Die Muse von Florenz. Manuela Terzi
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Читать онлайн книгу Die Muse von Florenz - Manuela Terzi страница 17
Heute war sie glücklich, Vaters wankelmütiger Aufmerksamkeit entflohen zu sein. Sie wartete inzwischen nicht mehr auf Assunita, auf deren Begleitung ihr Vater großen Wert legte, sondern nutzte jede Gelegenheit, ihrem Zuhause zu entkommen. Nur erwischen lassen durfte sie sich nicht.
An der Stelle, wo die geschwungenen Brückenbögen der Ponte Vecchio die beiden Seiten der Stadt miteinander verbanden, geschah etwas Sonderbares mit ihr. Wenn der Wind nicht drehte und der unerträgliche Gestank des Gerbersuds nicht in ihre Nasenlöcher drang, fühlte sie sich mehr wie eine Florentinerin als anderswo. Hier vergaß sie für kurze Zeit, wessen Tochter sie war. Welche Erwartungen auf ihr ruhten. Sie fühlte sich frei. In ihrem Denken, ihren Träumen, ihren Wünschen. Die Vorfreude, vom anderen Ufer aus die Stadt in ihrer vollen Schönheit betrachten zu können, fern der Casa Serrati, ließ sie hasten. Von Weitem roch sie das träge Wasser, das der Arno mit sich führte und in dem die Färber ihre Tuche reinigten. Aufgeregt wie ein Kind rutschte sie auf der anderen Uferseite das ausgedörrte Gras am Ufer hinab, lauschte mit verzücktem Lächeln dem kunterbunten Spektakel der Stimmen derjenigen, die über ihrem Kopf in den unzähligen Handwerkerläden einkauften, Waren feilboten oder nur müßig spazierten. Selbst im Schatten war es an diesem frühsommerlichen Tag heiß. Doch lieber ertrug Juliana die Schweißperlen über ihren Schläfen und die schmalen Rinnsale, die der Stoff ihres Surcots aufsog, als in die Finsternis und Stille der Casa Serrati zurückzugehen.
Erschöpft vor Durst und Hunger sank sie auf den staubigen Boden und lehnte sich gegen die kühle Mauer des Brückenpfeilers. Eine Ewigkeit betrachtete sie, wie sich die Fassaden der Häuser, die den Fluss auf beiden Seiten säumten, auf der Wasseroberfläche spiegelten. Nichts zeugte von dem harten Los, das manche auf der anderen Seite des Flusses, altro Arno, ertrugen, fern vom Prunk der Patrizier und der reich verzierten und mit teuren Möbeln ausgestatteten Palazzi. Ohne Wehklagen, ohne Hoffnung auf ein besseres Leben. Ob Dario ebenso an Hunger litt wie so viele, die ihr Leben der Kunst verschrieben hatten? Gewiss erleichterte er sich sein Dasein nicht, indem er sich der Einladung eines einflussreichen Mannes widersetzte.
Trotz der Hitze schauderte sie bei dem Gedanken, was in Dario vorging, wenn er erfuhr, was mit der Büste geschehen war. Ihr Blick wanderte zum gegenüberliegenden Ufer zurück. An manchen Stellen der Fassaden bröckelte die Farbe ab. Die Bewohner, deren Geld kaum für das Essen reichte, hatten wichtigere Sorgen als einen neuen Anstrich. Beschämt senkte Juliana den Kopf. Wieder einmal erkannte sie, welches gute Leben frei von Sorgen oder Geldnot sie genoss. Dennoch war es ihr nicht genug. Nicht mehr. Hier lebte sie, aber es sollte bald vorbei sein mit dem Leben im goldenen Käfig. Traurig strich sie über ihren Surcot. Die seidenen Hüllen waren ein Symbol väterlicher Fürsorge, das sie erdrückte. Die Schnüre glichen unerbittlichen Ketten, die an ihr zerrten. Juliana neidete den Waschmädchen am Arno ihr unbekümmertes Dasein. Sie mussten nicht Rechenschaft über jeden ihrer Schritte ablegen, Buße tun für Gedanken wie diese, die Juliana seit dem Frühjahr immer eindringlicher marterten. Schwatzend standen die jungen Frauen in ihren einfachen Kleidern knietief im Fluss. Sie schürzten die Röcke und scherten sich nicht um die abschätzigen oder anrüchigen Blicke anderer. Sie konnten tun, wonach ihnen der Sinn stand, frei sein.
Mit einem tiefen Seufzer zerrte Juliana an dem engen Oberteil, das ihr mehr denn je die Luft zum Atmen nahm. Tränenblind starrte sie auf den dunklen Schatten der Brücke. Es war entschieden. Kiesel kullerten zu ihren Füßen und rissen sie aus ihren trüben Gedanken. Eine vertraute Stimme erklang und Augenblicke später saß Assunita neben ihr.
