Schritt für Schritt – Unterwegs am South West Coast Path. Daniela Leinweber
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Nach einem ewig langen Weg am Heathrower Flughafen kommen wir bei der Central Station an, wo wir als erstes lesen, dass sich unser Bus um eine dreiviertel Stunde verspäten wird, was heißt, dass wir jetzt die nächsten drei Stunden am Busbahnhof festsitzen. Die Zeit vertreiben wir uns mit Warten, denn viel mehr kann man hier nicht machen. Als der National Express, der uns in Somersets Hauptstadt Taunton bringen soll, endlich eintrifft, merken wir sofort, dass wir uns die falschen Plätze reserviert haben. 1. Reihe rechts, dachten wir uns, sei eine gute Wahl, denn da kann man durch die große Scheibe des Busses frontal alles beobachten. Unser Gehirn wusste zwar theoretisch, dass in Großbritannien Linksverkehr herrscht, doch praktisch hat es uns nicht weitergegeben, dass dann auch der Busfahrer vor der 1. Reihe rechts sitzt. So ein Schmarren. Wir sehen also gar nichts von vorne und seitlich ist es auch schwierig, denn die Fenster strotzen nur so vor Staub- und Matschtropfen. Noch dazu kommt, dass die Klimaanlage defekt ist, und so sucht sich die kalte Luft ihren ganz eigenen Weg, um dem System zu entkommen, und dieser endet genau oberhalb meiner rechten Schulter. Da der Bus aber ziemlich voll ist, können wir den Gedanken, die Plätze zu wechseln, ad acta legen. So versuche ich, die Spalten mit Taschentüchern zuzustopfen, doch durch den Windzug gleiten sie sacht, aber schnell, wieder zurück auf meinen Schoß. Vor einer Stunde hatte ich den Jamaikaner auf der linken Seite, der im Sommer eine Haube trägt, noch belächelt, jetzt wäre ich bereit, für diese Haube meinen letzten Penny zu geben. Mein diesbezügliches Angebot nimmt er irgendwie nicht ernst, aber so entsteht zumindest ein nettes Gespräch und es stellt sich heraus, dass auch er nach Minehead unterwegs ist. Auf meine Frage, ob er denn auch wandern würde, lacht er schallend: „Are you crazy? Definitely not!“ Vermutlich sind wir tatsächlich ein wenig verrückt, aber nicht verrückter als so viele vor uns, die diesen Weg schon erfolgreich gemeistert haben.
Die Reise verzögert sich erneut, denn plötzlich müssen wir kurz nach Bristol auf eine Autobahnraststelle und den Bus wechseln. Ein Passagier eines anderen Busses hat ein Fensterglas eingeschlagen und die Busfahrerin traut sich nicht damit bis nach London zu fahren. So müssen wir den kaputten Bus, na gut, den Bus mit dem kaputten Fenster, übernehmen, denn unser Weg sei nicht mehr so lang, werden wir aufgeklärt. Schließlich kommen wir doch in Taunton an und dieses Mal haben wir Glück, denn der Anschlussbus steht direkt bereit. Zwei Stunden später als geplant erreichen wir schließlich das beschauliche Städtchen Minehead. Dieses ist zwar mit knapp 10.000 Einwohnern die größte Stadt der Exmoor Region, aber dennoch eher klein gehalten. Schnell wird auch klar, dass es die beste Zeit wohl schon hinter sich hat, im Sommer aber immer noch ein beliebtes Touristenziel ist. Und wer zum jetzigen Zeitpunkt hier Urlaub macht, der hat unglaubliches Glück mit dem Wetter, denn es zeigt sich von seiner wunderschön sommerlichen Seite. Kein Wölkchen trübt den dunkel- blauen Himmel und auch wir sind ganz begeistert. Wir schlendern die Promenade entlang, kaufen uns ein kleines Abendessen und Wasser für morgen und dank Google Maps, das uns in den nächsten Wochen noch großartige Dienste leisten wird, finden wir problemlos unsere Unter- kunft „The Quay Inn“. Wie die Stadt hat auch unser „Pub with Rooms“ bereits bessere Zeiten gesehen. Das Zimmer ist klein und die Möbel sind abgenutzt, aber es ist makellos sauber und das ist mir ohnehin am wichtigsten.
Da das Hotel nur 70 Meter von der Startskulptur das South West Coast Path entfernt liegt, können wir uns nicht zurückhalten und laufen die paar Schritte vor, um bereits die ersten Fotos zu machen. Wie lange habe ich mich auf diesen Augenblick gefreut? Wie oft habe ich mir die Skulptur bereits auf Bildern angesehen? Jetzt wirklich davor zu stehen, ist ein absolut erhebendes Gefühl. Endlich ist die Vorfreude auch wieder zurück, ich kann es kaum erwarten, bis es morgen endlich los geht! Ich freue mich!
