Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path. Daniela Leinweber

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path - Daniela Leinweber страница 5

Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path - Daniela Leinweber

Скачать книгу

2006 in der sozialpädagogischen Wohngemeinschaft „SoWo – Soziales Wohnhaus“ in Neunkirchen und ­betreue dort Jugendliche und junge Erwachsene, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr in ihrer Familie leben können und daher über die Kinder- und Jugendhilfe im SoWo ein neues Zuhause gefunden haben. Hier kommt es immer wieder auch zu mehr oder minder gefährlichen ­Situationen und so ist das Erlernen einer Selbstverteidigungstechnik bestimmt von Vorteil. Wing Tsun stammt aus dem alten China und ist eine effiziente Form einerseits der Erkennung von Gefahrensituationen und andererseits auch einer möglichen Vermeidung. Lässt sich ein Angriff trotzdem nicht abwenden, so lernen wir hier, dass die körperliche Kraft eine untergeordnete Rolle spielt und durch ausgeklügelte Technik ausgeglichen werden kann. Diese Kampfkunst wurde von Frauen in erster Linie für Frauen entwickelt, damit sich diese gegen die meist körperlich über­legenen Männer zur Wehr setzen können, doch heute wird es sowohl für Männer als auch Frauen in einem gemeinschaftlichen Trainingsprogramm angeboten. Das Gute da­ran ist, dass bei Wing Tsun keinerlei ­körperliche Voraussetzungen nötig sind und es unabhängig vom Fitness­level erlernt werden kann – also genau etwas für mich.

      Doch trotz allem konnte mein Interesse für andere Sportarten meine Leidenschaft fürs Wandern nicht mindern, im Gegenteil, es trug dazu bei, die Fitness zu erhöhen und so noch weitere Strecken gehen zu können. Nach eineinhalb Jahren Training und mittlerweile 40 verlorenen Kilos führte mich meine erste Weitwanderung nach Mariazell. Neben der Erklimmung der Flatzer Wand war das Zufußgehen nach Mariazell schon lange ein Traum von mir gewesen, den es zu realisieren galt. Viele Einwohner ­Mollrams, der Ortschaft, in der ich aufgewachsen bin, pilgerten 2002 zum 750. Jubiläum der ersten urkundlichen Erwähnung unseres Dorfes nach Mariazell – ohne mich, versteht sich. Mein Mann war damals schon mit von der lustigen und vor allem fitten Partie und ich wäre auch sehr gerne ein Teil davon gewesen. Wieder einmal fühlte ich mich ausgeschlossen oder besser, ich schloss mich aufgrund meiner eingeschränkten bzw. fast nicht vorhandenen körperlichen Möglichkeiten eigentlich von selbst aus. Der Wunsch, eine Pilgerreise nach Mariazell zu unternehmen, blieb für die nächsten zwölf Jahre unerfüllt, aber im Frühjahr 2014 machten Peter und ich uns auf den Weg. Im beschau­lichen Puchberg, am Fuße des Schneebergs, starteten wir unseren dreitägigen Marsch zum wichtigsten Wallfahrtsort Österreichs. Andere schaffen das locker in zwei Tagen oder gehen in drei Tagen direkt von zu Hause aus los, aber ich wollte einmal langsam beginnen und gut war’s. Während sich die erste Etappe bis Schwarzau im Gebirge noch recht einfach bewältigen ließ, war der zweite Tag eine absolute Herausforderung. Schon damals trugen wir alles, was wir brauchten, am Rücken und die letzten Kilometer, die eigentlich nur mehr flach dahin gingen, zogen sich immens und mir tat alles weh. Jeder, der am Abend in die Nähe unseres Zimmers kam, wurde unweigerlich in eine Wolke aus Tigerbalsam und Thermo Lotion gehüllt; selbst den Weg zur Toilette vermied ich, solange es noch irgendwie vertretbar war. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich mich laufend fragte, wie in Herrgotts Namen ich am nächsten Tag nach Mariazell kommen sollte, doch das, was am Tag zuvor noch unverstellbar gewesen war, gelang am nächsten Morgen dann doch, ­indem wir uns einfach unsere Wanderschuhe anzogen und losmarschierten. Spätestens vor den Toren Mariazells wurde mir dann klar: Ich bin eine Weitwanderin. Gut, vielleicht war ich damals noch keine, aber ich wollte unbedingt eine werden.

      [no image in epub file]

      Meine erste Mehrtageswanderung nach Mariazell.

      Alpannonia Weitwanderweg.

