Bahnhofstrasse. Andreas Russenberger

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Bahnhofstrasse - Andreas Russenberger

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Es wartet leider ein Kunde auf mich. Haben Sie sonst noch Fragen, Herr Professor Humboldt?«

      »Nein. Aber ich möchte mich nochmals für Ihr Vertrauen und die großzügige Spende bedanken. Ich hoffe, ich werde alles zu Ihrer Zufriedenheit erledigen.«

      »Daran habe ich keine Zweifel. Wir haben Ihre Karriere mit großem Interesse verfolgt, Herr Humboldt. Wir sind uns ähnlich. Ähnlicher, als Sie ahnen.«

      Philipp nahm diese Aussage als Kompliment. Dass sie auch eine versteckte Drohung sein könnte, wäre ihm zu diesem Zeitpunkt nie in den Sinn gekommen.

      Das Spiegelbild

      Alexander von Werdenberg stand am Fenster und beobachtete mit dem nachgefüllten Whiskeyglas in der Hand, wie Philipp Humboldt das Gebäude verließ und um die Ecke des Hotel Savoy verschwand. Er bemerkte gerade noch rechtzeitig die kleine Biene, die – angezogen vom intensiven Geruch des Getränks – in ebendiesem um ihr Leben strampelte. Von Werdenberg befreite das emsige Arbeitstier mit dem Zeigefinger, öffnete das Fenster und beförderte die Biene vorsichtig auf den Fenstersims, wo sie sich nach einer kurzen Verschnaufpause aus dem Staub machte.

      Zufrieden ging von Werdenberg in den Nebenraum, in dem er über die Jahre unzählige Nächte verbracht hatte. Boxspringbett, Waschraum, Ankleide, ein ultramodernes Kinesis-Trainingssystem, was zum Teil seine kräftige Statur erklärte. Hinter einer weiteren Tür verbarg sich eine schmale Wendeltreppe, die das Réduit mit der privaten Tiefgarage unter dem Gebäude verband. So konnte von Werdenberg ungesehen kommen und gehen, wann er wollte. Der Bankier wusch sich sorgfältig Hände und Gesicht. Dann drehte er sich um und blickte in die Augen seines Gegenübers. In seine Augen.

      »Was ist, wenn er es herausfindet? Dieser Humboldt ist nicht auf den Kopf gefallen. Und seine Visage gefällt mir gar nicht. Müsste mal bearbeitet werden.« Alexander von Werdenbergs Ebenbild hatte etwas Sardonisches, Grobes. Und die Hautfarbe war fahler als beim Original.

      »Ich muss Gewissheit haben, dass unser Geheimnis nie an die Öffentlichkeit gelangt. Es ist an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Julia kann mit ihrer Stiftung viel bewirken. Aus Bösem wird so Gutes entstehen. Wir beide sind dem Namen von Werdenberg etwas schuldig. Glaub mir, der Professor ist unser Mann.« Alexander von Werdenberg schloss die Augen und versuchte, sich an die Geschehnisse jener Zeit zu erinnern. Es war ein Abgrund, der ihn jederzeit verschlingen konnte. Hastig katapultierte er sich in die Gegenwart zurück.

      Der Fahle war nach wie vor nicht überzeugt. »Um unser Geheimnis zu schützen, soll Humboldt die Firmengeschichte schreiben? Das macht keinen Sinn! Lassen wir die schlafenden Hunde ruhen. Du wirst im fortgeschrittenen Alter noch zum Reichsbedenkenträger.«

      »Kann sein«, murrte von Werdenberg zurück. »Doch nur dank meiner Kunst des Zweifelns ist unser Geheimnis bislang unentdeckt geblieben. Und so soll es auch bleiben. Durch den Verkauf der Bank wird unser Name sowieso an die Öffentlichkeit gezerrt. Sollte es also wirklich schlafende Hunde geben, die unser Geheimnis kennen, will ich sie aufstöbern, bevor sie zu kläffen beginnen. Jetzt können wir noch angemessen reagieren, sie zum Schweigen bringen. Vertrau mir. Ein letztes Mal. Wenn dieses Kapitel geschrieben ist, sind wir sicher. Und wenn Humboldt uns tatsächlich auf die Spuren kommen sollte, dann hat er mindestens so viel zu verlieren wie wir. Wenn nicht mehr. Er ist wie eine Marionette in unserer Hand. Und für den Notfall haben wir ja Horowitz.«

      »Es ist dein Plan. Aber er beginnt mir zu gefallen. Wenn nötig, kann ich auch selber Hand anlegen. Es wäre nicht das erste Mal!« Das Ebenbild verzog sein Gesicht zu einem bösartigen Grinsen.

