Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path. Daniela Leinweber

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Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path - Daniela Leinweber

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in erster Linie einem Mangel an Eisen zugeschrieben werden. Wie ausge- prägt die Anämie tatsächlich war, wurde erst festgestellt, als ich ein Blutbild für ­meine bevorstehenden Wiederherstellungsoperationen machen musste.

      Training für den SWCP.

      Der massive Gewichtsverlust von mittlerweile 56 kg hatte deutliche Spuren an meinem Körper hinterlassen. Mein extrem schwaches Binde­gewebe konnte trotz der Langsamkeit der Abnahme nicht Schritt halten und so waren nun zwar die Fettzellen kleiner, doch die überschüssige Haut war geblieben. Die Schürze rund um den Bauchbereich entzündete sich immer wieder, meine Brust hatte schon bessere Tage gesehen und die Oberarme gingen fast als Engelsflügel durch, so allumfassend war der ­Radius bei jeder einzelnen Bewegung. Als ich mir dann beim Zumba ­ständig mit den schwingenden Armen selbst ins Gesicht schlug, wusste ich, dass es genug war und dass ich mich nun doch mit der Operation, die ich eigentlich vermeiden wollte, auseinandersetzen musste. Dieser Schritt fiel mir am schwersten in den letzten Jahren. Ich hatte mich im Vorfeld bereits gegen eine bariatrische Operation, also eine Magenver­kleinerung, entschieden, weil ich mir sicher war, dass ich es auch so schaffen konnte; das klappte ja auch, aber nun war es an der Zeit, sich der Realität zu stellen und zu akzeptieren, dass sich die Haut nicht mehr zurückbilden würde. Schwer war für mich etwa die Tatsache, dass ich mich freiwillig unter Narkose setzen lassen sollte, und zwar für viele Stunden. Ich wusste zwar, dass der Anästhesist die Aufgabe hatte, gut auf mich zu schauen, aber ich tat mir trotzdem schwer, das für gut zu be­finden. ­Außerdem hatte ich tatsächlich auch Angst davor, wie das Umfeld rea­gieren ­würde. Eine Bauchdeckenstraffung fanden viele noch als ange­messen, aber dass ich auch gerne wieder eine schöne Brust haben wollte, das konnten viele nicht nachvollziehen, weil das als unnötige Schönheits­operation einge- stuft wurde. Mit dieser Entscheidung ließ ich mir lange Zeit, vor allem, weil ich immer noch übergewichtig war und somit nicht dem ­gängigen Schönheitsideal entsprach – und vermutlich auch nie ent­sprechen werde. Irgendwann war aber klar, dass ich wohl am Ende meiner Reise der Gewichtsreduktion angekommen war und dass dies nun der Körper war, mit dem ich mich auseinandersetzen musste. Das tat ich schließlich auch und ließ mir zuerst Oberarme und Brust operieren, einige Monate später dann den Bauch. Während Brust und Bauch völlig unkompliziert und schmerzfrei waren, riss ich im Bereich der Oberarme eine massive Wundheilungsstörung auf und musste sogar ein zweites Mal operiert werden. Die Hautproblematik hat sich dadurch erledigt, aber über einen gnaden- los schönen, anbetungswürdigen Körper verfüge ich trotzdem nicht, denn wie man es dreht und wendet, aus einem Nilpferd kann auch der beste Schönheitschirurg keine Gazelle machen. An den neuen Bauch und die neuen Oberarme konnte ich mich schnell gewöhnen, aber die veränderte Brust machte mir sehr zu schaffen; auf diese psychische Belastung war ich nicht vorbereitet. Natürlich war sie viel ­schöner als zuvor, doch sie war mir fremd, gehörte irgendwie nicht zu mir. Erst hier wurde mir bewusst, wie wichtig die Brust für mich als weibliche Person ist, und ich ­denke, dass es vielen Frauen ähnlich geht.

      Letzte Weitwanderung vor dem SWCP – der UNESCO Welterbesteig in der Wachau.

