Bahnhofstrasse. Andreas Russenberger

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Bahnhofstrasse - Andreas Russenberger

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einen kleinen Schluck. Kaffee musste heiß sein. Kalter Kaffee war für ihn ungenießbarer als die Zeitung von gestern.

      An einem Nebentisch saßen einige Banker in dunklen Anzügen. Sie tuschelten und schauten zu Philipp hinüber. Er nickte ihnen kurz zu. Wahrscheinlich hatten sie ihn erkannt oder sogar für ihn gearbeitet. Die Gesichter kamen ihm nicht bekannt vor. Als CEO hatte er viele tausende Mitarbeiter unter sich gehabt. Es konnte allerdings auch an diesen unsäglichen Hipsterbärten liegen, die sie allesamt trugen, dass er sie nicht unterscheiden konnte. Ursprünglich vielleicht einmal als Zeichen von Individualität gedacht, waren die Bärte mittlerweile nur noch Mainstream. Was mochte wohl die Botschaft sein: Hallo, ich bin eigentlich ein unerschrockener Hockeyspieler?

      Nun gut.

      Philipp schloss die Augen und atmete tief durch. Nicht negativ werden. Er hatte nach seinem Abschied als CEO der Zürcher Investment Bank vor rund vier Jahren einige Zeit gebraucht, um all den Stress und schizophrenen Verfolgungswahn loszuwerden. Er hatte nicht vor, sich wieder dort hineinziehen zu lassen, und zündete sich jetzt doch eine Zigarette an. Er war gespannt auf die erste Begegnung mit dem legendären von Werdenberg. Die Webseite der Bank hatte nicht viel preisgegeben. Es war von einigen hundert Mitarbeitenden zu lesen, die meisten davon arbeiteten in der Peripherie. Lediglich der innerste Zirkel hielt sich an der Bahnhofstrasse auf. Ansonsten fand man die üblichen Floskeln. Transparent wolle man sein. Nichts versprechen, was man nicht einhalten könne. Man konzentriere sich auf die Dinge, die man beeinflussen könne. Philipp kannte die Marketingsprüche bestens aus eigener Erfahrung. Schlussendlich kochten aber alle Finanzinstitute nur mit Wasser. Die einen besser als die anderen, keine Frage. Und die Privatbank von Werdenberg gehörte definitiv zu denen mit vielen Gault-Millau-Punkten.

      30 Minuten, zwei Zigaretten und eine weitere Tasse Kaffee später machte sich Philipp auf den Weg zu seinem Termin. Vor dem Gebäude kontrollierte er Krawatte, Hemd, Jackett und Schuhe. Der anthrazitfarbene Anzug saß perfekt, wie gestern gekauft. Die Krawatte hatte er mangels Übung dreimal binden müssen, bis die Länge passte, bündig mit der Gürtelschnalle. Keinen Zentimeter länger, keinen kürzer. Er trat näher an den Eingang heran. Keine Tafel oder sonstige Beschriftung wies darauf hin, dass sich hier ein Geldinstitut befand. Offensichtlich war man nicht an Laufkundschaft interessiert. Und Diskretion hatte in diesem Geschäft bekanntlich noch nie geschadet.

      Philipp drückte den unscheinbaren Klingelknopf, nachdem er vergeblich nach einer Klinke Ausschau gehalten hatte. Als habe man bereits auf ihn gewartet, öffnete sich die gusseiserne Tür und er betrat das Gebäude. Dort empfing ihn eine Sicherheitsschleuse mit Gegensprechanlage und einer kleinen Überwachungskamera.

      »Sie wünschen?«, ertönte eine sonore Stimme aus dem Nichts.

      Philipp bückte sich leicht in Richtung des Mikrofons. »Humboldt. Herr von Werdenberg erwartet mich.« Mit einem lauten Summen, gefolgt von einem metallenen Klicken, wurde die Glastür entriegelt. Auf einer massiven Bronzeplatte stand geschrieben, was alle, die es bis hierhin geschafft hatten, ohnehin schon wussten: »Privatbank von Werdenberg«. An der weißen Wand war ein herrliches Bergrelief abgebildet, wahrscheinlich eine Szenerie aus dem Engadin. Die Werdenberg-Brüder, so viel hatte Philipp in Erfahrung bringen können, hatten dort ein Internat besucht. Das Bild mochte daher eine Reminiszenz an diese Jugendzeit sein. Oder die Marketingabteilung versuchte mit einer guten Portion Swissness davon abzulenken, dass die Privatbank von Werdenberg deutsche Wurzeln hatte.

      Philipp ging zum Empfang im ersten Stock. Seine Schritte hallten laut durch das Gebäude. Zu seiner Überraschung wurde er oben an der Treppe nicht von einer der für das Private Banking sonst üblichen ansehnlichen Empfangsdamen begrüßt. Stattdessen nahm ihn ein imposanter älterer Herr mit dem Händedruck eines Holzfällers in Empfang.

