Nacht im Kopf. Christoph Heiden

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Nacht im Kopf - Christoph Heiden

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Klügste ist, man zieht hier weg.«

      »Dann kann sie ja nicht in der Fabrik arbeiten.«

      »Hast du mir gerade zugehört?«

      Jimmys Augen hoben sich über das Grün, als visiere er ein fernes Ziel an.

      »Wenn die Fabrik fertig ist«, erklärte Liane, »sind deine Eltern längst tot.«

      »Du spinnst ja.«

      »Ich sag nur Flughafen.«

      »Papa lügt nicht, niemals.«

      »Alle Eltern lügen.«

      »Mein Papa nicht.«

      Jimmy tauchte wieder ab und allein die Bewegung der Grashalme verriet seine Position. In betont ironischem Tonfall meinte Liane, sein Vater sage natürlich die Wahrheit.

      »Na also«, erwiderte er.

      »Was also?«

      »Also hab ich recht.«

      »Wir haben beide recht.«

      »Das geht nicht.«

      »Okay«, sagte Liane versöhnlich. »Du hast heute recht und ich morgen.«

      Er sprang aus der Deckung hervor und seine Brillengläser reflektierten das klare Licht der Vormittagssonne. »Und wenn du morgen stirbst?«, fragte er. »Hab ich dann für immer recht?«

      Der Trampelpfad mündete in eine ungepflasterte Straße. Jimmy verblieb im Schutz des Grases, bis er sicher zu sein schien, dass keine feindlichen Truppen patrouillierten. Mit einem Winken signalisierte er ihr, die Gegend sei sauber; dann huschte er über die Fahrbahn und verschwand auf der anderen Seite im Gras. Würden sie nicht dem Pfad, sondern der Straße folgen, wären sie binnen zehn Minuten wieder in Kuxwinkel; jetzt aber entfernten sie sich Stück für Stück von den Häusern und Höfen, von ihren Nachbarn und Eltern.

      »Liane?«

      »Ja.«

      »Wusstest du, dass Elektroautos brennen können?«

      »Alle Autos können brennen.«

      »E-Autos fahren ohne Benzin.«

      »Ach ja, hab ich vergessen.«

      Jimmy richtete sich auf und fokussierte sie so eindringlich, dass sie nicht umhin kam, ihn nach dem Grund zu fragen.

      »Akkubrand«, antwortete er. »In England ist sogar ein Mensch gestorben.«

      »In seinem Auto?«

      »Ja, verbrannt.«

      »Oh, Shit.«

      »Seine Frau hat die Firma verklagt.«

      Liane rupfte die verdorrte Ähre eines Grashalms ab und zerbröselte sie zwischen ihren Fingern.

      »Auf eine Million Dollar«, ergänzte Jimmy ehrfurchtsvoll.

      »Das bringt den Mann auch nicht zurück.«

      »Dafür kann sie für immer in den Urlaub fahren.«

      »Und ist Witwe. Für immer.«

      Jimmy senkte den Blick und sein dunkler Pony fächerte ihm über die Brille. Manchmal fürchtete Liane, er würde ihren Worten zu viel Wichtigkeit beimessen, insbesondere, wenn sie bloß daherschwafelte oder einen Scherz machte. Jimmy war die Ernsthaftigkeit in Person. »Ich wette«, fügte sie rasch hinzu, »die Witwe lässt richtig die Sau raus. Auf Mallorca. Oder in Las Vegas. Eine Million Dollar!« Ihre Begeisterung war bühnenreif und unter Jimmys Brille formte sich ein Grinsen.

      Sie bot ihm ein Fisherman’s Friend an und er langte katzenhaft zu. Dann huschte er zurück ins Gras und wurde wieder unsichtbar. Liane winkelte die Arme an und verschränkte die Finger hinter dem Hosenlatz – auf diese Art zu gehen, verlieh ihr ein Gefühl der Erhabenheit. Ein verdächtiges Rascheln im Ohr, fragte sie ihn, weshalb er ausgerechnet zu den alten Ställen wolle.

      »Wirste gleich sehen«, antwortete er.

      »Wollen wir nicht lieber zocken?«

      »Ich darf nicht.«

      »Wer sagt das?«

      Jimmy wich der Frage aus, indem er verkündete, dass ihr gleich die Spucke wegbleiben würde.

      »Hast du den Spruch aus dem Museum?«

      »Wieso? Versteh ich nicht.«

      »Das sagt kein Mensch mehr.«

      »Papa schon.«

      »Na ja, noch is was da.« Liane spuckte ins Gras, doch Jimmy reagierte nicht, und als sie ihn fragte, ob er bei den Ställen eine Million Dollar gefunden habe, entlockte ihm das nicht einmal ein Grinsen.

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