Extra Krimi Paket Sommer 2021. A. F. Morland
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Alle Notare, mit denen sie bis jetzt zu tun gehabt hatte, waren würdevolle ältere Herren gewesen, um deren ergraute Häupter die Aura des Gesetzes glänzte. Schütz war entweder viel zu jung für ein Notariat oder hatte sich unverschämt gut gehalten, tief gebräunt, mit rabenschwarzen Haaren und dunklen, lebhaften Augen. Er erhob sich nicht, sondern schnellte hoch, als hasste er seinen würdevollen Ledersessel, auf dem er nicht herumzappeln durfte.
»Schütz. Guten Tag, Frau Tepper, was kann ich für Sie tun?«
»Mir fünf Minuten Zeit geben, um eine verrückte Geschichte anzuhören.«
»Verrückte Geschichten sind gut, davon lebe ich«, erwiderte er fröhlich.
»Ich heiße Karin Tepper und war verheiratet mit einem Wolfgang Tepper, bin es vielleicht noch, ich weiß es nicht.«
»Das ist in der Tat ungewöhnlich«, gab der Notar zu und zwinkerte.
»Ich habe nämlich vor sieben Jahren meinen Mann verlassen, nein, ich bin ausgerissen, um es deutlich zu sagen, und mit einem anderen Mann in die Vereinigten Staaten gezogen. Seit diesem Tag habe ich von meinem gesetzlichen Ehemann nie wieder etwas gehört.«
Schütz rieb sich die Hände, er schien ein seltsam unernster Mensch zu sein.
»Nun will ich ihn finden und bin deshalb zu unserem alten Haus gefahren. In dem er nicht mehr wohnt, das Haus ist verkauft worden, vor vier Jahren an ein Ehepaar Alberts und Sie haben den Verkauf beurkundet oder wie man das nennt.« Sie brach ab, weil Schütz eine unbeschreibliche Grimasse schnitt, bevor er mit beiden Händen in seinen Haaren wühlte, als habe er zu viel davon und wolle ihr eine Strähne schenken. »Ist etwas?«
»Mich laust der Affe!«
In letzter Sekunde schluckte sie den Einwand herunter, das tue er schon selbst. »Das darf doch nicht ...« Er drückte auf eine Taste der Sprechanlage: »Eva? Bitte sofort die Akte Tepper, Wolfgang ... Nein, in der Treuhänderabteilung ... Danke.«
Als er sich Karin wieder zuwandte, sah er eine Spur ernsthafter aus: »Gedulden Sie sich bitte eine Minute? Ich glaube, ich warte bereits seit sieben Jahren auf Sie.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte sie verwirrt.
»Gleich, Eva ist sehr - da ist sie ja schon.« Das junge Mädchen lächelte und reichte ihm hastig eine Akte, die er sofort aufschlug, ein kaum hörbares »Danke« murmelnd. Wer für ihn arbeitete, musste sich seinem Tempo anpassen.
»Tatsächlich - Sie heißen Karin Tepper, nicht wahr?«
»Ja, ja.«
»Können Sie sich irgendwie ausweisen - Pass, Personalausweis, Geburts- oder Heiratsurkunde?«
»Ich habe alles dabei«, stotterte Karin betäubt.
»Umso besser. Dann werden Sie diesen Raum sehr viel reicher verlassen, als Sie ihn betreten haben.«
»Ich verstehe nicht ...«
»Entschuldigung, der Reihe nach - und setzen Sie sich besser fest hin!«
Vor sieben Jahren war Wolfgang Tepper hier erschienen, um eine Vermögensfrage mit dem Notar zu bereden. Seine Ehefrau Karin hatte ihn Knall auf Fall verlassen und war seitdem nicht mehr erreichbar. Ihren Entschluss, ihn nie wieder zu sehen, hatte sie in einem handschriftlichen Brief niedergelegt, den er eines Abends in der leeren Küche gefunden hatte. An die leere Kaffeekanne gelehnt, wie sich das so gehörte.
Sie nickte atemlos.
