Mord im Wendland. Klaas Kroon

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Mord im Wendland - Klaas Kroon

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Kennen Sie die Opfer? Wissen Sie, wer in dem Haus wohnt?«

      »Nein«, sagte Sabine, »die sind mir alle unbekannt. Und das wundert mich. Man kennt sich hier eigentlich. Ich wusste gar nicht, dass so tief im Wald überhaupt ein Hof liegt.«

      In diesem Moment kam ein PKW durch die Zufahrt gefahren. Es war ein rostiger brauner Mercedes mit Dannenberger Kennzeichen. Jakob Metzgers Privatwagen. Aber am Steuer saß nicht der Polizeihauptmeister selbst, sondern Anwärter Attila Yilmaz. Er parkte hinter Sabines Streifenwagen. Metzger öffnete die Tür und brauchte einige Zeit, bis er sich vom Beifahrersitz aus in die Senkrechte hochgearbeitet hatte. Er trug keine Uniform, sondern ein zu enges grünes Poloshirt, eine dreiviertellange beige Hose und Flipflops, als käme er gerade von einer Grillparty. Attila blieb hinter dem Steuer sitzen. Metzger hatte das sicher so angeordnet. Der alte Polizist bewegte sich auf die beiden Frauen zu.

      »Wer ist das denn?«, raunte die Gierke Sabine zu.

      »PHM Metzger, mein Vorgesetzter«, murmelte Sabine und verdrehte die Augen.

      »Sabine, was machst du hier?«, dröhnte Metzger. »Da lässt man dich mal einen Moment allein und schon gibt’s zwei Leichen.«

      Er reichte den Frauen die Hand. Seine Alkoholfahne blieb sicher auch der Gierke nicht verborgen.

      »Fünf Leichen, Herr Metzger«, sagte Sabine und sah ihn ernst an, »wir haben im Keller noch drei gefunden.«

      »Ach du Scheiße«, stöhnte Metzger und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Glatze.

      »Wissen Sie, wer auf dem Hof wohnt?«, fragte Frau Gierke den Alten.

      Metzger schüttelte langsam den Kopf. Er dachte nach.

      »Nee. Ich bin ja nicht der Briefträger. Ich komme nur zu den Leuten, wenn was passiert ist. Hier ist offenbar die letzten Jahre nichts passiert. Vielleicht fällt mir was ein, wenn ich die Namen höre. Aber ich bin nie auf diesem Hof gewesen.«

      »Gut, Herr Metzger«, sagte die Gierke, und es war offensichtlich, dass sie ihn loswerden wollte. »Dann danke ich für Ihren Besuch. Wir müssen weitermachen. Sie hören von uns.«

      Metzger wollte protestieren, doch Sabine nahm ihren Chef beiseite und schob ihn zu seinem Auto. Er fluchte vor sich hin, stieg aber in den Wagen.

      »Attila«, sagte Sabine zu dem jungen Kollegen, »wenn du den Chef sowieso nach Hause fährst, kannst du mir dann mit meinem Fang ja noch etwas zu Hand gehen, oder?« Die Festgenommenen schliefen auf dem Rücksitz wie Babys. Das war auch besser so.

      »Klar, Sabine, mach ich«, sagte Yilmaz und startete den Mercedes.

      Als sie mit beiden Fahrzeugen die Bundesstraße erreicht hatten, kamen ihnen drei Leichenwagen entgegen. Erst jetzt wurde Sabine die ganze Dimension des Grauens bewusst, das sich dort in diesem Haus abgespielt haben muss.

      Kapitel 8

      Es war nun schön warm und über den Bäumen sah man den blauen Himmel. Der Wolf hatte sich in ein Gebüsch verkrochen und Sahas saß in seiner Nähe. Eine ganze Zeit hatte der Wolf geschlafen, während Sahas vor sich hin döste. Ihm war langweilig und er hatte Hunger. Im Haus gab es viel zu essen, aber da konnte er nicht hin, oder?

      In der Ferne hörte Sahas Geräusche. Autos. Die hörte man im Wald sonst nie. Das laute Ding über den Baumspitzen war nicht mehr aufgetaucht. Sahas war es gewohnt, dass Garima und Udgam, vor allem jedoch Kamini, ihm sagten, was er tun soll. Aber die waren nicht da. Er musste sich das nun selbst sagen. Er wühlte mit der Hand auf dem Waldboden herum. Ob es hier etwas gab, das man essen konnte? Im Garten hinter dem Haus wuchsen ja auch Büsche mit leckeren Sachen dran. Himbeeren, Brombeeren und ein Baum mit Kirschen, aber die waren noch nicht reif. Im Boden steckten Möhren, es gab Bohnen und Kohl, auch Kartoffeln. Das alles hatte er hier im Wald nirgendwo gesehen.

