Mord im Wendland. Klaas Kroon

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Mord im Wendland - Klaas Kroon

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»Nein, danke, Frau Gierke, ich komme klar.«

      »Gut. Ich mache ich mich jetzt mit Ihrem jungen Kollegen auf zur Turnhalle der Grundschule, die könnte als Einsatzzentrale passen«, sagte die Gierke und ging.

      »Ja, gut. Tun Sie das.«

      »Ich verarsche Sie nicht, ehrlich«, jammerte Hohmann. Wenn solche Typen »ehrlich« sagten, war alles zu spät. »Ich sage jetzt die ganze Wahrheit, und wenn ich dafür in den Knast muss.«

      »Die ganze Wahrheit? Da freue ich mich wirklich, Herr Hohmann. Haben Sie den Korb mit Kuchen und Wein für die Großmutter gefunden?« Sabine ärgerte sich über ihren Sarkasmus, aber sie hatte keine Lust auf diesen Mist. Sie musste mit Koslowski, Kiste, ja noch so ein Gespräch führen.

      »Wir waren nicht auf der Wildschweinjagd.« Hohmann schluckte, dieses Geständnis kostete ihn sichtlich Kraft. »Wir waren dort, um einen Wolf zu schießen. Jemand wollte uns dafür bezahlen.«

      Ein Wolf in Zusammenhang mit Geld? Schlagartig kam Sabine Hohmanns Geschichte nicht mehr so abwegig vor. Sie wusste um die Wölfe in dieser Gegend, die von einigen als Problem wahrgenommen wurden.

      »Ein Schäfer, nehme ich an. Wer?«, sagte Sabine.

      Hohmann schwieg.

      »Okay. Sie haben den Wolf also tatsächlich gestellt.«

      »Ja. Nicht weit von diesem Haus. Auf der anderen Seite des Waldes war eine Schafweide mit ein paar Schafen, davon wurde der Wolf angelockt. Das war so geplant. Ich hatte ihn vor der Flinte, dann hat er uns wohl bemerkt und ist abgehauen. Ich habe noch geschossen, aber nicht getroffen.«

      »Und das Kind?«

      »Im Mündungsfeuer habe ich eine Gestalt gesehen. Ein Mensch, ganz sicher. Er war nicht groß. Eher so.« Er hielt seine Hand ungefähr 120 Zentimeter über den Boden.

      »Und dieser Mensch ist mit dem Wolf weggerannt?«

      »Ja, so wirkte es.«

      »Können Sie sich vorstellen, was ein Wolf mit einem kleinen Kind macht? Die laufen doch nicht Hand in Hand zusammen weg«, sagte Sabine. Hohmann zuckte mit den Schultern. Sie wusste es selbst nicht. Sie hatte gelesen und im Fernsehen gesehen, dass Wölfe, entgegen der üblichen Vorurteile, keine brutalen Menschenfresser waren. Aber ob ein hungriger Wolf einen Unterschied zwischen einem Kind und einem Schaf machte?

      Sabine atmete tief durch. Das Gespräch war anstrengender als erwartet, womöglich auch ergiebiger. Sie war sich da noch nicht sicher. »Herr Hohmann, ich glaube Ihnen. Ich glaube Ihnen, dass Sie einen Wolf gesehen haben, und ich glaube Ihnen auch, dass Sie ein Kind gesehen haben. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass Sie beide zusammen gesehen haben. Spielt Ihnen Ihre Erinnerung da einen Streich?«

      »Nein, sicher nicht«, sagte Hohmann und fragte nach einer kurzen Pause: »Und wie geht es jetzt weiter?«

      »Folgendermaßen«, sagte Sabine. »Sie geben Fingerabdrücke und DNA-Probe ab und unterschreiben Ihre Aussage. Dann spreche ich mit Kiste«, sie lächelte, »und anschließend können Sie abhauen. Das Gewehr behalten wir hier. Das wird Folgen haben, wegen der fehlenden Besitzkarte. Den gejagten Wolf will ich Ihnen nicht anhängen. Seien Sie froh, dass Sie ihn nicht getroffen haben. Auf das Auto müssen Sie sicher noch eine Zeit warten.«

      Hohmann sagte: »Danke.« Er war sichtlich erleichtert. Das Kind ging Sabine nicht aus dem Kopf. Dieser Kiste, Karsten Koslowski, bestritt in der anschließenden Vernehmung energisch, dass da ein Kind gewesen sei, und meinte, dass sein Freund sich das nur einbilde.