      Im Jahr darauf eroberten wir dann ­unseren nächsten offiziellen Fernwanderweg, den in sechs Etappen angelegten Al­pannonia, der zu den „Best Trails of Austria“ zählt. Ein grenzüberschreitendes Wegesystem ­verbindet Fischbach, den Semmering und Köszeg auf einem recht ein­fachen, 123 km langen Höhen- und Panoramatrail. Er führt von den letzten Gipfeln der Alpen bis in die pannonische Ebene und bietet jede Menge Abwechslung auf der Reise durch drei österrei­chische Bundesländer und bei der Überschreitung der Grenze nach ­Ungarn im Naturpark Geschriebenstein. Uns bot er gleich noch viel mehr Abwechslung, denn wir verliefen uns mehr als nur einmal und so erhöhten wir die zurückge­legten Wegkilometer deutlich. Rückblickend war dies wohl schon eine gute Vor­bereitung auf unsere Wanderung entlang des South West Coast Path (SWCP). Außerdem finden sich tatsächlich mehrere Parallelen, etwa großartige Aussichten oder das Wandern durch dichtes Gestrüpp. Doch während uns der SWCP teilweise durch Elfen­wälder führen würde, zeichnete sich der Alpannonia vor allem durch seine Streckenführung durch ein regelrechtes Schwammerlwun­derland aus. Noch nie hatte ich so viele Pilze – vor allem meinen Liebling, den ­Parasol – gesehen wie auf ­dieser Reise, und dass ich sie dort stehen lassen musste und nicht zu Hause zu einem wohlschmeckenden Pilz­gericht – zugegeben, eher hätte ich sie einfach nur paniert – verarbeiten konnte, tat mir in der Seele weh.

      Zu diesem Zeitpunkt hatte ich meine Ernährung bereits auf vegetarisch umgestellt, was anfangs für meinen Körper sehr schwierig gewesen und doch wieder einigen Kilos mehr die Gelegenheit geboten hatte, sich auf meinen Hüften festzusetzen. Als ich damals begann, mich intensiv mit ­Ernährung zu ­beschäftigen, wurde der Wunsch nach einem fleischlosen Leben immer stärker. Die Entscheidung traf ich vor allem aus moralischen und weniger aus gesundheitlichen Gründen. Die Frage, ob Fleisch an sich für den Menschen gesund ist oder nicht, mag in ernährungswissenschaftlichen Kreisen eine Streitfrage darstellen, doch in Bezug auf den größten Teil des heute verkauften Fleisches lässt sich die Frage unzweideutig be­antworten, wenn wir uns anschauen, was die Tiere und das Fleisch durchmachen müssen, bevor es – getarnt in schöner Verpackung – im ­Einkaufswagen der Menschen landet. Natürlich gibt es Ausnahmen in der Fleischproduktion, aber zum großen Teil entsteht Fleisch durch eine ethisch verwerfliche, tierquälerische und unhygienische Massentierhaltung, bei der ich nicht länger wegschauen wollte. Die Brutalität, denen Schlachttiere normalerweise ausgesetzt sind, verurteilte ich zutiefst, und immer öfter bekam ich ein schlechtes Gewissen beim Fleischverzehr. Tatsächlich wollte ich nicht, dass auch nur ein einziges Tier wegen mir getötet werden musste, was somit auch Fische einschloss. Die Wahrheit ist allerdings, dass ich mir lange nicht vorstellen konnte, tatsächlich auf Fleisch zu verzichten. Die Fastenzeit vor Ostern kam mir damals gerade recht und ich beschloss, mich während dieser Wochen rein vegetarisch zu ernähren und danach wieder in meine früheren Ernährungsgewohnheiten zurückzu­kehren – bis zum nächsten Osterfest. Überraschenderweise war es für mich aber derart einfach, diese fleischlose Ernährungsvariante aufrecht zu erhalten, dass ich am Ende der Fastenzeit beschloss, bis auf weiteres Vegetarierin zu bleiben – mit dem Zugeständnis an mich selbst, jederzeit wieder damit aufzuhören, wenn mich Heißhungerattacken oder Mangelerscheinungen quälen würden. Seit dieser Entscheidung vor vielen Jahren, die ich für eine der besten meines Lebens halte, vermisste ich Fleisch oder Fisch keine einzige Minute. Mittlerweile ist aus dem anfänglichen Versuch eine fixe Lebenseinstellung geworden. Doch Vegetarierin zu sein, heißt nicht nur, auf Fleisch, Fisch und Wurst zu verzichten, sondern auch auf die meisten Fruchtgummis, die Gelatine enthalten, und auf Käsesorten, die mittels tierischem Lab entstehen. Beides ist für Vegetarier tabu, denn das tierische Eiweiß Gelatine wird aus Knochen hergestellt und die benötigten Bestandteile von Lab werden aus Kälbermägen gewonnen. Glücklicherweise gibt es mittlerweile allerdings viele Alternativen, die Gelatine ersetzen und auch viele Käsereien, die auf mikrobielles Lab umgestellt haben, wodurch sich der tatsächliche Verzicht in Grenzen hält.

      Mit einer Nebenwirkung hatte ich allerdings tatsächlich zu kämpfen und das war ein akuter Eisenmangel. Anämie ist eine der häufigsten ­Mangelerkrankungen des Menschen und nicht automatisch der vegeta­rischen Ernährung zuzuschreiben, doch bei mir persönlich war es tat­sächlich so. Auch wenn es theoretisch möglich ist, die notwendigen Eisenanteile aus der pflanzlichen Nahrung zu beziehen, habe ich mich dennoch dafür entschieden, das Eisen von außen, sprich durch Tabletten, zu mir zu nehmen. Lange war mir der

Скачать книгу