Fremde und Fremdsein in der Antike. Holger Sonnabend
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Fremde und Fremdsein in der Antike - Holger Sonnabend страница 11
Manches wird gönnerhaft für gut befunden (»Das ist ein Brauch, den ich lobe«), Kritik wird nicht geübt. Eigentlich ist Herodot von den Persern und ihrer Kultur fasziniert – doch unter den neuen Vorzeichen in der Zeit nach den Perserkriegen war dies nicht mehr erwünscht. Auch Herodot muss diesem neuen Denken Rechnung tragen. Wenn er in seinem Vorwort die Taten von Griechen und Barbaren erwähnt, so ist dieses und trennend und nicht verbindend. König Xerxes, der die militärischen Unternehmungen der Perser in Griechenland persönlich leitete, wird von ihm alles andere als freundlich beschrieben.
Acht Jahre nach der Schlacht von Salamis sorgte in Athen ein Theaterstück für Furore. Der Autor katapultierte sich damit in die erste Riege der griechischen Tragiker. Das Stück des Aischylos trug den Namen Die Perser – eine dramatische Auseinandersetzung mit der Seeschlacht von Salamis, in der die Griechen der persischen Flotte eine schwere Niederlage bereitet hatten.
Römische Marmorbüste des Aischylos, 30 v. Chr., nach einem griechischen Bronzeoriginal, 340–320 v. Chr., Archäologisches Nationalmuseum Neapel
Dem griechischen Publikum präsentierte Aischylos das Thema aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Nicht etwa jubelnde Griechen, sondern trauernde Perser beherrschen die Szene. Schauplatz ist die persische Königsresidenz Susa. Hier informiert ein Bote über den Ausgang der Schlacht. Allgemeines Gejammer und Geklage ist die Folge. Dramaturgisch geschickt findet die Handlung vor dem Grab des verstorbenen Königs Dareios statt, der kurz aus dem Reich der Toten auftauchen darf und einen beeindruckenden Auftritt hat. Eine prominente Rolle spielt Atossa, die Mutter des unglücklichen Königs Xerxes, der am Schluss als in ein zerrissenes Gewand gehüllter, gedemütigter Kriegsheimkehrer auf der Bühne erscheint.
Aischylos wird heute sehr gelobt für seine Darstellung der Perser in den Persern. Nicht zuletzt deswegen gehört das Werk konstant zum Repertoire moderner Theater. Er degradiert, so wird gesagt, die Perser nicht zu reinen Statisten, zu Objekten eines Triumphs der Griechen. Er belässt ihnen ihre Würde. Die Perser klagen, aber sie klagen stilvoll. Und er widersteht der Versuchung, aus dem Sieg von Salamis eine grundsätzliche Überlegenheit der Griechen über die Barbaren abzuleiten. Die Griechen siegten bei Salamis nicht, weil sie besser waren, sondern weil die Götter auf ihrer Seite standen. Die Götter bestraften den ehrgeizig-skrupellosen König Xerxes, weil er Griechenland erobern wollte und weil er für viele Freveltaten verantwortlich war. Der Störfaktor Xerxes brachte das gottgewollte Gleichgewicht der Mächte in Unordnung.
Aber wurde Aischylos mit den Persern tatsächlich zu einem Anwärter auf einen (imaginären) Preis für Frieden, Freundschaft und Verständigung in der Antike? Aischylos dachte nicht an den Beifall des 21. Jahrhunderts. Er dachte an die Gunst der Gegenwart, und das bedeutete für einen griechischen Bühnenautor, beim Publikum Erfolg zu haben. Theateraufführungen wurden im antiken Griechenland als Wettbewerbe durchgeführt. Es wurden hintereinander meist drei Stücke gespielt, dann stimmte eine Jury (die sich gerne von den Reaktionen des Publikums beeinflussen ließ) über die Platzierung ab. Aischylos hatte mit den Persern Erfolg, er kam auf Platz eins. Er traf also den Geschmack des Publikums. Acht Jahre nach Salamis war die Erinnerung an dieses Großereignis, das patriotisch gefeiert worden war, noch sehr frisch. Sympathiewerbung für tapfere Perser wäre hier fehl am Platz gewesen. Die Menschen, die in einem Theater in Athen das Stück sahen, waren gewissermaßen live dabei, wie die Nachricht von der Niederlage bei den erfolgsverwöhnten, siegessicheren Persern im fernen Susa einschlug.