Startskulptur in Minehead.
„Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt.“
Konfuzius
Tag 1
Strecke: Minehead nach Porlock Weir
15,3 km – 556 hm – 3,18 km/h
am Pfad: 15,3 km
Unterkunft: Locanda on the Weir, £ 100,– empfehlenswert
Wolken, Regen, Sonne
Die Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase und nach einer wunderbaren, erholsamen Nacht erwache ich völlig ausgeruht und topfit aus meinem Dornröschenschlaf neben dem Menschen, der bereits seit 27 Jahren mein Prinz ist, um nun auch tatsächlich mit meinem großen, lebensverändernden Abenteuer zu starten. Genau so habe ich es mir gewünscht und genau so habe ich es mir auch viele Male in meiner Fantasie ausgemalt. Jetzt allerdings kommt die Realität dazwischen. Sie gibt mir bereits am ersten Tag einen Vorgeschmack dessen, was mir in den kommenden zwei Monaten immer wieder begegnen wird. Meine romantischen Vorstellungen vom Path haben nur in den seltensten Fällen etwas mit der Wirklichkeit zu tun. Auch diese Nacht habe ich mehr wachend als schlafend verbracht. Wenig motiviert suche ich im Rucksack nach meinen Kinesio-Tapes. Das jahrzehntelange „Ich bin nicht dick, sondern nur zu klein für mein Gewicht“ hat großen Schaden an meinen Knien und Knöcheln hinterlassen, der irreversibel ist und ich somit ein wenig tricksen muss, um die lange Zeit, die nun vor mir liegt, möglichst schmerzfrei zu erleben. Dazu gehört einerseits, dass ich im Vorfeld schon fleißig Physiotherapie gemacht und das richtige Anbringen von kinesiologischen Tapes erlernt habe und andererseits, dass mich mein Nachbar die Woche vor der Ab- reise komplett niedergespritzt hat. Gut, das hört sich schlimmer an, als es ist und heißt nichts anderes, als dass ich das Glück habe, dass mein Nachbar, ein Facharzt der Orthopädie, meine Knie infiltriert hat, um mir so die größten Schmerzen zu nehmen. Diesbezüglich bin ich also wunderbar vorbereitet.
Der erste von 4.000 Wegweisern – immer der Eichel nach.
Als es endlich Zeit fürs Frühstück wird, sind wir die ersten Gäste und machen Bekanntschaft mit dem hier so typischen „Full English Breakfast“. Es besteht aus mehreren Gängen und die Bezeichnung „Kalorienbombe“ würde dem Ganzen nicht annähernd gerecht werden. Es beginnt mit einem Orangensaft und/oder einer Grapefruit, gefolgt von Porridge, das auch auf die Namen Oatmeal, Haferbrei oder Frühstücksflocken hört. Danach wird ein reich gefüllter Teller mit gebratenem Schinkenspeck, Würstchen, einer halben gegrillten Tomate, Baked Beans, gebratenen Champignons und Spiegel- oder Rührei serviert. Je nach Region kommen auch noch Hash Browns, also Kartoffelecken, und ein Black Pudding hinzu, bei uns vor allem unter dem Begriff „Blunzn“, also Blutwurst, bekannt. Den krönenden Abschluss bildet dann ein Toast mit gesalzener Butter und Zitrusmarmelade, meistens aus Orangen, ab und an auch aus Zitronen oder Limetten. Selbstverständlich gibt es auch Unmengen an Tee, aber so gut wie nie Kräuter- oder Früchtetee, sondern grünen, schwarzen und weißen, die allerdings in Hülle und Fülle. Der klassische Frühstückstee wird hier mit Milch getrunken, wobei die Frage, in welcher Reihenfolge man Tee und Milch in die Tasse gießt, das gesamte Königreich in TIF – Tea In First – und MIF – Milk In First – spaltet. Damit ich mich hier nicht einer Fraktion anschließen muss, wähle ich lieber Kaffee, wobei ich gleich darüber informieren möchte, dass die Engländer das Kochen von Kaffee ganz bestimmt nicht erfunden haben. Trotzdem steigt der Kaffeekonsum der Briten seit dem Ende des letzten Jahrtausends jährlich an: Im Jahr 2018 wurden 95 Millionen Tassen Kaffee pro Tag getrunken. Aber noch hat der traditionelle Tee keinen Grund zur Sorge, denn davon werden täglich 165 Millionen Tassen getrunken.
Nachdem wir also ein Frühstück verspeist haben, das eher danach schreit, sich keinen Zentimeter mehr zu bewegen, holen wir doch unsere Rucksäcke und machen uns endlich