      Diese Erkenntnis war allerdings nicht die erste Reise in mein Inneres, um die Tiefen meiner Psyche zu erkunden, sondern eher nur eine Ergänzung zu meinen Erkundungen meiner emotionalen Welt. Wie bereits ­erwähnt bin ich der Meinung, dass die Psyche eine wichtige Säule für eine nachhaltige Gewichtsreduktion ist, und so blieb auch mir nichts anderes übrig, als mich auf die Suche nach möglichen Ursachen zu machen, aus denen sich eine derartige Bewäl­tigungsstrategie entwickelt und in weiterer Folge manifestiert hatte. Als ­Sozialpädagogin ist man in der glücklichen Lage, an Supervision, Men­toring und Coaching gewöhnt zu sein, daher hatte ich nie Berührungsängste mit Therapeuten und war auch alternativen Therapieformen gegenüber aufgeschlossen. So entstand im Laufe der Zeit ein bunter Mix aus Gesprächen, kinesiologischen Sitzungen und cranio-sacralen Behand­lungen mit dem Ziel, zu dem Zeitpunkt zurückzukehren, von dem an ­Essen für mich diesen wichtigen Stellenwert eingenommen hatte. Gleich vorweg, hundertprozentig weiß ich es auch heute noch nicht, aber mit ziemlicher Sicherheit ist die Ursache in meiner Kindheit und meinem ­Verhältnis zu meinen Eltern und Geschwistern zu finden. Ich hatte oft das Gefühl, nicht gut genug zu sein, und auch wenn das wohl damals schon nicht der Wahrheit entsprach, so entsprach es doch meinen ­Empfindungen. Ich war weder besonders talentiert noch mit natürlichem Charme gesegnet und so gab es für mich nur die einzige Möglichkeit, mich durch gute Noten in der Schule zu profilieren. Als gute Noten aber nichts Besonderes mehr waren, ging auch diese positive Bestätigungssequenz verloren, und Schokolade wurde immer mehr zu meinem Seelentröster. Der kurz empfundenen Freude über den Genuss folgte in der Regel ein schlechtes Gewissen, das mit einem weiteren Stück Schokolade vertrieben werden musste. Ein ­Teufelskreis, aber zumindest ist wissenschaftlich fast bewiesen, dass ­Schokolade die Gehirnleistung positiv beeinflusst, und so waren wenigstens die guten Noten gesichert. Eine weitere Ursache dürfte das Bedürfnis nach Gesehenwerden gewesen sein. Je dicker ich wurde, umso besser konnte ich von anderen Menschen gesehen werden. Dass ­dieses Sehen aber nichts mit Bewunderung, sondern im besten Fall mit Ignoranz, wahrscheinlicher aber mit Abscheu einherging, realisierte das Unterbewusstsein wohl nicht zeitgerecht.

      Heute bin ich mir ziemlich sicher, dass es die Akzeptanz und das Wissen darum, dass meine Eltern in meiner Kindheit ihr Bestes gaben und mich auf ihre ganz eigene, besondere Weise liebten, waren, die mich schließlich in meinen Diätbemühungen durchhalten ließen. Ich weiß aber auch, dass Adipositas das Thema meines Lebens bleiben wird und auch, dass ich meist nur einen Wimpernschlag davon entfernt bin, in meine ­alten Gewohnheiten zurückzufallen und wieder zuzunehmen. Es würde nur eine Zeit geben, zu der Zunehmen ziemlich unwahrscheinlich wäre, nämlich genau dann, wenn ich mein tägliches Wanderpensum am SWCP herunterspulen würde und endlich zwei Monate lang keine Kalorien ­zählen müsste.

      Die offizielle Vorbereitung auf die Weitwanderung am SWCP begann ziemlich genau eineinhalb Jahre im Vorhinein mit dem Kauf eines geeigneten Wanderrucksacks. ­Dafür fuhren wir ins ferne Wien und begaben uns zum Bergfuchs, dem Schlaraffenland der Outdoorausrüstung. Es war unmöglich, uns selbstständig durch den Dschungel der angebotenen Wandertaschen zu wurschteln, und so beschäftigten wir einen Angestellten gute zwei Stunden, bis wir uns endlich entscheiden konnten. Uns überraschte vor allem, dass fast kein Rucksack wasserdicht war. Dabei gehörte Regen zu den größten Gefahren unseres Abenteuers, besonders für die Kleidung, und so mussten wir uns nicht nur den Rucksack, sondern auch die dazugehörige Regenhülle und ihr Verschlusssystem gut anschauen. Meine Wahl fiel auf den Gregory Amber Damenrucksack, den ich fortan immer liebevoll Greg nannte, mit einem Fassungsvermögen von 60 Litern. Peter entschied sich für einen Deuter Aircontact 55 + 10, der von vornherein ein wenig schwerer als ­meiner war. Beim Wandern entscheidet das Gewicht der Ausrüstung oft darüber, ob die Tour zu einem unvergess­lichen Naturerlebnis wird oder zu einer endlosen Schinderei, bei der man nur mehr ans Ziel kommen will. Daher beschloss ich, jedes einzelne Stück, das mit mir die lange Reise antreten durfte, auf einer Küchenwaage abzuwiegen, und entschied danach noch einmal, ob ich es tatsächlich brauchen würde. Dafür schrieb ich Listen, Maßangaben und Auswahlmöglichkeiten, bis ich schließlich auf annehmbare 8,25 kg ohne Getränke und Lebens­mittel kam. Ich war sehr zufrieden mit mir selbst und wollte meine aus­geklügelte ­Methode auch meinem Göttergatten nahebringen. Dem war das aber völlig egal, denn schließlich brauche er, was er brauchte, und das nähme er auch mit erklärte er mir, schmiss alles in seinen Rucksack und kam dabei auf das unfassbare Gewicht von 8,45 kg. Wegen 200 g habe ich mir also all die Mühe gemacht? Wobei, hätte ich das genauso gehandhabt wie Peter, würden wir ja nicht von 200 g, sondern eher von zwei Kilo reden. Vor dreißig Jahren wären wir wohl noch mit weitaus weniger Gepäck gereist, denn damals hatte noch niemand eine Ahnung davon, wie sehr die ­digi­tale Welt unseren ­Lebens- und auch Reisestil beeinflussen würde, aber heutzutage erhöht ­allein unser technisches Equipment, das wir auf Wanderungen

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