Da ist mehr, noch so viel mehr .... Andrea Volkelt
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Geduldig hörte Renate zu. Ich sah sie an, sie erwiderte mein Lächeln etwas gequält, oder bildete ich mir das ein? Die Mittagspause war ohnehin zu Ende, keine Zeit für mehr. Wir öffneten kurz die Fenster. Schnell und konzentriert erledigten wir die anstehenden Aufgaben und am Abend verabschiedete ich mich in den Urlaub.
Drei Wochen später traf ich wieder im Büro ein. Renate wirkte verändert. Sie strahlte und erschien mir gelöster als zuvor. »Was ist denn mit dir los? Gibt es was Neues?«
»Ja.« Die Lachfältchen um ihre Mundwinkel vertieften sich. »Das muss ich dir in der Pause erzählen. Ist ne längere Geschichte.«
Was war nur während meines Urlaubs passiert? Hatte sie womöglich einen Heiratsantrag bekommen?
»Los, wir gehen in den Park, damit wir ungestört reden können, ich bin so neugierig.«
Der ganze Park war voll alter Eichen. Wir setzten uns auf eine Bank unter einer der größten. Was die Bäume alles erzählen könnten, dachte ich noch. Da fing Renate schon an: »Ich habe mein Leben grundlegend verändert, unmittelbar nachdem du die Karten gedeutet hast.«
Entsetzt riss ich die Augen auf, sog die Luft tief ein und hielt den Atem an. Dann blies ich langsam den Atem durch die Lippen und wartete ab.
»Es war lange schon fällig, ich konnte niemandem davon erzählen, weil ich mich geschämt habe. Was du mir gesagt hast, hat genau gestimmt, das war ich. Du hast meine Situation haargenau geschildert.«
Ich glaube, mir wird schlecht, dachte ich, wollte etwas sagen und öffnete meinen Mund.
Doch sie hob abwehrend die Hand. »Du hast von den Möglichkeiten gesprochen, die ich hätte, mein Leben wieder lebenswerter zu gestalten. Das hat mir dermaßen viel Kraft und Mut gegeben, dass ich diesen Schritt endlich gegangen bin. Jetzt ist alles gut.«
Langsam löste ich den Blick von ihr. Ich senkte den Kopf, meine Schultern hingen runter. Ein ungutes Gefühl umgab mich. Darf ich durch meine Quasselei Leben verändern?, fragte ich mich und mir wurde richtig mulmig.
»Warum sagst du denn nichts?« Renate beugte sich vor, um in mein Blickfeld zu gelangen. Sie sah mich fragend an und wartete auf eine Antwort.
Langsam fand ich meine Stimme wieder. »Ich bin total verwirrt, muss ich gestehen. Nie hätte ich auch nur ansatzweise gedacht, dass es dich tatsächlich betrifft, und jetzt fühle ich mich gar nicht gut.«
»Was hast du?«
»Mir ist übel.«
»Aber warum denn?«
»Was habe ich mir nur dabei gedacht?« Tränen stiegen mir in die Augen. Das hatte ich nicht gewollt. »Jetzt bin ich verantwortlich. Ich habe Lebenswege verändert. Nie wieder lege ich jemandem die Karten!«
Sie winkte ab. »Das siehst du völlig falsch. Du hast mich befreit. Ohne dich hätte ich den Mut und die Kraft nicht aufgebracht. Letztendlich habe ich doch die Entscheidung selber getroffen. Ich habe immer selbst die Wahl.« Aufmunternd nickte sie mir zu. »Du hast nicht gesagt, ich müsste das tun.« Sie schwieg einen Moment. »Zuerst war ich erschrocken, was du alles wusstest, obwohl ich nie darüber gesprochen habe. Ich musste ein Pokerface auflegen, damit du frei heraus weiterredest. Was wäre gewesen, hättest du gewusst, dass es meine Geschichte ist? Hättest du alles so ehrlich gesagt?«
Wieder eine kleine Pause, in der keiner von uns beiden etwas sagte. Irgendwie musste das erst einmal verdaut werden. Mich fröstelte.
