zusammenzusetzen, denn hierzu genügte es, Jeantets Namen unter einem Artikel sowie die über den Kleinanzeigen abgedruckte Adresse des Verlags auszuschneiden.

      Louise war eben in ihr Zimmer gekommen und schnaubte wie üblich.

      Monsieur Labbé klebte den Brief zu, pappte eine Marke darauf und steckte den Umschlag in die Tasche seines Jacketts, das auf einem Bügel hing. Nachdem er morgen früh die Platten von den Fenstern genommen hatte, würde er warten, bis Valentin kam, und dann seine gewohnte Runde durch die Stadt drehen, regnete es oder regnete es nicht.

      Was er so verblüffend fand, war, dass er nichts an seinen Gewohnheiten hatte ändern müssen. Immer schon war er am Morgen durchs Viertel spaziert, herum um ein oder zwei Häuserblocks, so wie er sich am Abend stets ins Café des Colonnes begeben hatte.

      Es war halb zehn. Er hatte noch eine gute Stunde, deshalb setzte er sich mit dem Gesicht zum Feuer, die Beine ausgestreckt, einen Wälzer mit angegilbten Seiten auf den Knien.

      Es war einer der Bände der Berühmten Fälle des 19. Jahrhunderts. Vor fünf Monaten hatte er im Auktionslokal zwanzig Einzelbände ersteigert. Sieben davon blieben ihm noch zu lesen.

      Er paffte in kurzen Zügen. Es war warm. Louise war wohl endlich eingeschlafen. Er hörte nichts mehr außer dem monotonen Geräusch des Regens, manchmal

Скачать книгу