      »Grüß Gott, Herr Professor Humboldt. Alexander von Werdenberg. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

      »Die Freude ist meinerseits«, erwiderte Philipp freundlich. Neugierig betrachtete er den geheimnisvollen Bankier. Von Werdenberg musste in seiner Jugend eine geradezu furchteinflößende Erscheinung gewesen sein, denn noch heute war er kräftig, vital und strotzte vor Gesundheit. Er war trotz seines Alters immer noch gleich groß wie Philipp, der mit seinen 1,90 Meter nicht zu den Kleinsten gehörte. Die Augen des Patrons leuchteten klar und wach, ohne Anzeichen einer Eintrübung. Die Körperhaltung aufrecht, Rücken und Schultern durchgestreckt. Das scharfe Rasierwasser von Werdenbergs stach Philipp sofort in die Nase, keine Spur von dem leicht süßlichen Geruch, der bei Menschen ab einem gewissen Alter oft wahrzunehmen war. Von Werdenberg war ohne Zweifel der rüstigste Senior, den sich Philipp vorstellen konnte. Was mochte wohl sein biologisches Alter sein? 65? Höchstens. Seine Konstitution war geradezu beängstigend.

      Von Werdenberg war sich seiner Wirkung zweifellos bewusst und kam dem obligaten Kompliment zuvor: »Ich war Schwimm- und Fechtmeister an der Universität. Aber das ist lange her. Mittlerweile bin ich auf der falschen Seite der 80. Mein Gelenke knacken am Morgen wie ein antiker Holzstuhl.« Seine Stimme war tief und warm.

      Philipp quittierte seine Aussage mit einem ehrlichen Lachen.

      Von Werdenberg legte die Hand schwer auf Philipps Schulter und schob ihn vom Treppenhaus in den offiziellen Empfangsbereich. Das Gebäude war in einem Topzustand, als wäre erst gestern eine umfassende Renovierung abgeschlossen worden. Frisch gebohnerte Holzböden, weiße Steinwände, schwarze Designermöbel. An den Wänden hingen Bilder des sonst so fotoscheuen Bankiers, die von Werdenberg mit bekannten Persönlichkeiten zeigten: von Werdenberg kaffeetrinkend mit Helmut Kohl, von Werdenberg in einer Bibliothek neben Johannes Paul II., von Werdenberg zigarrerauchend mit Franz Josef Strauß, von Werdenberg lachend in einer größeren Gruppe um Ronald Reagan, der noch junge von Werdenberg mit sieben älteren Herren, Philipp erkannte Willi Ritschard und Kurt Furgler. Daneben gab es noch kleinere Bilder mit Willy Brandt, François Mitterrand, Margaret Thatcher, Prinzessin Diana und Elizabeth Taylor. So viel Intimität war ungewöhnlich für die sonst auf Diskretion bedachte Privatbank.

      Von Werdenberg stellte sich neben Philipp. »Zugegebenermaßen etwas eitel von mir. Alles Unikate. Die Negative liegen in meinem Safe und es gibt keine weiteren Abzüge. Ich habe immerhin gewartet, bis die Damen und Herren von uns gegangen sind. Also eine zweifelhafte Ehre, hier zu hängen.«

      »Da haben wir ja dann schon einige Seiten für Ihre Firmengeschichte«, sagte Philipp.

      »Sie kommen ja gleich zur Sache, junger Mann. Das gefällt mir. Keine Lebenszeit vergeuden. Vor allem, wenn – wie bei mir – der obere Teil der Sanduhr bald leer ist.« Von Werdenberg sprach ohne Wehmut, eher wie ein Wissenschaftler, der nüchtern ein Faktum erklärt. »Aber diese Persönlichkeiten werden natürlich nicht in unserem Buch auftauchen. Glauben Sie mir, Professor, ich hätte nicht viel Spannendes über die Herrschaften zu berichten, im Gegensatz zu den Damen.« Für einen kurzen Augenblick huschte ein Ausdruck von Melancholie über sein Gesicht.

      Von Werdenberg erinnerte Philipp an einen Schauspieler, dessen Name ihm partout nicht einfallen wollte. Es blieb keine Zeit nachzudenken, denn zwei Frauen traten aus einem der Sitzungszimmer, die sternförmig um den Empfangsbereich angeordnet waren. Beide waren dunkel gekleidet. Die eine trug ein elegantes schwarzes Deux-Pièces. Mit den hohen Schuhen und kurzgeschnittenen blonden Haaren hätte sie auf das Titelbild jeder Bankbroschüre gepasst. Die andere wirkte in ihrem schwarzen Hosenanzug und mit den offenen langen Haaren eher wie eine Künstlerin oder Journalistin.

      Von Werdenbergs Augen strahlten noch heller. Er winkte die Frauen zu sich. »Darf ich Ihnen vorstellen: Da wäre einmal Julia von Werdenberg, meine Tochter, und Frau Loppacher, freischaffende Journalistin, aber de facto schon fast eine feste Mitarbeiterin bei uns. Frau Loppacher wird Sie beim Schreiben unserer Firmengeschichte unterstützen. Sie ist quasi Ihre Ghostwriterin und wird die relevanten Information rasch in eine gut leserliche Form bringen.«

      Philipp

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