»Kannst du dir denken, woher so ein Talent kommt?«
Gedanken jagten durch meinen Kopf. Mein Magen rebellierte. Wieder schwiegen wir ein paar Minuten. Alles um mich schien sich zu drehen. Dann erzählte ich Renate von dem Urlaub in meiner Kindheit und der Faszination, die die alte Frau und ihre Karten auf mich ausgeübt hatten. Es war ein Spiel für mich gewesen, aber jetzt fragte ich mich, ob das alles schon damals eine Bedeutung gehabt haben könnte. »Dass meine Eltern das damals erlaubt haben.« Und warum eigentlich hatte diese Frau ausgerechnet mich ausgewählt?
Am darauffolgenden Wochenende fuhr ich nach Rosenheim, um in einer Buchhandlung nach Büchern zu diesem Thema zu suchen.
Die Verkäuferin kam auf mich zu.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich suche Bücher über das Kartenlegen.«
»Dann kommen Sie mal mit.«
Ich folgte ihr in die Abteilung mit Büchern der Spiritualität und Esoterik. Scheinbar gefiel ihr mein Interesse. Sie zog verschiedene Bücher heraus und legte mir fünf in die Arme.
»Die kann ich alle wärmstens empfehlen für den Anfang.«
Mit dieser Auswahl zog ich mich in eine Sitzecke zurück. Am Ende entschied ich mich für zwei Bücher.
»Gute Wahl, liebes Fräulein«, sagte sie, »sei dir sicher, wir sehen uns nicht zum letzten Mal!«
Diese Aussage verunsicherte mich. Kann sie etwas sehen, was ich noch nicht weiß?, dachte ich. Jung und neu auf dem Gebiet, wollte ich nicht mein Inneres zu erkennen geben. Ich bedankte mich und ging.
Unweit der Buchhandlung war ein kleiner Stadtpark, hierhin zog ich mich zurück und blätterte durch die Seiten des ersten Buches. Da wusste ich, es würde nicht lange dauern und ich hätte die Bücher verschlungen.
Das gute Zureden von Renate sorgte dafür, dass ich weiter übte. Ich weiß heute nicht mehr genau, wie es kam, aber in meiner Clique blieb meine »Arbeit« mit den Karten nicht unbemerkt. Gut, es waren zwei Personen, die es mitbekamen und zu denen ich ohnehin ein besonderes Vertrauensverhältnis genoss. Diese beiden, Tanja und Peter, waren ein Paar, sind heute verheiratet und gehören zu unseren besten Freunden. Es dauerte nicht lange, da gaben sie mir zu verstehen, sie wüssten, dass diese Dinge funktionierten. Wie genau, das war uns allen nicht bewusst. Tanja erklärte: »Mein Schwiegervater holt sich öfter Rat bei jemandem, der aus dem Kaffeesatz lesen kann.«
Sie fragte, ob ich bereit wäre, ihm die Karten zu legen.
Gesagt getan. Ich sprach alles frei heraus. Teilweise etwas vorsichtiger, aber mit dem Zusatz: »Kannst du damit etwas anfangen oder soll ich es mir nochmal ansehen?«
Meine Überraschung war riesig, als ich zu hören bekam: »Nein, das ist alles klar für mich und genau das hat die Dame mit dem Kaffeesatz auch gesagt!«
Ich war stolz und ziemlich erleichtert, mit meinen Aussagen nicht gänzlich daneben zu liegen. So wurde ich mutiger. Zugleich war das der Beginn für regelmäßige Treffen mit Peters Vater. Für ein paar enge Freunde praktizierte ich die Art von Beratung ebenfalls. Immer öfter sagten sie mir, ich hätte sie bei Herausforderungen unterstützt. Genau dann aber, wenn mir die Freunde ans Herz gewachsen waren, fiel es mir schwerer, denn ich fühlte stark mit. Das belastete mich und es missfiel Sigi, weil er sich Sorgen um mich machte. Ich sah mich allerdings schon ein wenig verpflichtet, wenn ich um Hilfe gebeten wurde, und so führte ich das Kartenlegen ab und an weiter. Je nach Bedarf. Dabei übte ich, stabiler zu bleiben und mir weniger