Bahnhofstrasse. Andreas Russenberger

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Bahnhofstrasse - Andreas Russenberger

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CEO glauben, etwas Besseres zu sein. Wir sind ja nur dämliche Beamte. Aber ich kann Ihnen jederzeit den Stecker ziehen, Humboldt. Und das werde ich tun, das schwöre ich bei Gott, wenn Sie nicht sofort mit Ihrem dämlichen Lachen aufhören! Ich löse noch heute Ihr kleines Institut auf, und dann können Sie sich Ihre verdammte Vorlesung sonst wo hinstecken!«

      Ihr Wutanfall wurde durch ein Klopfen unterbrochen. Der Sekretär steckte seinen Kopf ins Zimmer. »Alles in Ordnung, Frau Fries? Sie wissen doch, dass Sie sich nicht so aufregen sollen. Ihr Arzt hat gemeint …«

      »Ich rege mich nicht auf!«, schrie sie und wies ihren Adjutanten mit einer schroffen Handbewegung an, die Tür augenblicklich wieder von außen zu schließen. Fries zitterte wie eine angeschlagene Stimmgabel.

      Philipp setzte sich in der Zwischenzeit gegen seinen Lachanfall zur Wehr. Er dachte im Schnelldurchlauf an seine verstorbenen Eltern, an längst vergangene Probleme mit Sophie und weitere dunkle Seiten seines Lebens, was den Lachkrampf milderte. Er schüttelte entschuldigend den Kopf, atmete tief aus und strich sich mit dem Ärmel seines Jacketts die Tränen aus dem Gesicht. »Sorry, Rektorin Fries. Mit einer Firmengeschichte hätte ich wirklich nicht gerechnet. Einmal mit von Werdenberg über das Bankgeschäft diskutieren oder ein Beratungsmandat übernehmen, gerne. Aber eine Firmengeschichte? Da gibt es kompetentere Kandidaten. Warum nicht einen Historiker damit beauftragen? Oder fragen Sie doch Frau Professorin Schelbert. Die freut sich sicher über einen öffentlichen Auftrag. Ich habe so etwas nie gemacht. Zudem hat gerade das Semester begonnen. Mit meiner Vorlesung, dem Seminar und der Betreuung der Doktoranden bin ich voll ausgelastet. Und forschen soll ich ja auch noch.«

      Fries stand auf und blickte aus dem Fenster in den grauen Morgenhimmel über Zürich. Der Wind hatte weiter aufgefrischt und drückte nun dicke Regentropfen gegen die Scheiben. Ein feines Klopfen war zu hören, wie auf einer Tischplatte trommelnde Finger. Fries zuckte mit dem Kopf nach rechts, dann nach links. Ein Überbleibsel aus der Zeit, als sie lange Haare getragen hatte. Die Haarpracht war mittlerweile verschwunden, die Phantombewegung geblieben. »Bilden Sie sich nur nicht zu viel auf sich ein, Humboldt. Natürlich habe ich die Schelbert vorgeschlagen, allerdings hat von Werdenberg abgelehnt.«

      Philipp wurde hellhörig. »Was hat meine Kollegin dazu gesagt?«

      »Was meinen Sie denn?«, fragte die Rektorin gereizt zurück. »Sie hat sich natürlich teuflisch aufgeregt, dass ›der Krieger‹ den Auftrag bekommen hat.«

      »Der Krieger?«

      Fries verdrehte die Augen. »Ja, Sie – der Krieger. Professor Humboldt, der immer alles kriegt.«

      Philipp lächelte böse in sich hinein. Sein Bauchgefühl hatte ihn also nicht getäuscht. Die Schelbert intrigierte gegen ihn. Er würde sie in Zukunft genauer im Auge behalten.

      Fries fuhr fort. »Es geht natürlich nicht um eine profane Firmengeschichte. Es steckt mehr dahinter. Viel mehr.« Die Rektorin machte eine bedeutungsschwangere Kunstpause und drehte sich wieder zu Philipp. »Alexander von Werdenberg will seine Bank verkaufen. Und zwar an die Zürcher Investment Bank, die Sie als ehemaliger CEO bestens kennen. Der Gewinn aus dem Verkauf soll in eine Stiftung fließen, die von seiner Tochter geführt wird. Ich muss Sie nicht darauf hinweisen, dass diese Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfen. Es wird der Deal des Jahres an der Schweizer Börse. Die Privatbank von Werdenberg wird für immer verschwinden. Alexander von Werdenberg will, dass Sie sein Vermächtnis verfassen und ihm für Fragen zur Verfügung stehen.«

      Philipp pfiff leise durch die Zähne. Das war wirklich eine große Sache. Die spektakulärste Übernahme seit Langem auf dem Finanzplatz, dazu von dieser diskreten, ja geheimnisvollen Bank.

