Die Toten von Rottweil. Herbert Noack
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Читать онлайн книгу Die Toten von Rottweil - Herbert Noack страница 6
»Jetzt gleich?«
»Nein, Jones, nächstes Jahr. Oder vielleicht übernächstes? Was stellen Sie für Fragen? Natürlich sofort! Wir brauchen Fakten.«
Sie nahmen den Panoramaaufzug nach unten. Eva, eine junge Polizistin, die gerade ihre Ausbildung beendet hatte, kam im Foyer auf Zeller zu. »Herr Kriminalhauptkommissar, im Raum zwei wartet die verantwortliche Turmmanagerin. Möchten Sie mit ihr sprechen? Sie heißt Elke Schatz.«
Er nickte und entschuldigte sich bei Jones. Dann folgte er der anderen Kollegin in das Zimmer neben dem zentralen Besuchereingang.
Dort stellte er sich kurz vor und setzte sich der Turmmanagerin gegenüber. Sie sah mitgenommen aus, weinte unaufhörlich und wischte sich ständig mit einem Taschentuch die Augen trocken. Das Make-up der adretten Frau um die 40 war verwischt. Schluchzend schnäuzte sie sich. Zeller wartete. Er wollte sie nicht drängen. Hier würde ein zu forsches Befragen das Gegenteil von dem bewirken, was er erreichen wollte. Er würde nichts erfahren. Als sie sich allmählich beruhigt hatte, sagte sie zu ihm: »Schrecklich. Einfach nur furchtbar. Berta war so eine treue Seele. Eigentlich hatte sie heute frei. Sie hätte gar nicht kommen müssen. Doch die Kollegin, die für heute eingeteilt war, musste sich krankmelden. Als ob sie es geahnt hätte. Berta ist deshalb kurzfristig eingesprungen. Man konnte immer auf sie zählen.«
»Sie waren zu zweit.«
»Ja, die andere Frau hieß Gudrun. Auch sie hat eine erkrankte Mitarbeiterin vertreten. Doch die Gudrun war das Gegenteil von Berta. Aber was soll man machen, es gibt nicht mehr viele gute Kräfte für diesen Job. Wer will sich denn heutzutage noch die Hände schmutzig machen! Da waren wir froh, dass …« Sie verstummte wieder. Der nächste Weinkrampf schüttelte sie. »Bitte entschuldigen Sie, Herr Polizist. Es ist einfach abscheulich. Ich muss immerzu heulen. Dagegen kann ich nichts machen«, sagte sie schließlich etwas gefasster.
»Kein Problem, Frau Schatz. Sie sagen uns, was Sie gesehen haben, wenn Sie es können. Lassen Sie sich Zeit. Das wird schon noch«, beruhigte er sie.
Sie nickte und wischte sich wieder mit dem zerknüllten Taschentuch über die Augen.
Der Kommissar versuchte es erneut. »Ist Ihnen etwas aufgefallen, als Sie den Turm betraten?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nichts Ungewöhnliches. Es war wie jeden Tag. Die Schicht der Putzkräfte begann gegen 6 Uhr. Schließlich hätten wir heute unseren Turm ganz normal geöffnet und da kommen wirklich viele Leute zu uns. Da muss alles sauber sein. Es gab jede Menge Vorbestellungen für Führungen und Einzelbesuche. Die meisten Tickets werden über unseren Onlineshop geordert.«
»Gibt es einen Portier oder einen Sicherheitsdienst?«
»Nur einen Portier als Wachdienst in Personalunion. Der ist dann mit der Polizei verbunden. Zweimal die Nacht kommt eine Streife vorbeigefahren, einmal um Mitternacht, dann noch mal gegen vier.«
»Wer hatte Dienst in der vergangenen Nacht?«
»Eduard Seidel. Er war die gesamte letzte Woche zuständig. Es wird wöchentlich gewechselt. Bei großen Veranstaltungen hilft manchmal stundenweise Personal von einem anderen Sicherheitsunternehmen.« Wieder kamen der Frau die Tränen.
Zeller stand auf. Von ihr würde er heute nichts Verwertbares mehr erfahren. »Frau Schatz, es ist gut für heute. Kommen Sie morgen in mein Büro. Es ist zwar Sonntag, aber Ihre Aussage ist wirklich wichtig, das brauche ich Ihnen nicht extra zu sagen. Morgen können Sie mit mir oder mit einem meiner Kollegen über alles in Ruhe reden. Man wird sich jetzt um Sie kümmern und Sie gern nach Hause bringen, wenn Sie möchten.« Mit einem Kopfnicken gab er der soeben eingetroffenen Polizeipsychologin ein Zeichen.
