Mord im Wendland. Klaas Kroon
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Читать онлайн книгу Mord im Wendland - Klaas Kroon страница 2
Die Müdigkeit kehrte zurück. Ein Stück neben dem Baumstumpf legte er sich auf den Rücken. Es war weich und warm dort, fast wie in seinem Bett. Er blickte nach oben. Das Ende der Bäume war kaum zu erkennen, und an ihren Spitzen stießen sie so zusammen, dass er nur ahnen konnte, wo der Himmel war. Waren da Sterne? Sahas liebte Sterne und sah sie sich gerne durch das Fenster seines Zimmers an. Er stellte sich dabei vor, wie er durchs Universum schwebte von Stern zu Stern, wie dieser kleine Prinz, von dem Kamini ihm vorgelesen hatte. Er schlief ein.
Es war immer noch dunkel, als er wieder wach wurde. Lange konnte er nicht geschlafen haben. Was hatte ihn geweckt? Ein Geräusch? Durch die Spitzen der Bäume drang schwaches Licht. Der Mond stand nun höher am Himmel. Sahas sah sich im Wald um und konnte etwas mehr erkennen. Baumstämme, Baumstümpfe, dort noch mehr von diesen weißen Blasen.
Er hörte ein Geräusch, vermutlich das gleiche, durch das er zuvor aufgewacht war. Ein Hecheln? Atmete da jemand? Er drehte sich langsam um und entdeckte nicht weit weg, neben dem nächsten Baum: einen Hund. Der Hund war recht groß, weiß und grau, und er war dünn. Er sah Sahas an. Seine Augen leuchteten in der Dunkelheit.
Auf dem Hof hatten sie bis vor einiger Zeit auch Hunde gehabt. Zwei. Die hatte Sahas gut gekannt, aber sie waren weggelaufen. Sie haben sich in die Welt gewagt, hatte Kamini ihm erklärt, und dort seien sie verschlungen worden. Sie schien gar nicht so traurig darüber zu sein wie er. Die Hunde auf dem Hof waren freundlich gewesen, und auch dieser Hund da neben dem Baum wirkte freundlich. So einen Hund hatte er noch nie gesehen. Das Tier nickte mit dem Kopf und schob zögerlich eine Pfote vor, als wolle es auf Sahas zugehen, traue sich aber nicht. »Komm«, rief Sahas leise und lächelte den Hund an. Der rührte sich nicht.
Eine ganze Weile blickten sich Sahas und der Hund an. Niemand bewegte sich auf den anderen zu. Dann hob der Hund ruckartig den Kopf, spitzte die Ohren. Jetzt hörte Sahas es auch: Stimmen, von Männern. Sie näherten sich, langsam, flüsternd. Der Hund warf einen Blick in die Richtung, aus der die Geräusche zu ihnen drangen, und plötzlich zerriss ein schrecklich lauter Knall die Stille. Der Hund lief weg, langsam, lautlos und an den Boden gedrückt. Sahas folgte ihm, ebenfalls leise und gebückt. Der Hund wurde schneller und schneller. Sahas hatte Mühe, hinter ihm zu bleiben.
Kapitel 2
Olaf hatte lange genug auf den Marschbefehl gewartet. Es war schon einige Wochen her, dass der Bauer vom Leineweberhof und noch ein paar andere Kerle auf ihn zugekommen waren und ihm das verlockende Angebot gemacht hatten. Genau im richtigen Moment, denn die Zeiten waren hart. Seit fast zwei Jahren war Olaf nun arbeitslos und bald würde er Hartz IV beantragen müssen. Er würde auch in den kommenden Wochen keinen Job finden. Als Busfahrer ohne Führerschein war das nicht so einfach. Lagerarbeiter ging nicht wegen seines Rückens, Landarbeiter auch nicht. Einräumer im Supermarkt stand noch auf der Liste, doch die hatten ihn nicht genommen, weil er beim Vorstellungsgespräch zu viel intus gehabt hatte. Egal, er war nicht scharf auf so einen Scheißjob, und wenn sich ihm ab und zu Gelegenheiten wie diese bieten würden, war das Leben ja erträglich. 5.000 Euro hatte der Bauer geboten. Da Olaf den Job aber nicht alleine machen konnte, musste er jemanden finden, der ihm half.
Karsten, genannt Kiste, war der Auserwählte. Der hatte gerade mal wieder einen Job, allerdings nur Teilzeit in einem Getränkecenter zum Mindestlohn. Kiste war für solche Sachen zu haben. Und Kiste hatte ein Auto – oder genauer gesagt sein Bruder, der momentan in Lüneburg eine kurze Haftstrafe wegen Kreditkartenbetrugs absaß und den Wagen nicht brauchte. Das Auto war für den Abtransport bestimmt. Die Auftraggeber bestanden nämlich darauf, zu sehen, dass der Job erledigt war. Das war der gefährlichste Teil der Sache.
