Wassergeld. Harald Schneider
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»Das könnte gut sein«, antwortete ich. »Der Deich ist an mehreren Stellen gerissen. Im Moment läuft der Marx’sche Weiher voll und wir rechnen damit, dass danach dieser Campingplatz dran ist.«
»Scheiße!«, schrie Metzger. »Mensch, gehen Sie mal zur Seite, ich muss mit meinem Reisemobil auf die Straße.«
Das hätten wir besser sein lassen. Der Arzt setzte sich hinter das Lenkrad und gab vorsichtig Gas. Gerhard und ich betrachteten die Befreiungsversuche von einer Seite des Wohnmobils aus. Es kam, wie es kommen musste. Die Vorderräder ruckelten über die Fußmatten, um danach erneut in den schlammigen Untergrund zu rutschen. Dreckfontänen spritzten uns entgegen und sauten uns, und was noch schlimmer war, unsere Anzüge ein. Auweia, das würde Ärger mit Stefanie geben. Doktor Metzger drückte gefühllos das Gaspedal nieder, was normalerweise ein tieferes Einsinken zur Folge gehabt hätte. Er hatte Glück. Unter dem Schlamm, der zum Großteil auf uns niedergegangen war, befand sich fester Untergrund. Metzgers Wohnmobil machte einen erneuten Satz und befand sich wieder auf dem Weg. Hupend und durch das Seitenfenster winkend fuhr er davon. Zwei Päckchen Taschentücher für unsere Säuberung waren alles, was Gerhard in seinem Dienstwagen fand.
Inzwischen war der Graupel wieder in Regen übergegangen. Im Schritttempo fuhren wir weiter in Richtung Altrip. Wir waren nicht mehr allein. Einige Streifen- und Krankenwagen waren während unseres Gesprächs mit Doktor Metzger auf der Kreisstraße vorbeigefahren und kurvten jetzt wahrscheinlich auf dem weiträumigen Campingplatz herum. Ich konnte mir gut vorstellen, dass bei diesem Morast nicht alle Fahrzeuge problemlos zur Straße zurückfinden würden.
Da der lang gezogene Marx’sche Weiher nur wenige Baumreihen vom rechten Straßenrand aus entfernt lag, konnte ich sein Ende gut erkennen. Etwa 200 Meter weiter knickte rechts die Rheinauenstraße ab. Sie führte um die kurze Seite des Weihers und mündete als Rampe für kleine Boote direkt im Wasser des Altrheins. Eine schmalere Verlängerung der Rheinauenstraße bildete den Deich zwischen Altrhein und Marx’schem Weiher. Die Deichkrone war asphaltiert und ausschließlich für Fahrräder und Fußgänger zugelassen. Kurz bevor die Straße einen Knick in Richtung Altrhein machte und als Rampe endete, stand rechts das Restaurant Rheinblick. Das Gebäude wirkte wie ein zu klein geratenes Wasserschloss. Mit Ausnahme des Zufahrtsweges war es komplett von Wasser umgeben. Der Deich, der den Altrhein und den Marx’schen Weiher trennte, ragte nach meiner Schätzung höchstens 1,50 Meter aus dem Wasser heraus. Gerhard fuhr auf den Rheinblick-Zufahrtsweg und parkte.
»Pass auf, wo du hintrittst«, warnte mich mein Kollege beim Aussteigen. »Hier gibt’s zwar keinen Matsch wie drüben bei Metzger, dafür aber sehr tiefes Wasser.«
In der Tat war neben der Deichstraße nur ein kleiner Teil der Böschung zu sehen, der Rest war Land unter. Wir liefen die Deichkrone entlang. Schemenhaft konnten wir in einiger Entfernung einen mobilen Kran ausmachen, an dessen Ausleger starke Strahler befestigt waren. Den dazu benötigten Dieselgenerator konnten wir deutlich hören. Einen Bagger, dessen Silhouette etwas seltsam auf uns wirkte, konnten wir ebenfalls ausmachen. Als wir näher kamen, erkannten wir, dass er mehr als zur Hälfte im Weiher versunken war. Untätig standen ein paar Männer an der 15 Meter breiten Deichbruchstelle herum. Ich zeigte meinen Ausweis. Nachdem er unsere Kleidung kritisch gemustert hatte, stellte sich einer der Herren als Franz Mangold vor.
»Haben Sie keine Schutzkleidung? Wir sind hier nicht im Büro!«, ereiferte er sich.