Das Jammern und Klagen am persischen Königshof rief beim Publikum nicht Bewunderung und Respekt hervor, sondern Stolz auf sich selbst – eine Wirkung, die Aischylos einkalkuliert hatte. Im Leiden der Perser feierten die Griechen ihren Erfolg – über die »Barbaren«, denn so lässt Aischylos die Perser in dem Stück sich selbst bezeichnen. Im Übrigen war Aischylos von seiner eigenen Biografie her kein unbedingter Freund der Perser. Bei Marathon und Salamis hatte er aktiv für die Griechen gekämpft. Sein Bruder war bei Marathon ums Leben gekommen. Auf seinem Grabstein ließ er eine Inschrift anbringen, die seine Tapferkeit in der Schlacht von Marathon rühmt. So sind seine Perser auch Reflex seiner ganz persönlichen Erfahrungen mit den Persern.
Spezial: Fremde unerwünscht! Die Olympischen Spiele der Antike
Olympia – ein internationales Völkerfest. Das ist der Anspruch, seit 1896 die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit stattfanden. In der Antike waren die Olympischen Spiele, die alle vier Jahre im heiligen Hain von Olympia stattfanden, zunächst eine exklusive Angelegenheit für Griechen – genauer: für junge männliche Athleten griechischer Herkunft. Barbaren waren nicht zugelassen. Wer bei Olympia dabei sein wollte, musste gegenüber den Organisatoren den Nachweis erbringen, dass er Grieche war, etwa durch Sprachkenntnisse, die Zugehörigkeit zu einer griechischen Stadt oder die Verbundenheit mit der griechischen Religion. Nicht zugelassen waren anfangs Athleten aus Makedonien. Die Bewohner dieser Landschaft im Gebiet des Olymps galten den Griechen, obwohl sie mit ihnen ethnisch verwandt waren, als Barbaren. König Alexander I., ein Vorfahr des großen Alexander, empfand diese Zurückweisung als Diskriminierung. Mit großem Gefolge erschien er, wie Herodot (5,22) berichtet, in Olympia und marschierte schnurstracks dorthin, wo die Läufer sich auf ihren Wettbewerb vorbereiteten, ganz offensichtlich in der Absicht, mitzulaufen. Die Begeisterung der anderen Sportler, einen veritablen König im Teilnehmerfeld zu sehen, hielt sich jedoch in engen Grenzen, sie forderten seinen Ausschluss mit der Begründung, der Wettkampf sei nicht für fremde, sondern nur für griechische Athleten gedacht. Das war ein Fall für die Schiedsrichter, sie verlangten, dass der König eine griechische Herkunft nachweise. Alexander war gut vorbereitet und legte dar, dass er von seinen Vorfahren her aus der griechischen Stadt Argos stamme. Diese Begründung wurde akzeptiert, Alexander trat an – und gewann? Das wäre des Guten dann doch zu viel gewesen. Aber die Wettkampfrichter waren weise genug, salomonisch zu entscheiden, dass er genauso schnell gelaufen war wie der Sieger.
Später, als die Römer die Herrschaft über Griechenland übernahmen, wurde die Schranke zwischen Griechen und Barbaren aufgehoben. Schließlich waren in der Sicht der Griechen auch die Römer Barbaren. So stand die Teilnahme an den Olympischen Spielen jetzt allen offen. Bis zum Verbot der Spiele durch den römischen Kaiser Theodosius 393 n. Chr. waren die Spiele nun eine internationale Angelegenheit.
5. Exotische Fremde – Ethnografie und Mythos
Das Fremde hatte es in der Antike leichter, wenn es weiter entfernt lag. Je exotischer, desto besser. Von fernen Fremden war man fasziniert, weil man ihnen, anders nahen Fremden, entspannt und offen begegnen konnte. Diese Haltung hat die Antike nicht exklusiv gepachtet, sondern scheint so etwas wie eine anthropologische Konstante zu sein – wenn man nur daran denkt, wie Europa im Mittelalter und der Frühen Neuzeit dem Fernen Osten oder in der Neuzeit der karibischen Inselwelt begegnet ist. Fremde Völker, fremde Sitten und fremde Landschaften dienen dabei immer auch als Projektionsflächen eigener Wünsche und Sehnsüchte. Und sie befriedigen die Neugier und lassen staunen.
So wurden in der griechischen Geografie und Ethnografie die Völker am Rande der Oikumene, der bewohnten, vom Weltmeer, dem Okeanos, umgebenen Landmasse, zu wundersamen Gesellschaften stilisiert. Exotische Fremde wurden im – aus griechischer Sicht – äußersten Süden, Osten, Norden und Westen angesiedelt. Je ferner, desto exotischer. Ein typisches Beispiel für die klassische Zeit wird von dem auch in dieser Hinsicht sehr auskunftsfreudigen Herodot geliefert (4,185). Dort, wo der griechische Schriftsteller des 5. Jahrhunderts v. Chr. die in Libyen lebenden Menschen porträtiert, nimmt er seine Leser und Hörer mit auf eine Reise zu