Egal. Am Nachmittag war der Anruf gekommen und es konnte losgehen. Die Warterei bis zum Einbruch der Dunkelheit hatte Olaf fast irre gemacht. Er hätte zu gerne seine Aufregung mit einem Kümmel oder zwei heruntergeregelt, doch das verbot sich von selbst. Er musste eine ruhige Hand und ein ungetrübtes Auge haben. Das mit der ruhigen Hand war schwierig. Viele Jahre der Sauferei ließen sich nicht wegdrücken. Er hatte auch lange nicht mehr geschossen. Eigentlich wollte er vor dem Einsatz üben, aber wo hätte er das tun sollen? Im Schützenverein war er seit Langem nicht mehr und für ein ruhiges Plätzchen im Wald hätte er gehen müssen. Mit dem Gewehr über der Schulter. Auf dem Weg von seiner kleinen Bude am Stadtrand von Dannenberg bis in den nächsten Wald war es fast eine Stunde zu Fuß. Unterwegs wäre ihm bestimmt jemand begegnet und hätte doofe Fragen gestellt.
Die alte doppelläufige Schrotflinte seines Vaters lag nun geölt und geladen vor ihm auf dem Wohnzimmertisch. Sie würde ihren Zweck erfüllen.
Die Sonne ging unter. Es klingelte. Olaf öffnete die Tür. Kiste lehnte betont lässig am Türrahmen und sog an einer Zigarette. Er war etwas jünger als Olaf, 48 oder so, aber das sah man ihm nicht an. Die grauen Haare hingen dünn und strähnig auf die Schultern. Rasiert hatte er sich sicher seit zwei Wochen nicht mehr. Kiste trug ein grünes T-Shirt und eine abgeschnittene Jeans, dazu ausgelatschte Sneakers. Wenigstens hatte er sich an Olafs Anweisung gehalten und keine grellen Farben angezogen wie sonst.
»Im Wald wird nicht geraucht«, sagte Olaf streng und Kiste nickte nur.
»Warte hier«, sagte Olaf, der nicht wollte, dass Kiste einen Fuß in seine unordentliche Bude setzte, obwohl es bei ihm zu Hause sicher nicht besser aussah. Er schob das Gewehr in das dunkelgrüne Futteral und zog sich die hellgrüne Weste an, in deren Taschen er ein paar Patronen verstaut hatte. Dann verließen sie das Haus.
Zum Auto mussten sie ein Stück gehen, weil man nicht direkt bis zu Olafs Hütte fahren konnte, die in einer Art Schrebergartensiedlung lag. Sie kamen an der Bushaltestelle vorbei, an der immer die kleinen Jungs aus den Hochhäusern herumlungerten und kifften. Sie musterten Olaf und Kiste interessiert.
»Ey, Almans«, rief der Kleinste von ihnen, »was habt ihr denn vor? Einen umlegen?«
»Halt die Fresse, du Schwuchtel, sonst bist du der eine«, rief Kiste und Olaf boxte ihn in die Rippen.
»Spinnst du? Ich will jetzt keinen Ärger mit den Kanaken.«
»Halt du die Fresse, Alman«, rief ein anderer aus der Gruppe, »sonst komm ich mal rüber.« Sie lachten.
Olaf und Karsten gingen etwas schneller. Bevor die Situation eskalieren konnte, waren sie schon an Karstens Wagen. Kiste schloss den alten Golf auf und Olaf legte das Gewehr auf die Rückbank.
»Hey, nicht dahin«, zischte Kiste, »in den Kofferraum, da sieht das Ding keiner.«
Karsten setzte sich hinters Steuer und zündete sich noch eine Zigarette an.
»Oh, muss das sein?«, maulte Olaf, dem es bei allen schlechten Angewohnheiten wenigstens gelungen war, mit dem Rauchen aufzuhören. Vor Jahren schon.
»Sind wir hier im Wald, oder was?«, sagte Kiste und lachte. Sie fuhren los. Es war verdammt heiß in dem alten Wagen, eine Klimaanlage gab es natürlich nicht, und das Fenster auf Olafs Seite ließ sich nicht öffnen. Die Kurbel fehlte. Am Rückspiegel baumelte ein grüner Duftbaum, der sicher längst den Gestank der vielen Zigaretten angenommen hatte, die hier geraucht wurden. Der Fußraum auf der Beifahrerseite war vollgemüllt mit McDonald’s-Verpackungen, leeren Zigarettenschachteln und Coladosen. Olaf versuchte, das Radio einzuschalten, doch Kiste sagte nur: »Kaputt.«
Olaf beobachtete Kiste. Der Kerl schien kein bisschen nervös zu sein. Schnallte er nicht, dass sie auf dem Weg waren, eine schwere Straftat zu begehen, auf die viele Jahre Knast stand?
Die beiden Männer kannten sich erst knapp