Teuchel Mord. Bernd Leix
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Lindt schloss die Augen, lehnte sich zurück und sah grün. Grüne, dunkle Tannenwälder. Er spürte die schattige, von einem leichten Windhauch durchzogene Kühle des Schwarzwaldes, hörte das leise Murmeln eines kristallklaren Bächleins, tauchte tief hinein in Wohlgefühl und stellte sich vor, er wäre dort. Wenn ich noch einmal entscheiden könnte, dann …
Weiter kam er nicht, denn das Klingeln seines Mobiltelefons riss ihn schlagartig in die Wirklichkeit zurück.
»Oskar, komm hoch, es pressiert«, klang Paul Wellmanns Stimme sehr erregt aus dem Lautsprecher.
Alarm! Das bedeutete nichts Gutes. Lindt sprang auf und machte sich zügig – die Pfeife jetzt in der Hand – auf den Weg in sein Büro.
Dort riss er die Tür auf. »Was gibt’s?«
»Schau, die Meldung hier ist grad reingekommen.« Paul zeigte auf seinen Computermonitor. »Lies selbst, oder nein, besser, du setzt dich erst.«
Er zog einen Besucherstuhl heran. Lindt ließ sich darauf fallen und überflog die Zeilen. Dabei entwich alle Farbe aus seinem Gesicht und er rang nach Luft. Mehrmals las er, was er nicht glauben konnte, schüttelte immer wieder den Kopf und sagte dann leise klagend: »Wieso der Franz? Wieso ausgerechnet der Franz?« Tränen traten in die Augen des Kommissars. Er verstummte.
Schwer atmend stand er auf, wankte zu seinem eigenen Schreibtisch, ließ sich dort nieder und legte die inzwischen verlöschte Pfeife in den Aschenbecher. »Nicht der Franz, nein, nicht der. Das macht doch keinen Sinn«, gab er kaum hörbar von sich und schüttelte weiterhin ein ums andere Mal den Kopf. »Ausgerechnet der Franz. Jetzt hab ich schon so oft mit ihm …«
Sein Tischtelefon signalisierte einen eingehenden Anruf. Lindt las die Vorwahl ›0741‹ – Das würde doch nicht … Er zögerte, abzuheben.
Dann nahm er das Gespräch doch an, und seine Befürchtung wurde wahr.
»Staatsanwaltschaft Rottweil, ich verbinde Sie mit der Frau Oberstaatsanwältin«, meldete sich eine warme Frauenstimme.
Wenige Sekunden später änderte sich die Stimmlage am Ohr des Mordermittlers grundlegend.
»Lindt, ich brauche Sie«, klang es schneidend scharf aus dem Hörer. »Lindt, hören Sie mir zu? Sie sagen ja gar nichts.«
»Ich höre und ich habe es gerade gelesen«, antwortete der Kommissar tonlos.
»Also, dann dürfte Ihnen der Grund meines Anrufes klar sein.«
»Sind Sie die ermittelnde Staatsanwältin?«
»Blöde Frage, saublöde Frage«, kam zurück. »Würde ich sonst anrufen?«
»Und Sie wollen wirklich mich? Ausgerechnet mich?«
»Lindt, lassen wir die Vergangenheit ruhen. Wir haben uns gezofft – und wie wir uns gezofft haben, aber jetzt gibt es keine Alternative. Sie müssen übernehmen.«
»Ich muss?«
»Ja! Dienstliche Anweisung. Mit Ihrem Chef spreche ich noch.«
Kriminalhauptkommissar Oskar Lindt atmete tief durch. »Ich bin befangen. Franz-Otto Kühn war für mich weit mehr als ein Kollege. Er war wie ein Freund, ein guter Freund.«
»Weiß ich!«, kam ganz kurz zurück. »Gerade deshalb brauche ich Sie als leitenden Ermittler in diesem Fall. Genau deshalb. Sie kannten ihn sehr gut, aber haben trotzdem die nötige Distanz.«
»Distanz? Nie und nimmer!«
»Räumlich, meine ich.«
»Wieso? Vermuten Sie …?«
»Genau. Es gab interne Probleme. Aber mehr sage ich Ihnen nur persönlich. Direkt in Freudenstadt.«
»Sind Sie vor Ort? Die Telefonvorwahl zeigt Rottweil …«
»Klar bin ich da, wo es brennt. Das Büro hat nur auf mein Handy verbunden. Also, wann kommen Sie?«
Der Kommissar atmete tief durch. »Wir können gleich losfahren.«
»Wir? Nein, Sie kommen alleine. Zumindest vorerst.«
Lindt holte tief Luft, erkannte aber, dass ein Protest, jedenfalls im Moment, keinen Erfolg haben würde, und antwortete: »In zwei Stunden bin ich dort. Treffpunkt?«
»Freudenstadt, Waldparkplatz Teuchelwald. Sagt das Ihnen was?«
»Ja, kenn ich. Bin unterwegs.«
Paul Wellmann sah seinen Kollegen an. »Die ›Eiserne‹? War sie das? Echt?«
»Die vergisst man nie, auch wenn sie nun schon jahrelang in Rottweil arbeitet«, nickte Lindt, und über seiner Nasenwurzel gruben sich tiefe Zornesfurchen in die Stirn. »An früher will ich lieber nicht denken …« Erst ballte er die Fäuste, dann machte er mit seinen Händen eine würgende Bewegung.
»… sonst könnte es sein, ich vergesse mich und packe sie an ihrem langen Hals …«
»Chef!«, entsetzte sich Jan Sternberg. »So kenne ich dich gar nicht.«
»Aber Oberstaatsanwältin Lea Frey, die kennst du ja wohl noch. Lang und dürr, ein Gesicht wie eine Krähe, jedes Wort ein Giftpfeil!« Lindt holte Luft, dann zählte er laut bis drei, atmete geräuschvoll aus und fügte hinzu: »Nein, ich rege mich nicht auf, es sieht nur so aus.«
»Das war eine hervorragende Demonstration von Auto-Deeskalation«, grinste Sternberg. »Solltest du mal auf einem Seminar vormachen.«
»Klappe!«, fuhr ihn der Kommissar an. »Franz ist tot, und das ist schlimm, sehr schlimm.«
»Einzelheiten?«, wollte Paul Wellmann wissen. »Was hat sie noch Wichtiges gesagt?«
»Erstens, ich soll alleine kommen. Zweitens, sie vermutet irgendwas Internes.«
»Aha. Deswegen war sie so knapp. Hat mich schon gewundert. Sonst konnten ihre Schimpftiraden ja nicht lange genug dauern. Aber immerhin – sie will dich. Wahrscheinlich werdet ihr noch dicke Freunde.«
»Dick?« Lindt spie das Wort regelrecht auf den Boden. »Erinnerst du dich, was die früher für ein Klappergestell war? Zieh ihr alte Kleider an und du hast die perfekte Vogelscheuche.«
»Vielleicht hat sie sich ja geändert?«
Lindt erhob sich. »Klang nicht so. Sie schießt immer noch scharf. Aber bitte, wir haben ja gerade keinen brandeiligen Fall hier in Karlsruhe. Also gibt es ein wenig Abwechslung mit der ›Eisernen Lea‹. Ich hole euch nach, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet.« Er füllte seine alte lederne Aktentasche mit zwei Handvoll Pfeifen, holte mehrere Tabaksdosen aus der Schreibtischschublade und ging zur Tür. »Haltet die Stellung. Ich melde mich. Ach ja, Paul, ruf doch bitte beim Direktor an, ob der