Die Muse von Florenz. Manuela Terzi

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Die Muse von Florenz - Manuela Terzi

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vor Scham, denn was ihre Mutter ihr in den folgenden Minuten anvertraute, würde niemals wieder über Julianas unschuldige Lippen dringen.

      *

      »Bestaunt und begreift, meine Freunde, was ich zusammengetragen habe im Schweiße meines Angesichts!« Mit solch hochtrabenden Worten eröffnete Ferdinando Serrati seine Darbietung in der Casa Serrati. Die ausgelassene Stimmung der Anwesenden, die vor der unerträglichen Hitze dieses Tages flüchteten und dem Aufruf ihres geschätzten Freundes ins neue Etablissement der Künste im Obergeschoss der Casa Serrati gefolgt waren, schlug alsbald auf Juliana über. Endlich erfuhr sie, was ihr Vater seit Wochen im großen Salon vorbereitete für die Besucher. War er deshalb so sonderbar gewesen? Zu ihrer Enttäuschung hatte Maria sie kurz vor dem Eintreffen der ersten Besucher informiert, dass der notario Juliana in ihrer Kammer wissen wollte. Der Anblick dieser Kunstwerke sei nichts für Kinderaugen, aber sie fand nichts Verwerfliches dabei. Der Faszination der anderen Gäste folgend, bewunderte Juliana nun unbemerkt diese eindrucksvolle Bühne für aufstrebende Künstler, Bildhauer und Maler. Für kurze Zeit vergaß sie die bittere Erkenntnis, dass ihre Tage in der Casa Serrati gezählt waren. Antonio eilte von Gast zu Gast und schenkte großzügig nach. Mit glänzenden Augen lauschte er ihrem Vater, und läge nicht Bitterkeit in ihren Gedanken, hätte sie sein Eifer belustigt. Heute jedoch diente die Casa der Kunst. Vaters Leidenschaft zog ihn neuerdings so in den Bann, dass er der Ratssitzungen in der Signoria überdrüssig war.

      Trotz ihrer Vorfreude nagte eine brennende Eifersucht an ihr. Statuen, Gemälde und Fresken beherrschten Vaters Denken mehr denn die Erfüllung seiner Pflichten. Wie eine Eidechse sonnte er sich inmitten seiner illustren Gäste, die seine Diener mit edlem Wein und anderen Köstlichkeiten empfingen. Juliana kauerte auf einer schmalen Treppe, die ihr einen guten Blick auf die Galerie und den sich füllenden Innenhof bot. Sie sah, was an allen Seiten geschah, blieb jedoch hinter den dicken Säulen verborgen.

      Sie merkte genau, wer die Casa Serrati zum ersten Mal betrat. Es war nicht die Größe, auch nicht der Prunk, mit dem der von außen unscheinbare Palazzo seine Besucher beim Betreten beeindruckte. Sie verstummten einer nach dem anderen beim Anblick der dicken Querbalken und glänzenden Ketten an den Seitenmauern, über die jeder Balken bei Gefahr jederzeit herabgelassen werden konnte. Es hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt herumgesprochen, dass die Balken vor wenigen Tagen zum Einsatz gekommen waren. Eine bedrohliche Geste, die bei einigen Patrizierfamilien für große Unruhe gesorgt hatte. Nicht alle Balken waren heute hochgezogen. Drei der dicksten schwebten weiterhin querliegend über dem Hof. Sie zeigten jedem neuen Besucher anschaulich, was sie erwartete, wenn sie sich gegen den angesehenen notario stellten. So gewarnt vor der Wehrhaftigkeit der Serratis wurden die Gäste weitergeführt. Auf dem ersten Treppenabsatz hatten sie jedoch die Bedrohung längst vergessen. Sie lachten, genossen den würzigen Duft der Myrte und cremeweißen Iris, mit denen die Diener und Mägde Brüstungen und Galerien geschmückt hatten. Wohlbeleibte Patrizier und Ratsherren, deren Namen weit über die Stadtmauern hinaus bekannt waren, zählten zu den engsten Freunden ihres Vaters. Auch Giovanni Baldachi war unter ihnen, was Juliana seltsam erleichterte. Ihm, dem die Casa Serrati vertraut war, jagten die bedrohlich schwebenden Balken keine Angst ein. Er leistete Julianas Mutter Gesellschaft, die angespannt das Eintreffen der Gäste beobachtete und Giovannis Scherzen nur vage zuhörte.

      Das Lachen der Besucher erfüllte den mittlerweile gut besuchten Salon und drang durch die offenen Fenster über die rötlich schimmernden Dächer. An diesem Tag standen Fehden, Unstimmigkeiten und Rivalitäten zurück, denn eine solche Einladung schlug niemand aus. Alle hingen an Vaters Lippen, auch wenn nicht jeder guthieß, was er von sich gab. Der Tag auf der Piazza del Duomo, an dem sie ihren Vater hilflos und verzweifelt erlebt hatte, erschien Juliana angesichts seiner überschäumenden Freude und seines Stolzes wie ein böser Albtraum. Der Mann, um den sich heute unzählige Menschen scharten, war ein völlig anderer. Ihr Vater lachte und scherzte unbekümmert mit den Gästen. Am Rande der ausgelassenen Gesellschaft stand ihre Mutter nun allein. Immer wieder sah sie zur Tür und lächelte nur, wenn sie angesprochen wurde. Wartete sie auf einen weiteren Gast oder sehnte sie sich bereits nach dem Ende des anstrengenden Tages?

