Die Muse von Florenz. Manuela Terzi
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Читать онлайн книгу Die Muse von Florenz - Manuela Terzi страница 10
Ein Schauer glitt über Julianas Rücken. Sie dachte an die Ereignisse zurück. Ein Toter war offenbar dennoch zu beklagen gewesen in jener Nacht, über die Maria trotz Julianas neugierigen Fragen bis heute eisern schwieg. Ein einziges Mal nur hatte Juliana es gewagt, ihre Mutter zu fragen, worauf diese in Tränen ausgebrochen war und von einem schrecklichen Ende gesprochen hatte. Niemand sprach seitdem darüber.
Was aber war heute geschehen, dass sich ihr geliebtes Heim binnen weniger Stunden in eine Festung verwandelt hatte? Die Beklommenheit, die so jäh über ihr bislang beschauliches Heim gezogen war, zwang sie, sich ein eigenes Bild zu verschaffen. Juliana war die Geheimnisse und Verbote leid. Flugs hastete sie in ihre Kammer und blickte aus dem Fenster. Einem Ameisenhaufen ähnelte die aufgewühlte Menge, die sich mittlerweile vor dem Haus versammelt hatte. Es waren nicht ein paar Menschen, die Vater zu sprechen verlangten – nein, es waren Dutzende. Die auf unbestimmte Zeit vertrösteten Männer waren aufgebracht und versuchten, gewaltsam einzudringen. So uneins sie in den Sitzungen der Signoria waren, an diesem Morgen verfolgten sie ein gemeinsames Ziel. Mit einem dicken Holzpfeiler rammten sie das Tor, über dem das Wappen der Familie Serrati hing. Immer wieder bündelten die Männer die Kräfte für einen neuen Angriff, bis das Portal an einigen Stellen zu bersten drohte. Die Erschütterungen verspürte Juliana bis in den dritten Stock hinauf.
»Antonio! Wo zum Teufel steckt er?« Die Stimme ihres Vaters überschlug sich vor Zorn und Ungeduld.
»Kommt heraus, Serrati, damit Ihr mit eigenen Augen seht, was Ihr mit Euren Verleumdungen anrichtet!«, rief einer der Männer, kaum dass Juliana einen Blick auf die Straße gewagt hatte.
»Da ist jemand!« Einer der Männer in einem roten Umhang mit goldglänzendem Wappen zeigte auf Juliana. »Macht auf! Wir wollen mit Eurem Herrn reden.«
Der Mann hielt sie offenbar für eine Magd! Empört wich Juliana zurück.
»Geh vom Fenster weg, sofort!« Maria stand keuchend neben ihr. Hilflos schwangen ihre Fäuste in der Luft umher.
»Was wollen sie von Vater? Hat es etwas mit diesem Mazaretto zu tun, diesem ungehobelten Mann vor der Basilika?« Was immer Vater mit diesem Mann zu schaffen hatte, es musste etwas Frevelhaftes sein, dass er ihn verfluchte und die Angelegenheit für solchen Aufruhr sorgte. Erneut erbebte das Haus unter den heftigen Stößen der Eindringlinge.
Maria erbleichte. »Was weißt du darüber?« Die alte Kinderfrau schien alles um sich herum vergessen zu haben. Sie umklammerte Julianas Hand und schnaufte vor Aufregung. »Es musste so kommen. Ich habe immer gesagt, dass dieser Frevel uns eines Tages einholt. Heilige Jungfrau, vergib mir.«
»Juliana, geht weg vom Fenster!« Antonio betrat ihre Kammer. Ohne um Einlass gebeten zu haben, stürzte er zum Fenster und schloss die Läden, sodass auch die kostbaren Wandmalereien mit ihrer Farbpracht dieser unerträglichen Dunkelheit zum Opfer fielen. »Ich bin es leid, Euch nachzulaufen!« Der junge Mann wirkte aufgelöst und war außer Atem.
»Vater verlangt nach Euch. Habt Ihr ihn nicht rufen gehört?«
»Antonio, warum war das Fenster offen?« Ihr Vater stand mit Zornesfalten über der Stirn im Türrahmen und fixierte seinen Gehilfen aufgebracht.
»Vater, was ist …«, begann Juliana zu fragen, doch Antonio fiel ihr ins Wort.
