Die Toten von Rottweil. Herbert Noack

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Die Toten von Rottweil - Herbert Noack

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Unmittelbar nach dem Café »Herz« blieb er ohne Ankündigung stehen und überquerte die Straße. Ein entgegenkommendes Auto musste abrupt bremsen. Der Fahrer zeigte dem Kommissar den Vogel und schimpfte wie ein Rohrspatz in seinem Fahrzeug. Zeller winkte ab und lief rasch weiter, so schnell, dass Jones Probleme bekam, mit ihm Schritt zu halten. Kaum auf der anderen Seite angelangt, sah die junge Polizistin das Park-Hotel, offenbar der Grund für die gefährliche Straßenüberquerung ihres Kollegen.

      Zeller stürmte in das Gebäude und direkt zur Rezeption. Jones folgte ihm.

      »Sind alle Ihre Gäste noch im Haus oder haben heute schon welche ausgecheckt?«, fragte der Kommissar, ohne sich lange mit Begrüßungsfloskeln aufzuhalten.

      »Wer will das wissen?«, erkundigte sich die schwarzhaarige Frau hinter der niedrigen Theke anstelle einer Antwort. Auf einem weißen Schildchen am Revers ihrer roten Jacke stand »Martina Donatu«.

      Zeller zeigte ihr seinen Ausweis und stellte sich vor.

      Die Frau schaute in ihren PC. »Nein. Sie haben anscheinend Glück, es sind alle noch da. Ein Pärchen will morgen abreisen, zwei einzelne Herren bleiben bis Mittwoch. Sie sind zu dieser Zeit unterwegs. Keiner von ihnen ist im Augenblick im Hotel. Hier, sehen Sie, alle Gäste haben Ihre Schlüssel bei mir hinterlegt.« Sie zeigte mit einer ausholenden Geste zum Schlüsselregal hinter sich. Tatsächlich waren alle Fächer komplett belegt.

      »Wer bewohnt die Zimmer mit den Fenstern zur Straße hinaus?«

      Frau Donatu überlegte. »Lassen Sie mich kurz nachschauen. Ach, den Herrn hier hatte ich ganz vergessen. Er kam gestern spätabends unangemeldet an und bestand darauf, dass ich ihm noch ein Zimmer zuweise. Es gibt viele Hotels in Rottweil, da musste es doch nicht unbedingt meines sein, oder was sagen Sie? Er hat mich richtig in Stress versetzt und ich musste einiges umplanen. Dazu bezahlte er die Übernachtung im Voraus, also durfte ich ihm auch noch eine Rechnung ausstellen. Anschließend nahm er den Schlüssel entgegen, stellte seine Tasche ab und verschwand wieder. Einfach so.«

      »Was ist ›spätabends‹ bei Ihnen?«

      »Nach 19 Uhr.«

      »Wissen Sie, wohin der Mann wollte?«, fragte Zeller gespannt.

      »Er ist gleich zum Testturm gefahren. Da gab es wohl einen Vortrag oder so was Ähnliches. Warum fragen Sie, Herr Kommissar?«

      »Haben Sie sein Auto gesehen?«

      »Nur kurz. Es war ein SUV oder ein Kleinbus. Ich kenne mich da nicht aus. Die Farbe war jedenfalls dunkel«, antwortete die Rezeptionistin.

      »Kann ich den Herrn sprechen?«

      Das sei leider nicht mehr möglich, erklärte sie nach einem Blick in ihren PC. Der Gast sei in den frühen Morgenstunden abgereist.

      Als Zeller wissen wollte, wann er denn nach dem Vortrag ins Hotel zurückgekehrt sei, konnte sie ihm keine Auskunft geben. Sie selbst habe ihn nicht mehr angetroffen und der Nachtportier, der ihm sicherlich weiterhelfen könne, erscheine erst heute gegen 22 Uhr wieder zum Dienst. Da könne Zeller gerne noch einmal wiederkommen und ihn selbst fragen.

      Der Kommissar verlangte die Daten des Gastes. Umständlich schrieb die Rezeptionistin diese auf einen Zettel und versprach, sich bei ihm zu melden, sobald die anderen Herrschaften von ihren Ausflügen zurückkehren würden. Zellers Karte steckte sie sich dafür extra auf die Tastatur ihres PC.

      Die beiden Kriminalbeamten verließen das Hotel. Zeller betrachtete den gerade mal 25 Meter entfernt liegenden Tatort von heute Morgen. Rechts daneben das Postamt, davor eine Bushaltestelle ohne einen wartenden Menschen. Am großräumig abgesperrten Ort des Verbrechens arbeiteten immer noch die Techniker aus Ullis Team. Mittlerweile dehnten sie die Suche auf die angrenzende Wiese aus, bis hin zur Post. Zwei andere überprüften die Parkplätze und den Bürgersteig der danebenliegenden Querstraße.