In diesem Schreiben hieß es wörtlich: »Mach mit dem Haus und den Möbeln, was du willst.«
»Das stimmt«, warf sie eilig ein und Schütz lachte: »Kennen Sie diese Handschrift?«
Dabei hielt er ihr die Akte hin und sie schnappte nach Luft: »Das ist doch mein Brief ...«
»Genau. Ihr Mann wollte das Haus verkaufen - er brauchte Geld, nicht wahr?«
»Ja, er war mit seiner Firma in Schwierigkeiten geraten ...«
»Es bestand der Verdacht eines betrügerischen Konkurses«, berichtigte Schütz, und obwohl er dabei schmunzelte, erreichte die Heiterkeit seine Augen nicht.
Sie seufzte: »Ja. Für einige Zeit hatte der Staatsanwalt sogar mich in Verdacht, da mitgemacht zu haben, aber ich wusste wirklich nichts von den Geschäften meines Mannes.«
»So hat Ihr Mann es auch dargestellt. Jedenfalls eilte es ihm mit dem Verkauf und von mir wollte er wissen, ob diese Passage in dem Brief eine Blanko-Einverständniserklärung sei und wie er es mit Ihrem Anteil halten müsse. Sie waren nämlich im Grundbuch als hälftige Eigentümerin eingetragen.«
»Und?«
»Er hat verkauft und ich habe für Ihren Anteil ein Treuhandkonto eingerichtet.«
»Wie bitte?«
»Für Ihren Anteil, Frau Tepper. Er wollte alles Geld einstreichen, aber da haben ich und das Gericht nicht mitgespielt. So, und wenn Sie mir nun beweisen, dass Sie wirklich Karin Tepper, die Ehefrau des Wolfgang Tepper sind, können Sie bald über eine gute halbe Million Mark verfügen.«
Abends saß sie an der Hotelbar und kniff sich ab und zu in den Arm, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte. Nicht einmal in ihren größten Fantasien hatte sie sich ausgemalt, sie werde noch Geld für das Haus bekommen, sie hatte es in dem Moment abgeschrieben, vergessen, als sie mit Martin in das Flugzeug gestiegen war. Sie brauchte kein Geld, Martin hatte ihr alles vererbt, was er besaß, und das war nicht wenig. Außerdem hatte die Lebensversicherung nach seinem Absturz gezahlt und sie hatte nicht geahnt, dass die Police auf eine halbe Million Dollar lautete. Dazu jetzt mehr als 500.000 Mark, es war nicht zu glauben. Sie kicherte albern und nippte an ihrem Drink. Unvorstellbar. Ein Märchen. Hinter ihr schmalzte der junge Pianist, sie drehte sich um und warf ihm eine Kusshand zu.
Doch in einem Punkt hatte der Besuch bei diesem Unernsten mit einer Enttäuschung geendet. Schütz hatte keine Ahnung, wo sich Wolfgang zurzeit aufhielt. Während des Verkaufs hatte Wolfgang in Frankfurt gewohnt, in der Odenwaldstraße. Dorthin schickte ihm Schütz auch die Benachrichtigung des Grundbuchamtes, doch dieser Umschlag kam mit dem Vermerk Adressat unbekannt verzogen zurück. Zwei Wochen lang hatte Schütz alles versucht, Einwohnermeldeamt, Post, Bank, Vermieter, aber ohne Erfolg; niemand konnte ihm mitteilen, wohin Wolfgang gezogen war. Zum Schluss hatte es den Notar so geärgert, dass er sogar eine Privatdetektei beauftragte, aber auch die konnte den Aufenthaltsort nicht ausfindig machen. Wolfgang Tepper hatte sich in Luft aufgelöst, nachdem die Überweisung des alten Herrn, der das Haus erworben hatte, auf dem Konto eingegangen war und er über seine Hälfte verfügte. Schon dreißig Monate später gab der neue Eigentümer das Haus auf, weil der alte Herr nach einem schweren Sturz ein Pflegefall geworden war. Über Schütz verkaufte er das Haus an das junge Ehepaar Alberts.
Musste sie Wolfgang eigentlich aufstöbern? Gab es nicht auch eine Möglichkeit, sich ohne ihn scheiden zu lassen?
»Ich nehme noch einen«, sagte sie zu dem Barkeeper, der schon eine ganze Weile überlegte, warum eine so attraktive Frau allein in einer wenig belebten Hotelbar saß.
»Gerne.«