      Fries blieb die Veränderung in Philipps Körpersprache nicht verborgen und sie setzte nach. »Sie werden einmal unser Starprofessor, Humboldt. Darum will von Werdenberg Sie. Nur Sie und niemand anderen. Das passt wie die Faust aufs Auge. Sie beide sprechen dieselbe Sprache, zwei Experten auf Augenhöhe. Für die Detailarbeit bekommen Sie einen Journalisten oder was immer Sie brauchen.«

      »Ich dachte, die Ressourcen der Universität seien knapp bemessen? Woher stammt auf einmal das Budget dafür?«

      Fries zeigte ihr breitestes Lachen und die kräftigen weißen Zähne kamen zum Vorschein. Ein Raubtier, das jederzeit zubeißen und seine Beute in tausend Stücke reißen konnte. »Dafür ist gesorgt. Von Werdenberg wird alle Zusatzkosten übernehmen. Und nicht nur das: Wenn wir das Projekt nach seinen Wünschen ausführen, wird er uns – und damit auch Ihr Institut – mit einem großzügigen Legat unterstützen. Wir können die Universität voranbringen und unseren Kollegen von der ETH endlich wieder einmal so richtig vors Schienbein treten.«

      Daher wehte also der Wind.

      Es war der Rektorin ernst. Todernst. Philipp rutschte auf seinem Stuhl hin und her, fand aber keine passende Position. Das Knirschen des Leders, sonst ein Zeichen von Gemütlichkeit, war nun laut und unangenehm. Der angesprochene Deal war interessant, keine Frage. Andererseits war eine prominente Rückkehr in die Bankenwelt genau das, was Philipp unbedingt vermeiden wollte. Keine Steine umdrehen, die Vergangenheit ruhen lassen, und die Toten …

      »Wenn es nur ums Geld geht, bezahle ich den Unterhalt meines Institutes aus eigener Tasche.« Philipp hoffte, dass er so von der Aufgabe verschont bliebe. Vergeblich.

      »Professor Humboldt. Wir sprechen hier von Zahlen, die sogar Ihr Konto sprengen würden. Es dreht sich hier nicht um einige 10.000 Franken.« Fries kostete den Moment aus und machte sich keine Mühe, ihre Genugtuung zu verbergen.

      »Sechsstellig?«

      Die Rektorin schüttelte genüsslich den Kopf.

      »Siebenstellig?«

      Fries blickte zur Decke und ihre Daumen zeigten nach oben. Sie wippte dabei mit den Unterarmen, als würde sie einen Düsenjet auf die richtige Position lotsen. »Achtstellig, Humboldt. Und die erste Zahl ist keine Eins, so viel kann ich Ihnen sagen.«

      Jetzt verstand Philipp die Anspannung der Rektorin. Alexander von Werdenberg gehörte zu den reichsten Einwohnern der Schweiz, wobei ein großer Teil seines Vermögens in der Bank steckte. Der Bankier schaffte es in der jährlichen Rangliste der Bilanz jeweils ganz nach oben. Lediglich einige Oligarchen und alteingesessene Industrielle hatten noch mehr auf der hohen Kante.

      Aus der strengen Rektorin war nun eine begnadete Verkäuferin geworden und sie wickelte Philipp mit Zuckerwatte ein. »Wir könnten zusammen Ihr Institut auf Vordermann bringen, es mit allen nötigen Ressourcen ausstatten. In den nächsten zehn Jahren würde so der Nukleus der Schweizer Bankforschung hier in Zürich entstehen. Mit Ihnen an der Spitze, Humboldt. Und die Beförderung zum ordentlichen Professor wäre sowieso selbstverständlich – bereits im nächsten Jahr. Ich mag Sie, Philipp. Sie haben eine große akademische Karriere vor sich.«

      Philipp war hin- und hergerissen. Was konnte denn schon passieren? Schließlich würde er in von Werdenbergs Vergangenheit stöbern – und nicht umgekehrt. Und über die alten Geschichten musste in der Zwischenzeit nicht nur Gras, sondern längst ein veritabler Wald gewachsen sein. Das Angebot war verlockend. Mit dem Legat könnte er sein eigenes Institut aufbauen. Hatte er das nicht immer gewollt, etwas Sinnvolles leisten, etwas Bleibendes hinterlassen, worauf er dereinst stolz zurückblicken konnte? Dennoch erbat sich Philipp eine kurze Bedenkzeit. Das Projekt höre sich zwar sehr attraktiv an, er müsse aber noch Rücksprache mit seiner Frau halten, da sie schließlich beide für die Erziehung der Kinder verantwortlich seien und mit der Annahme des Projektes ohne Zweifel Arbeitsstunden über das normales Pensum hinaus entstünden.

      Die Rektorin gab sich vordergründig verständnisvoll.

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