      Juliana verließ ihren Platz auf der Treppe und fand hinter einer marmornen Säule auf der Fensterseite des Salons unbemerkt Zuflucht.

      Ihr Vater nahm seinen Weinbecher und setzte gerade zu einem Trinkspruch an, da stürzte Antonio aufgeregt herein. »Sie kommen nicht! Dario hat eben auf der Piazza della Signoria verkündet, er wolle lieber verhungern, bevor er auch nur einen Gulden annimmt von einem, der von Kunst nichts verstünde und noch weniger von der wahren Schönheit einer Frau.«

      Augenblicklich verstummten alle Gespräche. Juliana presste die Hand auf den Mund. Dario, den sie für einen einfachen Handwerker gehalten hatte, war ein aufstrebender Künstler, der Vaters Einladung ausschlug?

      »Die anderen folgen ihm aus Protest, notario. Habt Geduld, sie werden sich besinnen und dann …«

      »Zum Teufel mit ihm!«, schrie ihr Vater. »Ich hätte ihn und seine Freunde im Arno versenken sollen.« Auf sein Zeichen hin schlossen die Diener die Türen. Die ungewöhnliche Maßnahme sorgte für lautes Raunen, denn in dem überfüllten Raum war es mit einem Mal eng und stickig. Die Gesichter mancher Damen röteten sich alsbald. Hektische Fächerbewegungen verschafften keine Linderung. Eine Frau sank ohnmächtig in die Arme ihres Begleiters, was Vater nicht verständnisvoller stimmte.

      »Tretet zurück! Antonio! Schließt die Fenster, bevor die Statuen Schaden nehmen!«, befahl er stattdessen launisch und überging empörte Widerworte seiner Gäste. Die Statuen. Nichts schien ihm wichtiger.

      Juliana presste ihre Wange gegen die kühle Säule. Es war eine dumme Idee gewesen, sich hier zu verstecken. So sehr hatte sie sich auf die neuesten Roben der Damen gefreut, gehofft, sie bei ihren Gesprächen zu belauschen, um dann später brühwarm Assunita zu erzählen, was sie gehört hatte. Stattdessen saß sie in der Falle, einer schwülen Falle. Nun säße sie lieber mit ihrer Freundin am Fluss, in der Hoffnung auf eine sanfte Brise. Der Zauber, Vaters geheimes Etablissement zu sehen, war jäh verflogen. Er benahm sich immer seltsamer. Selbstvergessen ging er zwischen den ausgestellten Werken umher und merkte nicht, dass seine Gäste unter der zunehmenden Hitze litten. »Meine Schöne!«, rief er plötzlich.

      Beim Vernehmen dieser Worte seufzte Juliana erleichtert auf, aber sie irrte. Er meinte nicht Dina, sondern reckte seinen Kopf einer Statue entgegen, während er über die sanften Rundungen des weiblichen Torsos strich. Die Statue! Mit ihr hatte Vater so zärtlich gesprochen! Er presste sogar seine Lippen auf diesen … Stein! Vor den Augen aller Anwesenden! Ihre Mutter neigte den Kopf und tat, als unterhielte sie sich unbedarft mit Giovanni, der wie alle Gäste die groteske Posse ihres Vaters mit zunehmender Verwunderung, gar Abscheu verfolgte.

      Antonio flüsterte ihrem Vater etwas ins Ohr, worauf sich ihr Vater eher zögerlich auf seine Gäste besann. Mit einem süffisanten Lächeln winkte er alle näher. »Es bedarf einer Muse, um sein Werk zu vollenden, hat er gesagt?«, wiederholte er Antonios Worte voller Hohn.

      Dario suchte nach einer Muse. Juliana schauderte bei dem Gedanken, dass ihr Vater erfuhr, wer ihn auf diese Idee gebracht hatte. Was hatte Dario bloß angerichtet? Vater würde aus Zorn alle Künstler verunglimpfen. Das betraf vor allem jene artisti, die keinerlei Aufmerksamkeit bei den reichen Patriziern fanden, sondern ihre Arbeit in einer bottega anboten, um zumindest Geld für Vorarbeiten der Fresken zu verdienen und das Brot für ihre Familien bezahlen zu können. Viel zu viele Künstler in Florenz litten Hunger, weil Gönner wie ihr Vater ihnen nahmen, was sie ihnen zuvor so freizügig geschenkt, ja geradezu aufgedrängt hatten. Anerkennung, Geld und Vertrauen in ihre unermüdliche Arbeit. Darin waren die Florentiner gnadenlos. Sie huldigten denjenigen, deren Ruhm die Stadtmauern überwand, und verspotteten die, deren Talent nicht ausreichte, um die ersehnte Akzeptanz zu erlangen. Die, die es nicht fertigbrachten, eine Statue zu vollenden, die ihnen mit viel Glück oder den richtigen Kontakten mehr einbrachte, als sie je besessen hatten.

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