      Am Mittag fuhr Sabine mit dem Fahrrad nach Hause. Das dauerte keine fünf Minuten. Wenn ihr Papa gut drauf war, kochte er mittags gerne eine Kleinigkeit. Andernfalls hatte Sabine immer etwas in der Tiefkühltruhe, was sie in der Mikrowelle für ihren Vater und sich auftauen konnte.

      Als sie in das kleine Haus trat, das sie so liebte und an dem so viele Erinnerungen hingen, duftete es nach Essen. Bratwurst, Sauerkraut und Kartoffelpüree standen fertig auf dem Herd. Was hatte sie für ein Glück, einen der wenigen Männer seiner Generation zum Vater zu haben, die kochen konnten. Als sie am Morgen das Haus verlassen hatte, schlief Papa noch, sodass sie ihn nicht über die spektakulären Ereignisse der Nacht hatte informieren können. Im Radio waren aber offenbar bereits einige rudimentäre Meldungen gesendet worden.

      »Schön, dass du da bist«, rief er ihr aus der Küche entgegen, »du bekommst nur was zu essen, wenn du mir alles ganz genau und haarklein erzählst.«

      Sie gab ihm einen Kuss und half ihm, Teller und Töpfe auf die Terrasse zu tragen.

      »Für alle Details habe ich keine Zeit, aber einen groben Überblick kann ich dir geben.«

      An ihre Schweigepflicht als Polizeibeamtin fühlte sich Sabine bei ihrem Vater nicht gebunden. Er war selbst Polizist gewesen, er wusste, wie das lief, er würde nie etwas ausplaudern.

      Sabine kam kaum dazu, das gute Essen zu genießen, so löcherte sie der alte Mann mit Fragen. Er war der ewige Polizist. Einer seiner zahlreichen Freunde hatte mal gesagt, der Hannes würde noch auf dem Sterbebett einen Verbrecher überführen.

      Der Fall, den Sabine ihrem Vater in knappen Worten schilderte, berührte ihn sehr. Ein solches Verbrechen mit fünf Toten hatte er in 40 Dienstjahren in seinem Zuständigkeitsbereich nicht erlebt.

      »Fünf Menschen, Sabine, das ist ja grauenhaft. Wer tut so was?«

      »Wir vermuten im Moment, dass es einer der Bewohner war. Erweiterter Suizid. Aber sicher ist es nicht.«

      »Erweiterter Suizid«, sagte der Alte verächtlich, »das ist eine blöde Formulierung. Das klingt so harmlos. In Wirklichkeit ist es ein vierfacher Mord und ein Selbstmord. Nennt es auch so.«

      »Ja, Papa. – Was waren das für Leute, wer hat auf diesem Hof gelebt? Ich kenne keinen von denen.«

      Der Alte senkte den dichten schneeweißen Haarschopf und legte die Hand an die Stirn. Das tat er seit ein paar Jahren, wenn er nachdachte, vor allem, wenn er versuchte, sich an etwas zu erinnern. Sein Gehirn sei stark wie immer, sagte Sabine gerne, wenn er sich Sorgen um seine geistige Gesundheit machte, es sei halt nicht mehr ganz so schnell.

      »Das war der Hof vom Bauer Kurze, Heinrich Kurze«, sagte der Alte schließlich. »Der hatte nur noch eine kleine Landwirtschaft. Das meiste verpachtet. Irgendwann, ich glaube, das war Ende der 70er, gab es dann diesen schrecklichen Unfall.«

      »Was für einen Unfall, Papa?«

      »Er ist mit seinem PKW nachts in einen Traktor gerast, der unbeleuchtet vom Feld kam. Ich war vor Ort. Ein schrecklicher Anblick. Heinrich und seine Frau Greta waren sofort tot. Heinrich hatte natürlich ordentlich getankt. Das war damals noch völlig normal.«

      »Und was geschah danach mit dem Hof?«

      »Heinrich hatte einen Sohn. Ich weiß nicht mehr, wie der hieß. Muss so um die 20 gewesen sein. Der hat den Hof bestimmt geerbt. Aber, Kind, das ist alles so lange her. Ich weiß nicht, was der mit dem Hof gemacht hat. Viel wert war er sicher nicht. Ich glaube, da haben eine Zeitlang Hippies gehaust. Hat manchmal Ärger gegeben.«

      »Hat dieser Sohn lange auf dem Hof gelebt oder lebte er da vielleicht bis heute?«

      »Ich sag doch, ich weiß es nicht genau. Ich muss

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