Gerade als er den Raum verlassen wollte, rief die Managerin ihm aufgeregt hinterher: »Herr Kommissar, da war doch noch was. Fast hätte ich es vergessen. Als ich gleich nach dem Notruf gegen 7 Uhr zum Turm kam, war Ede Seidel vom Sicherheitsdienst nicht im Foyer an seinem Platz, wie sonst in aller Regel. Und trotzdem konnte ich eintreten, ohne den Pin eingeben zu müssen. Es war aber kein Mensch da. Erst nachdem ich laut nach Seidel gerufen habe, ist er erschienen.«
»Wo ist er gewesen?«
»Das weiß ich nicht. Er trug eine Papierrolle im Arm. Er sagte, er käme aus dem Raum für die Reinigungskräfte. Seine Jacke hatte einen deutlich sichtbaren nassen Fleck. Er hatte etwas verschüttet. Wenn Sie mich fragen, sah es wie Rotwein aus. Doch ich kann mich auch irren.«
»Ist die Tür um diese Uhrzeit immer nur über den Pin zu öffnen?«
»Oder mit dem Chip, den braucht man nur dranzuhalten. Meistens winke ich aber einfach nur dem anwesenden Sicherheitsbeamten zu und dieser öffnet mir dann die Eingangstür von seiner Theke aus. Der Betrieb geht ja erst viel später los. Heute war die Tür aber wie gesagt gar nicht verschlossen.«
Zeller dankte ihr und versuchte, freundlich zu lächeln, obwohl er mit seinen Gedanken längst woanders war. Der Hinweis auf Seidels Abwesenheit konnte wichtig sein. Was hatte der Mann gemacht, als Frau Schatz im Turm erschienen war? Hatte er wirklich etwas verschüttet und war gerade dabei gewesen, das Malheur zu beseitigen? Und konnte der Fleck nicht viel eher von Blut herrühren als von Rotwein? Er dankte der Turmmanagerin und versuchte, Jones zu finden. Doch sie war nirgendwo zu sehen.
Zeller lehnte sich an die Theke und wartete. Sein Smartphone fing an zu schellen. Es war Anne. Sie machte sich Sorgen um ihn. Normalerweise hätte er wenigstens einmal durchgerufen, wenn er schon so mir nichts, dir nichts verschwand. Ihre Stimme klang aufgeregt. Es war besser, wenn er sich beeilte, nicht, dass dieser Zustand sich noch hochschaukelte. Das wollte er unbedingt vermeiden. Er versuchte, sie zu beruhigen, was ihm ganz gut gelang. Jedenfalls hörte sie sich schon nach kurzer Zeit entspannter an. Es werde spät werden heute, sagte er ihr. Leider. Sie solle nicht auf ihn warten.
Beim Verstauen seines Smartphones in der Manteltasche fühlte er den Flachmann. Er verzog sich auf die Besuchertoiletten im Foyer, angelte sich den Schnaps aus der Innentasche seines Mantels und nahm einen tiefen Schluck daraus. Jetzt konnte es weitergehen. Anne würde schon klarkommen.
Kapitel 4
Zeller rief die junge Polizistin Eva zu sich. Sie schien in diesem Chaos den meisten Durchblick zu besitzen. Von ihr ließ er sich zum diensthabenden Wachmann führen. Nur eine Person als Nachtwache in einem millionenteuren Gebäude – das verwunderte den Kommissar. Reichte das im Zweifel aus?
Der Mann saß nicht allein in dem kleinen Besprechungszimmer. Ein Kollege passte auf, dass er nicht das Weite suchte. Mit einem Kopfnicken entließ der Hauptkommissar den Beamten aus dem Zimmer. Zeller stellte sich dem Wachmann vor, zeigte seinen Dienstausweis und fragte nach dessen Namen.
»Eduard Seidel«, kam die knappe Antwort. »Und das seit über 30 Jahren«, fügte der Mann patzig hinzu.
»Sind Sie schon lange hier angestellt? Oder andersherum, gehören Sie zu den Angestellten der ersten Stunde seit der Turmeröffnung?«, fragte der Hauptkommissar in einem vertraulichen Ton.
»Nein, ich kam später dazu. Jetzt werden es an die sechs Monate sein.« Seidel riss plötzlich den Mund auf und gähnte herzhaft.
»Wieso