Die Toten von Rottweil. Herbert Noack
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Читать онлайн книгу Die Toten von Rottweil - Herbert Noack страница 4
»Bist du endlich fertig mit deinem Geschäft?«, erwiderte Berta unwirsch und ging gleich in den Gegenangriff über: »Muss ich wieder alles allein machen? Jedes Mal, wenn ich mit dir arbeite, kommst du mit irgendwelchen Ausreden daher. Mal ist es dein Kreuz oder du hast dir dein Bein vertreten und kannst nicht mehr laufen. Oder du hast plötzlich ganz schlimmen Durchfall und kommst nicht vom Klo runter. Immer ist es etwas anderes. Aber nicht mit mir, meine Liebe. Mich verkaufst du nicht für dumm. Geraucht hast du auch schon wieder. Das rieche ich doch! Los jetzt, ab nach oben. Der Konferenzraum ist noch schmutzig. In ein paar Stunden kommen die Besucher. Da müssen wir fertig sein und alles muss glänzen. Ich hole jetzt geschwind den Schlüssel für den Aufzug.« Resolut marschierte sie an Gudrun vorbei.
»Berta, das dürfen wir nicht«, sagte die kleinlaut zu ihr.
»Papperlapapp. Sonst hast du immer die große Klappe, aber auf einmal kommen dir wegen dieser kleinen Fahrt Bedenken. Hättest du mal lieber auf die Uhr geschaut, als du gekommen bist.«
Sie nahmen den Panoramaaufzug trotz ausdrücklichen Verbots der Geschäftsleitung. Der war schön geräumig. In ihm konnte Berta einigermaßen entspannt bis nach oben fahren, ohne eine klaustrophobische Attacke zu bekommen. Die rasende Fahrt dauerte nicht lange. Am großen Konferenzraum ließen sie den Aufzug anhalten. Als die Tür sich öffnete, schlug ihnen ein erbärmlicher Gestank entgegen. Misstrauisch schaute Berta in den Gang, doch hier oben sah es aus wie immer. Gudrun schob den Wagen. Wie immer stellte sie sich tollpatschig an und hätte Berta nicht blitzschnell zugegriffen, wäre er umgekippt. Das wäre eine schöne Sauerei geworden.
Etwas verwundert stellte sie fest, dass der Aufzug sich in Bewegung setzte. Um diese Zeit war außer den Sicherheitsleuten niemand auf dem Testturmgelände zu finden, geschweige denn im Turm selbst. Sie hatte es noch nie erlebt, dass einer von ihnen um diese Zeit im Aufzug nach oben kam. Aber heute war alles anders.
Die Tür zum großen Konferenzzimmer stand offen. Je näher sie dem Raum kamen, desto stärker wurde dieser Gestank. Was war das nur, dachte sich Berta und hielt sich mit einer Hand die Nase zu. Gudrun stieß ihre Kollegin zur Seite und rannte ins Konferenzzimmer. Kaum war sie darin verschwunden, schrie sie fürchterlich. Berta folgte ihr augenblicklich. Auch sie stieß einen grellen Schrei aus. Der Anblick war einfach nur grauenhaft.
Die beiden Frauen machten augenblicklich auf dem Absatz kehrt und rannten zurück zum Aufzug. In der Aufregung stieß Berta gegen den Putzwagen. Er fiel krachend um und die verschiedenen Flaschen, Tuben und Dosen verteilten sich quer über den Flur. Endlich am Aufzug angekommen, drückte Berta wie wild auf den grünen Knopf. Immer wieder. Doch der Fahrstuhl war noch unterwegs. Hand in Hand standen die beiden Frauen dicht nebeneinander und warteten. Endlich kam der Lift in ihrer Etage zum Stehen. Die Tür öffnete sich mit einem zischenden Geräusch. Erschrocken riss Berta die Augen auf. »Nein! Bitte nicht«, rief sie aus und hob schützend ihre Arme über den Kopf. Doch vergeblich. Wuchtig krachten mehrere Schläge auf ihren Schädel nieder. Leblos sank sie zu Boden. Gudrun rannte schreiend davon. Doch es half nichts, sie war zu langsam. Auch sie bekam einen schweren Schlag auf den Hinterkopf. Weitere folgten. Doch die bemerkte sie nicht mehr. Auch sie war tot.
Kapitel 3
Kriminalhauptkommissar Paul Zeller stand stumm neben seiner neuen Assistentin vor dem Aufzug des TK Elevator Testturms und wartete. Was war heute nur los, überlegte er dabei, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Vor nicht einmal 100 Minuten waren sie beim ermordeten Richter Schuhmacher gewesen und nun gab es einen weiteren Fall. Wieder Mord. Zwei Tote. Warum nur war er nicht nach Wien geflogen? Vielleicht wäre er gerade um diese Uhrzeit im Café Central in der Wiener Herrengasse gesessen und hätte ein Stück Sachertorte mit einem großen Mokka vor sich stehen gehabt. Oder im Prater in einer Gondel des Riesenrades hoch über der Stadt. Es wäre so friedlich gewesen, so erholsam und inspirierend. Doch er war hier, in seinem Rottweil, welches er seit knapp zwei Stunden nicht wiedererkannte.