      Plötzlich sprang der Wolf auf, er machte einen Satz nach vorne, tiefer ins Gebüsch und war halb verschwunden. Dann kam er wieder hervor und ging langsam auf Sahas zu. Er hatte etwas im Maul, das er nun vor Sahas ablegte. Eine Maus. Sie bewegte sich nicht. Der Wolf sah Sahas an. Sahas sah die Maus an. Sie war tot. Sollte er sie etwa essen? Hatte der Wolf sie für ihn gefangen? Sahas fasste die Maus mit spitzen Fingern am Schwanz, hielt sie sich vors Gesicht und schnupperte daran. Sie roch nach gar nichts. Sahas hatte schon viele Mäuse gesehen, tote und lebendige. Die hier war wie alle anderen. Der Wolf hatte sie mit seinen großen Zähnen kaum verletzt. Wenn sie im Haus Tiere aßen, zogen ihnen Udgam oder Om vorher das Fell ab. Sahas war schon mal dabei gewesen. Eine Maus einfach so zu essen, wie es Katzen taten und Wölfe vermutlich auch, das schaffte Sahas nicht. Kamini schimpfte immer, wenn Om und Udgam tote Tiere mitbrachten. Sie sagte dann, dass es Sünde sei, Fleisch zu essen und es die Menschen krank mache. Doch die Männer lachten nur. Sahas legte die Maus zurück auf den Waldboden.

      »Nimm du sie, Wolf«, sagte er. »Du hast doch auch Hunger.« Der Wolf stieß mit der Nase gegen die Maus und schob sie zu Sahas. Der musste lachen. »Nein, du. Nicht ich.« Sahas nahm die Maus an der Schwanzspitze und hielt sie dem Wolf vor die Nase. Der schnupperte daran, sah Sahas an, dann wieder die Maus und plötzlich schnappte er zu. Mit einem Happs hatte er die Maus im Maul und würgte sie runter. »Siehst du«, sagte Sahas, der beim Zuschnappen des Wolfsmauls mit den großen weißen Zähnen sehr erschrocken war, »das hat dir doch bestimmt gut geschmeckt.« Er hätte den Wolf jetzt gerne gestreichelt, aber das traute er sich nicht.

      Sahas hatte lange in der Wärme geschlafen. Der Wolf auch. Aber dann war er erneut vom Hunger geweckt worden.

      »Hey, Wolf«, flüsterte er und der Wolf hob den Kopf. »Ich gehe in unser Haus und hole uns was zu essen. Okay?«

      Natürlich verstand ihn der Wolf wieder nicht. Sahas zeigt mit dem Finger auf den Boden und sagte: »Warte hier, Wolf. Ich komme gleich wieder.«

      Er stand auf und ging in die Richtung, in der er sein Haus vermutete. Genau wusste er es nicht. Die Flucht vor den Männern mit dem Gewehr durch den dunklen Wald hatte ihn verwirrt. Sahas presste sich an einen Baumstamm, dann lief er schnell zum nächsten, um sich dort zu verstecken. So konnte man ihn höchstens nur sehr kurz sehen. Immer wieder ließ er den Blick durch den Wald schweifen, ob irgendwo ein Mensch auftauchte. Schließlich bemerkte er, dass der Wolf ihm folgte. Er war ein großes Stück entfernt, drückte sich dicht an den Boden, aber wenn Sahas ein Stück weiterlief, tat der Wolf das auch. Irgendwie fand Sahas es beruhigend, dass der Wolf in seiner Nähe war.

      Er war ziemlich lange von Baum zu Baum gelaufen, jedenfalls erschien es ihm so. War er so weit gekommen in der Nacht? Woher sollte er das wissen? Er war in seinem ganzen Leben noch nicht so weit vom Haus entfernt gewesen. Das war ein echtes Abenteuer, wie das von dem kleinen schwarzen Jungen, der mit einer Lokomotive um die Welt fuhr. Er hatte den Film auf Udgams Computer angeschaut.

      Was war passiert? Warum war er plötzlich ganz allein? Sahas weinte. Nur ein bisschen und leise. Durch den Tränenschleier konnte er gar nicht mehr richtig sehen. Als er sich dann die Augen rieb, entdeckte er weit hinten zwischen den Bäumen etwas Dunkelrotes. Sein Haus.

      Nun musste er sehr vorsichtig sein. Noch geduckter und noch schneller huschte er von Baum zu Baum. Der Wolf folgte ihm. Sahas kroch in ein Gebüsch, von dem er einen guten Blick auf sein Haus hatte. Was er beobachtete, machte ihm schreckliche Angst. Da waren Menschen, viele fremde Menschen. So viele Fremde kannte er nur aus Filmen, und Fremde waren gefährlich, das wusste er.

      Es standen Autos auf dem Hof. Große Autos und die Menschen trugen Sachen aus dem Haus. Was taten sie da? Gehörten sie zu den Fremden, die gekommen

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