      Der Notar

      Zürich, Winter 1952

      »Da kann ich leider nichts für euch tun, Jungs. Die Bank braucht einen Totenschein. Ohne das Dokument ist nicht bewiesen, dass eure Eltern wirklich im Konzentrationslager gestorben sind. Und ohne Totenschein keine Erbübertragung. Aber macht euch deswegen mal keine Sorgen. Ich werde weiterhin im Sinne der Familie von Werdenberg agieren und euch nach bestem Wissen und Gewissen unterstützen.« Die geröteten Augen und die feisten Wangen des Notars erinnerten an einen Schweinekopf.

      George Orwell lässt grüßen.

      Genüsslich schloss der Wanst sein üppiges Mittagessen mit einem Schluck Portwein ab. Der Schweinekopf war durch ein imposantes Doppelkinn mit dem Körper verbunden, welcher die Nähte des maßgeschneiderten Anzugs aus edler englischer Seide arg strapazierte. Draußen pfiff ein eisiger Wind um die herrschaftliche Villa, und auf den Fensterscheiben hatten sich skurrile Eiskristalle gebildet.

      Der Notar stand wankend auf und balancierte auf seinen dürren Beinen. Schulmeisterlich legte er seine fettigen, feuchten Hände auf die Schultern der beiden konsternierten Brüder und schob sie sanft ihn Richtung der herrschaftlichen Treppe. Er pflegte sein Mittagessen in der Bibliothek im ersten Stock einzunehmen. Der Salon im Parterre war für seine exklusiven Abendempfänge reserviert. »Meine Haushälterin hat Zimmerstunde. Ich bringe euch noch zur Tür. Dann müsst ihr mich aber entschuldigen. Ich hatte gestern einen strengen Abend und möchte mich ein wenig hinlegen. Das schreckliche Wetter ist Gift für meine Gelenke«, jammerte der Wanst weinerlich.

      Alexander von Werdenberg blieb abrupt stehen und schüttelte den Kopf. Er konnte seinen Ärger nicht mehr zurückhalten. »Wie stellen Sie sich das denn vor? Mein Gott – unsere Eltern wurden von den Nazis umgebracht. Meinen Sie etwa, man hätte in den Konzentrationslagern feinsäuberlich Totenscheine ausgefüllt?«

      Der Notar lächelte scheinheilig und legte theatralisch seine Handgelenke übereinander. »Mir sind leider die Hände gebunden. Der Bankdirektor der Schweizerischen Bankgesellschaft war diesbezüglich unmissverständlich. Ich begreife ihn. Da könnte ja jeder kommen und …«

      Er war nicht in der Lage, den Satz zu Ende bringen. Der jüngere der von Werdenbergs hatte den selbstherrlichen Gauner am Kragen gepackt und schrie ihn an. »Du verdammter Kriegsgewinnler! Wir sind nicht irgendwelche Dummköpfe, die sich von dir noch länger an der Nase rumführen lassen. Du hast lange genug auf unsere Kosten gefressen und rumgehurt! Dir werde ich es zeigen …«

      Der Notar war tot, bevor er unten an der Treppe ankam. Wahrscheinlich hatte er sich bereits beim ersten Aufprall das Genick gebrochen. Fett schützt nun einmal weniger gut als eine robuste Muskulatur. Das rechte Bein stand in einem unnatürlichen Winkel ab. Die Brille lag zerschlagen ein Stück weiter Richtung Tür, und um den leblosen Körper bildete sich rasch eine Pfütze mit gelber Flüssigkeit.

      Nicht jedem ist ein so schneller und schmerzloser Tod vergönnt.

      Die beiden Windhunde des soeben verstorbenen Notars trotteten aus dem Salon, schnupperten an dem leblosen Bündel und schlichen mit eingezogenem Schwanz zu ihren Wolldecken neben der Eingangstür. Dort legten sie sich ruhig und elegant hin, als wären sie Komparsen eines Filmsets, die auf ihren Einsatz warteten.

      »Na, bravo, kleiner Bruder! Gut gemacht. Glaubst du, wir kommen jetzt schneller an unser Geld?« Alexander von Werdenberg schaute seinen Bruder tadelnd an.

      Dieser zuckte nur mit den Schultern. »Dir wird schon etwas einfallen. Lass uns schnell verschwinden, bevor die Haushälterin auftaucht. Ich würde die nette Dame nur ungern ins Jenseits befördern.«

      Sie traten hinaus, schlugen den Mantelkragen hoch und verschwanden im heftigen Schneesturm.

      Stöck, Stich, Wyss

      Kilchberg, 3. Oktober

      »Vierblatt«, sagte Martin laut und deutlich. Es war

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