»Ich musste den Geheimgang nehmen, notario, sonst wäre ich eher hier gewesen. Juliana half mir, die Fenster in den oberen Etagen zu schließen.« Er warf ihr einen warnenden Blick zu, sofern sie ihn in der ungewohnten Düsternis richtig zu deuten verstand.
Die beiden Männer wollten allein sein. Rasch zogen sie sich in das Arbeitszimmer des notario zurück.
»Seid unbesorgt. Ich habe alles zu Eurer Zufriedenheit erledigt«, hörte sie noch, bevor Maria die Tür von Julianas Kammer schloss.
Antonio war erst jetzt gekommen. Das hatte Vater sicherlich gewusst. Nachdenklich blieb sie vor der Tür stehen und lauschte. Wovon sprachen sie? Sie sah Maria erwartungsvoll an, doch diese blieb unschlüssig vor der Tür stehen.
»Ihr könnt nicht alle so tun, als gäbe es diese Menschen da draußen nicht. So sprich endlich, oder soll ich Vater sagen, dass auch du durch die Luke gespäht hast?«
»Sei still. Tu einmal, was man dir sagt, ungezogenes Ding.« Mit diesen ungewohnt heftigen Worten verließ Maria die Kammer ihres Zöglings und versperrte hinter sich die Tür.
Niemals zuvor hatte Maria die Tür abgeschlossen. Wütend riss Juliana an dem Knauf. »Ich werde nicht aufhören zu fragen. Auch wenn du mich einsperrst, hörst du?«
Ein harter Schlag gegen das dunkel gebeizte Holz der Tür brachte Juliana zum Verstummen. Verzagt wich sie zurück und setzte sich mit dem Rücken zur Tür, in der Hoffnung, dass Maria bald zurückkäme. Nach einer Weile kauerte sie sich auf den kühlen Boden und entzündete ein Talglicht. Im fahlen Schein begann sie leise zu beten. Es gelang ihr nicht, sich Gott zu öffnen wie an anderen Tagen. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab.
Der Tag zog sich hin und ließ Juliana Zeit, über die cupola und ihre Begegnung mit Dario nachzudenken, diesem ungehobelten Handlanger Brunelleschis. Was würde sie ihm sagen, wenn sie ihm begegnete? Vielleicht freute er sich, sie zu sehen.
War die Meute vor dem Haus erschöpft? Die aufgebrachten Rufe waren inzwischen verstummt, denn sie hörte den Glockenschlag der nahen Basilika. Angestrengt lauschte sie an der Tür. Schwere Schritte hallten auf dem ersten Treppenabsatz, nicht die vertrauten Schritte ihres Vaters, sondern die eines Fremden. Galt ihm vielleicht der Zorn der Menschen? Gewährte Vater ihm heimlich Zuflucht?
»Du schließt Frau und Kind ein, Ferdinando?«
»Du hast die unerträglich heißen Sommer in Florenz vergessen, mein Freund!« Ihr Vater lachte. Unbeschwert, als wären die letzten Stunden in der Casa Serrati nur ein böser Traum gewesen. »Es wurde Zeit, dass du kommst. Du siehst selbst, was mich dein Rat gekostet hat. Schlaflose Nächte, Angst um meine Familie. Diese Männer vor meinem Haus werden nicht eher ruhen, bis sie die Wahrheit herausfinden.«
»Es war eure Entscheidung, die Verträge zugunsten der Opera zu ändern, Ferdinando. Nun findet einen Weg, das zu klären. Zwar fand Brunelleschi bisher nie Zeit, alles zu kontrollieren, aber …«
Suchte der Fremde eine Aussprache mit Brunelleschi? Seit seinem Erscheinen mussten gut zehn weitere Männer durch den Geheimgang gekommen sein. Nur so konnte sie sich die plötzliche Anwesenheit mehrerer Männer erklären, deren Stimmen jenen ähnelten, die sie vor einigen Tagen gehört hatte, bevor die überraschenden Besucher des Hauses verwiesen worden waren. Antonio empfing sie. Nur Giovanni Baldachi fehlte.
Eifersucht durchfuhr Juliana. Warum vertraute Vater Antonio neuerdings? Und schlimmer! Alle kannten den Geheimgang und konnten ungehindert in die Casa Serrati eindringen. Nun saßen sie in der Falle, umgeben von dicken Balken, die Licht und Zuversicht aussperrten, vor geschlossenen Fenstern und mit der bangen Frage, ob das Licht des nächsten Morgens die Casa wieder durchfluten würde.
Seufzend