»Hör auf, dich zu bemitleiden«, schimpfte ihre Freundin. »Ist es nicht zu früh am Tag, um Trübsal zu blasen?«
Trotz der harten Worte umspielte ein Lächeln Julianas Mund. Seit Tagen wich sie ihrer Freundin aus, hatte Angst, ihr anzuvertrauen, was sie belastete, sie sorgte. Dabei erkannte Assunita auf den ersten Blick wohl, dass Juliana etwas betrübte.
Sanft strich die Freundin über Julianas Hand. »Was hat er dir angetan, Liebchen? Du magst es nicht gern hören, aber dein Vater liebt dich. Vielleicht zeigt er es nur auf andere Weise.«
Juliana konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Wütend schleuderte sie eine Handvoll Sand ungestüm ins Wasser, als könne sie damit etwas verändern. »Das Gericht hat beschieden, mich im nächsten Frühjahr in andere Obhut zu übergeben.« Mit Wehmut dachte sie an das Gespräch mit ihrer Mutter zurück, das selbst Marias sonst so wachsamen Augen und Ohren entgangen war.
Assunitas Augen weiteten sich, dann verstand sie und lächelte verzagt. »Du wirst Antonio lieben lernen. Es braucht Zeit, und ich werde dir beistehen, so gut ich kann.«
Juliana war so aufgebracht, dass sie die tröstenden Worte ihrer Freundin kaum vernahm. »Er nimmt mir alles, was mir lieb geworden ist, und gibt vor, mein Bestes im Sinn zu haben.«
»Du bist durcheinander und meinst, er tut dir Böses, doch Antonio wird sich hüten, dich einzusperren.«
»Ich gehe sicher fort! Nach Genua. Antonio wird nicht hierbleiben. In dieser Stadt, die mich auf dumme Gedanken bringt. Genua! Was tue ich dort? Assunita, ich weiß nicht, was ich machen soll!« Julianas Stimme brach. Es war nur ein Kuss gewesen, und was immer Antonio dabei empfunden hatte, reichte aus, um das Einverständnis ihres Vaters einzuholen und um Julianas Hand anzuhalten. Sie wollte nicht fort, niemals. Allein die Vorstellung, ihre geliebte Heimat, die vertrauten Gassen, die cupola zu verlassen, raubte ihr den Atem. Von der Ponte Vecchio aus sichtbar bohrten sich die Kirchenspitzen der sechs Stadtviertel in den azurblauen Himmel und prägten das Stadtbild. Morgens, wenn die Stadt schlief, saß Juliana gern am Fenster und lauschte dem Klang der Glocken. Auf der anderen Seite des Flusses wuchsen Hügel, von dicken Stadtmauern begrenzt, gesäumt von Olivenbäumen mit silbrig glänzenden Blättern.
»Du musst mit Antonio sprechen. Er versteht gewiss, wenn du in der Nähe deiner Eltern bleiben willst.« Assunitas Versuch, Juliana aufzumuntern, misslang. Ihrer Freundin kamen selbst die Tränen. »Was soll ich ohne dich tun? Wem kann ich mich anvertrauen, wenn du nicht mehr da bist? Oh, Juliana, du darfst nicht gehen!« Ungestüm schlang Assunita ihre Arme um Juliana.
Juliana lächelte traurig. Obwohl ihr Assunitas Nähe wegen der Hitze unerträglich war, zögerte sie, sich aus der Umarmung zu lösen. Sie würde Assunita vermissen. Ihre Freundin verstand vieles, was Juliana nicht auszusprechen wagte. »Er hat mich geküsst. Antonio«, flüsterte sie deshalb in das dichte Haar der Freundin. »Ich habe getan, was du gesagt hast, Assunita. Ich habe die Augen geschlossen, stillgehalten, dennoch habe ich nichts gespürt. Warum nimmt er mich zur Frau, wenn ich ihn nicht liebe?« Längst flüsterte sie nicht mehr.
»Sei still, Juliana! Willst du, dass man uns entdeckt? Verheult und verschwitzt. Das gäbe ein schönes Gerede, glaub mir.« Assunita zog ein zerknittertes Taschentuch hervor. Sanft trocknete sie damit ihre und Julianas Tränen.
Beim nächsten Spiel der Glocken klopfte Juliana sich den Staub ab und stand auf. »Ich muss zurück, bevor die Balken herabstürzen.«
Assunita grinste verschmitzt über die Anspielung auf die behütete Festung. »Ob sie auch ungebetene Verehrer fernhalten? Verlier nicht den Mut, Juliana. Dir bleibt noch Zeit, dich deinem Schicksal zu ergeben«, sagte sie und blickte traurig auf den Boden.
Widerwillig entzog sich Juliana der lieb gewordenen Betrachtung der Stadt, in der sich so