      Zeller widerstand der Versuchung, zu den Kollegen hinüberzugehen und nach den bisherigen Ergebnissen zu fragen. Seine Neugierde kam nicht immer gut an. Manchmal wirkte es so, als ob er ungeduldig sei oder, schlimmer noch, die Techniker bei ihrer Arbeit kontrollieren wolle. Stattdessen fragte er Jones, ob sie Lust hätte, einen Kaffee mit ihm zu trinken.

      Sie willigte ein. Dieser Tag war nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Da war ein Kaffee genau das Richtige.

      Nach ein paar Metern wechselten sie beim Kreisverkehr in die Stadionstraße und liefen weiter geradeaus, bis Zeller plötzlich scharf links in einen Hof einbog und direkt in den Bioladen »b2« stapfte. Im dortigen Bistro angekommen, bestellte er sich bei der Verkäuferin mit den knallroten Haaren einen doppelten Espresso.

      »Wie immer, Herr Kriminalhauptkommissar?«, fragte sie und lächelte ihn freundlich an. Zeller nickte. Sie stellte den Espresso auf ein Tablett und zwei große Gläser mit Wasser dazu. Seine Kollegin bestellte lieber einen Latte macchiato.

      Die beiden Kommissare setzten sich an den einzigen freien Tisch. Durch das gegenüberliegende Fenster sahen sie hinaus auf den Hof. Es herrschte ein geschäftiges Treiben an diesem Tag, ein ständiges Kommen und Gehen. Immer wieder trafen Lieferfahrzeuge ein, luden volle Kisten, Körbe und Pakete ab oder leere Behälter auf und fuhren weg. Unter dem überraschten Blick von Elli Jones holte Zeller einen Flachmann aus der Innentasche seines Mantels und goss sich einen gehörigen Schluck in die Espressotasse.

      Ungefragt streckte sie ihm auch ihre Kaffeetasse entgegen. »Genau das brauche ich jetzt, Herr Kriminalhauptkommissar.«

      Er zögerte kurz, ehe er den Schnaps in ihre Tasse goss. »Wird uns beiden guttun nach diesem verrückten Tag. Prost«, sagte er dann. Mit einem einzigen Schluck trank er die schwarze, hochprozentige Kaffeemischung aus. Akribisch schälte er danach das beiliegende Keks aus der Verpackung und schob es sich zwischen die Zähne. Genüsslich zermalmte er das harte Gebäck. »Kennen Sie den Bioladen? Ja? Haben Sie schon mal hier gegessen? Nein? Das müssen Sie unbedingt nachholen. Die französischen Linsen aus der Auvergne sind ein Traum. Oder der Rotbarsch im Salzmantel, dazu ein Gemüseragout aus Auberginen, Tomaten und Sellerie. Alles frisch zubereitet. Ich liebe es.« Für Zellers Verhältnisse war das ein ungewohnter euphorischer Ausbruch gewesen. So was hörte man selten von ihm. Er ließ es auf sein Gegenüber wirken. Jones sollte sich den Moment einprägen, allzu oft würde sie ihn nicht erleben. Erst nach einer Weile sprach er weiter und fragte: »Wieso wollten Sie eigentlich unbedingt nach Rottweil? Sie hätten es sich aussuchen können. Bei Ihren Noten und der super Beurteilung hätte jede Dienststelle Sie mit Handkuss genommen. Leute wie Sie sind gefragt. Nur kann ich mir nicht vorstellen, wie man zu so einer großartigen Benotung kommt. Ist Ihr Vater Innenminister oder irgendein anderes hohes Tier? Sagen Sie mir, was Sie dafür getan haben.« Er grinste unverschämt.

      »Mit dem Chef geschlafen natürlich, was sonst?«, gab sie zurück und sah ihn mit großen Augen an.

      »Hören Sie auf, Jones. Mit dem alten Griesgram Kopella ins Bett? Ich habe viel Fantasie, aber da hört sie auf.« Er winkte der Bedienung, bestellte sich einen weiteren Espresso und seiner Kollegin eine Latte gleich mit. Ihre Antwort gefiel ihm. Die Frau war gar nicht so übel.

      »Natürlich habe ich nichts mit Kopella gehabt, mit ihm nicht und auch mit keinem anderen.«

      »So genau wollte ich es gar nicht wissen«, entgegnete Zeller und grinste wieder.

      Sie bekam einen roten Kopf und war um Festigkeit in ihrer Stimme bemüht: »Was denken Sie denn von mir! Ich habe mich angestrengt. Es ist mein Traumberuf! Ich will was bewegen. Ich möchte dazu beitragen, dass sich jeder in unserem Land sicher fühlen kann,

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