So viele Opfer gab es sonst nicht einmal in einem ganzen Jahr. War es Zufall oder Absicht? In Anbetracht der geringen Kriminalitätsrate in Rottweil hätte er eigentlich zu Ersterem tendiert. Aber etwas in ihm war skeptisch. In seinem langen Polizistenleben hatte er gelernt, dass es keine Zufälle gab. Wenn er den Gedanken weiterspann, wurde es noch fürchterlicher. Denn wenn es kein Zufall war, dann wäre alles akribisch geplant gewesen. Keine Bluttat im Affekt. Und vielleicht waren diese Taten erst der Anfang? Er hoffte inständig, dass es anders war. Der Beginn einer Mordserie, hier in dieser Stadt, überstieg seine Vorstellungskraft.
Noch immer warteten sie auf den Aufzug. Mit einem Seitenblick schaute er auf die junge Frau neben sich. Eigentlich hätte er etwas zu ihr sagen müssen. Doch er schwieg. Er hatte mit sich zu tun. Worüber sollte er sich auch mit ihr unterhalten? Die Themen dieser Generation waren nicht die seinen. Für Social Media war er zu alt. Für ihre Musik genauso. Überdies kam erschwerend hinzu, dass ausgerechnet sein Vorgesetzter diese Frau Jones ausgesucht hatte – wahrscheinlich um ihn zu bespitzeln. Also schwieg er lieber. Über das Wetter zu reden war für ihn pure Zeitverschwendung.
Zeller vermied es in der Folge krampfhaft, Jones anzuschauen, und blickte stur auf die Tür des Aufzuges. Als ob dort die Lösung ihres Falles geschrieben stünde. Jetzt bewegte sich was in dem Schacht. Der Aufzug hielt vor ihnen an, die Tür öffnete sich. Drei Männer standen darin, einer davon trug die rote Jacke des Notfallarztes, die beiden anderen die Uniformen der Rettungssanitäter. Sie nickten sich zu.
»Hallo, Paul. Auch schon auf? Hätte ich gar nicht gedacht von dir«, begrüßte ihn der Notarzt vertraut. Sie kannten sich seit vielen Jahren.
»Da fragst du noch, Lothar? Kennst mich doch. Du bist schon fertig? Nichts mehr zu tun da oben?«, entgegnete Zeller gleich mit mehreren Fragen und ahnte sogleich die Antwort. Die irrwitzige Hoffnung, dass es nicht so schlimm werden würde wie angenommen, war gegenstandslos. Wenn der Notarzt so rasch den Tatort verließ, dann gab es aus medizinischer Sicht nichts mehr zu tun. Jetzt erfolgte eine fließende Übergabe an die andere Zunft, die Bestatter. Sie würden die beiden Toten in einen Alu-Sarg packen und in die Rechtsmedizin nach Tübingen zur Obduktion bringen. Vorher musste sie der Staatsanwalt anordnen. Obduktionen waren teuer.
»Ich hätte mir den Weg sparen können. Leider. Da oben sieht es aus wie in einem Schlachthaus. Ich hoffe, ihr habt gut gefrühstückt. Schönen Tag noch.« Er machte eine grüßende Handbewegung an den nicht vorhandenen Hut und verschwand.
Zeller und Jones betraten die Kabine. Hinter ihnen schlossen sich die Türen. Die mitfahrende Angestellte des Testturms drückte einen Knopf und der Fahrstuhl setzte sich lautlos in Bewegung.
Unauffällig musterte Zeller seine neue Kollegin. Seine langjährige Erfahrung hatte ihm im Voraus gesagt, was er sehen würde in ihrem hübschen Gesicht: Diese Mischung aus Aufgeregtheit und Lampenfieber, verbunden mit der Freude, zu einem ersten richtigen Einsatz mitgenommen zu werden, und die zögerliche Angst vor dem, was sie erwarten würde. So war es bei allen gewesen, die er an seiner Seite eine Weile durch den Polizeialltag mitgenommen hatte. Keine hatte es bisher lange bei ihm ausgehalten. Außer Susanne, die war nicht unterzukriegen gewesen. Bis es nicht mehr gegangen war zwischen ihr und Zellers Chef. Dazu diese fatale Fehlentscheidung. Es hätte nie so weit kommen dürfen. Doch daran war nur Bausinger schuld gewesen.
Immerhin schien seine Neue ihre Aufregung gut im Griff zu haben und redete nicht pausenlos auf ihn ein. Oder hatte ihr das erste, unfreundliche Treffen mit ihm die Sprache verschlagen und sie war vorsichtig geworden? Fast tat es ihm leid, ihr nicht die Hand gegeben zu haben. Egal, sie würde es verkraften. Und wenn nicht, war es ihr Problem.
Er bemerkte nicht ohne einen Anflug von Sympathie, dass sie sich mit ihren Fragen tapfer zurückhielt. Es fiel ihr sicherlich nicht leicht. Erst Anfang letzten Monats