Ohne ihm darauf eine direkte Antwort zu geben, bat ich ihn, mir die Situation zu beschreiben.
Er deutete mit seiner Hand auf die starke Strömung, die in Richtung Marx’scher Weiher verlief. »Als wir hier ankamen, war der Bruch nur halb so breit. Die Strömung ist so stark, dass ständig weiteres Material des Deiches abgeschwemmt wird. Mit dem Bagger wollten wir eine kleine Barriere aufstellen, doch den hat’s sofort in die Fluten gerissen. Der Baggerführer konnte sich gerade noch retten.«
»Und was haben Sie als Nächstes vor?«, fragte ich wissbegierig.
»Solange es regnet und das Pegelniveau zwischen Altrhein und Weiher unterschiedlich ist, können wir nicht viel machen. Bis morgen Abend wird das bestimmt noch andauern. Dann müssen wir mit Lkws neues Deichmaterial anschaffen. Und das auf diesem kleinen asphaltierten Radweg. Können Sie sich vorstellen, wie lange das dauert? Jeder Lkw muss rückwärts über die Deichkrone fahren und dann abladen. Einer nach dem anderen. Überholen geht ja nicht.«
»Wie sieht’s an den anderen Bruchstellen aus? Es sollen insgesamt drei sein.«
»Ähnliches Bild. Den mittleren Bruch hat die Wasserschutzpolizei unter Aufsicht. Die kurvt da draußen mit ihrem Boot herum. Diese Stelle können wir erst reparieren, wenn die beiden äußeren wieder okay sind. Das wird wahrscheinlich Mitte nächster Woche sein.«
»So lange?«, fragte ich erstaunt.
»Sie haben ja keine Ahnung. Es reicht nicht, ein paar Tonnen Sand hinzukippen. Die würden sofort wieder wegschwemmt werden. Das Zeug muss verdichtet werden. Versuchen Sie mal, nassen Sand zu verdichten.«
»Wir haben eine Meldung bekommen, dass es vor zwei Stunden ein paar Explosionen gab. Wissen Sie davon?«
»Nur vom Hörensagen«, antwortete Herr Mangold. »Es muss aber nicht zwangsläufig hier geknallt haben. Der Camper, der uns das mitteilte, war ziemlich betrunken.«
»Können Sie uns etwas zu den Ursachen des Deichbruchs sagen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, so etwas wie hier habe ich noch nie erlebt. An drei Stellen gleichzeitig und das bei der Hochwassermarke 1. Vielleicht liegt ein Konstruktionsfehler vor, wer weiß?«
»Kann der Deich auch gesprengt worden sein?«
»Das würde ich verneinen. Warum sollte das jemand tun? Terroristisch lohnende Ziele gibt’s hier nicht. Ferner bräuchte man da schon eine Menge Sprengstoff und an so etwas ist nicht leicht ranzukommen. Das müsste eigentlich auch jemand gesehen haben. Es reicht schließlich nicht, den Sprengstoff auf den Deich zu legen. Da müssen Bohrungen gemacht werden, um das Zeug möglichst tief zu versenken. Sonst spritzt nur ein bisschen Sand in der Gegend herum. Aber wenn Sie möchten, können wir gerne einen Sprengstoffspürhund anfordern.«
Ich bat ihn, das möglichst bald zu tun. »Was meinen Sie, werden die Campingplätze hinter der Kreisstraße etwas abbekommen?«
Mangold starrte mich an. »Sie wollen von der Kripo sein? Dann sollten Sie wissen, dass die Evakuierung bereits auf vollen Touren läuft. Es ist nur eine Frage der nächsten Stunden, bis die Straße unter dem plötzlichen und ungeheuren Druck bricht. Wenn sich dann drüben noch jemand aufhält, hat er keine Chance mehr. Die Strömung wird alles mitreißen. Und am Deichbruch werden wir es auch spüren. Bevor nicht alles Land unter ist, brauchen wir mit der Reparatur nicht anzufangen. Das überflutete Gebiet wird annähernd die Größe des geplanten Polders haben.«
Ja, der Polder, dachte ich. Nordwestlich, direkt angrenzend an diese Campingplatzanlage und in direkter Nachbarschaft zu Altrip, wird ein 300 Hektar großes Überlaufbecken mit neun Millionen Kubikmeter Fassungsvermögen als Teil des rheinland-pfälzischen Hochwasserschutzkonzeptes gebaut. Die Bürger der umliegenden Gemeinden gingen seit Jahren auf die Barrikaden,