Tod zum Viehscheid. Mia C. Brunner
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Читать онлайн книгу Tod zum Viehscheid - Mia C. Brunner страница 10
»Ja, verstehe. Wie Henriette«, stellte Jessica fest und machte sich weitere Notizen. Den Gesichtsausdruck von Herrn Mühlbrunner, der augenblicklich von freundlicher Heiterkeit in ärgerliches Unbehagen wechselte, bemerkte sie nicht.
Erst als er mit verändertem Tonfall fragte: »Henriette ist auf Georgs Alpe?«, schaute sie auf.
»Sie kennen Henriette?«
Michael Mühlbrunner machte eine wegwischende Bewegung mit seiner rechten Hand und brummte: »Jeder in der Gegend kennt Henriette. Mich wundert nur, dass Rothausen sie auf die Alpe schickt. Die Kuh ist doch sein Allerheiligstes.«
»Verstehe«, sagte Jessica wieder, obwohl sie das Gefühl hatte, gar nichts mehr zu begreifen. »Kommen wir zurück zu dem Toten. Wie heißt denn der junge Mann, den Sie auf Ihrem Hof vermissen?«
»Viktor Weixler.«
8
»Mir ist einiges noch nicht ganz klar, Herr Lorenz.« Hauptkommissar Forster saß zusammen mit seinem Kollegen Berthold Willig in einem der Besucherräume der JVA Kempten dem Verdächtigen im Mordfall Michelsbach gegenüber und musterte ihn neugierig.
Der junge Mann wirkte weder eingeschüchtert noch verängstigt. Er saß mit vor der Brust verschränkten Armen zurückgelehnt auf seinem Stuhl und starrte den Hauptkommissar ablehnend an. »Wo ist denn die hübsche Hauptkommissarin?«, wollte er wissen. »Die hat mir viel besser gefallen als Sie. Die Kleine war heiß. Sie mag ich nicht.« Er hatte gerade noch so viel Anstand, nicht auf den Boden zu spucken, hob aber verächtlich die Oberlippe und zeigte Florian Forster seine Zähne.
»Das steht Ihnen natürlich frei, Herr Lorenz«, bemerkte der Hauptkommissar und hatte Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. Junge Männer um die 20 litten fast immer unter extremer Selbstüberschätzung und hielten sich in Bezug aufs andere Geschlecht meist für unwiderstehlich. Er war auch einmal jung gewesen. Nicht dass er jetzt alt war oder weniger attraktiv oder auch nur einen Hauch seines unwiderstehlichen Charmes eingebüßt hätte. Er war einfach erfahrener als vor 20 Jahren und vielleicht etwas subtiler in seiner Arroganz und Überheblichkeit. »Tut mir leid«, brachte Florian noch heraus, bevor er doch grinsen musste. »Sie erinnern mich an jemanden, den ich gut kenne.«
»Warum wollten Sie zu diesem Gespräch keinen Anwalt, Herr Lorenz?«, mischte sich Kommissar Berthold Willig, Florians junger Kollege, ein. »Ihnen steht es zu, sich bei Verhören von einem Anwalt beraten zu lassen. Das wissen Sie doch, oder?«
»Klar«, sagte Matteo. »Aber das geht auch ohne Rechtsverdreher. Ich bin schließlich unschuldig.«
»Verstehe«, bemerkte Florian. »Und wie gedenken Sie, mich von Ihrer Unschuld zu überzeugen? Sie waren am Tatort. Es gibt unzählige Spuren von Ihnen. Fingerabdrücke, Ihre DNA an der Leiche von Frau Michelsbach, Ihr Blut am Tisch«, zählte er auf.
Matteo Lorenz antwortete rüde: »Ich bestreite nicht, dort gewesen zu sein. Aber als ich angekommen bin, waren die beiden schon tot.«
»Wie sind Sie dann ins Haus gekommen?«
»Die Terrassentür stand offen.«
»Warum sind Sie durch den Garten ins Haus und haben nicht an der Haustür gewartet?«
»Boah, Mann. Das habe ich neulich alles bereits der Hauptkommissarin erklärt. Muss ich das heute erneut runterleiern?«
»Ja, bitte«, sagte Florian ruhig, verschränkte ebenfalls seine Arme und sah den Jungen streng an. »Das wäre erstens außerordentlich freundlich, und zweitens ist es die einzige Chance, hier zeitnah herauszukommen, wenn Sie wirklich unschuldig sind.«
Matteo Lorenz seufzte ärgerlich, berichtete dann aber ausführlich von dem Besuch beim Ehepaar Michelsbach. Die Geschichte deckte sich mit dem Bericht, den Jessica nach dem Verhör verfasst hatte, war jedoch nicht exakt genug, um einstudiert zu wirken. Vermutlich sagte der Junge die Wahrheit.
»Eins verstehe ich immer noch nicht.« Florian stand auf, ging um den Tisch herum und blieb direkt neben Matteo stehen. »Warum haben Sie erst Stunden nach Ihrem Besuch bei den Michelsbachs die Polizei verständigt?«
»Ich wollte gar nichts sagen. Man sieht ja, was dabei herauskommt. Ein Unschuldiger sitzt im Knast!« Matteo Lorenz klopfte sich mit der Faust auf den Brustkorb und sah den Hauptkommissar bitterböse an.
Dieser lächelte nur bedauernd und rührte sich nicht von der Stelle. »Warum haben Sie sich umentschieden?«
»Mein Vater hat es verlangt. Und mein Vater hat auch gesagt, dass Sie, Herr Hauptkommissar, jetzt dafür sorgen, dass ich hier herauskomme. Also, was ist? Darf ich endlich nach Hause?«
*
Bereits einen Tag nach dem heftigen Unwetter in den Allgäuer Alpen war der Himmel wieder hellblau und wolkenlos. Die Sonne schien seit den frühen Morgenstunden, und mittags zeigte das Thermometer über 30 Grad. Es war heiß, doch nicht mehr so schwül wie vor dem Gewitter.
Die Allgäuer Festwoche war seit ein paar Tagen vorüber, die Bierzelte, Bühnen und Messehallen bereits abgebaut und der Busverkehr am Zentralbusbahnhof lief wieder normal.
Für Ende August war diese Hitze im Allgäu recht ungewöhnlich. Jeder ältere Allgäuer hätte bis vor Kurzem behauptet, die Festwoche sei der Ausklang des Allgäuer Sommers. Danach werde es regnerisch kühl. So war es immer gewesen. Aber nicht in diesem Jahr.
Auf dem Hof der Familie Mühlbrunner konnte Hauptkommissarin Jessica Grothe direkt vor der Eingangstür parken. Der Hof war etwas kleiner als der Betrieb der Rothausens. Der Stall neben dem in die Jahre gekommenen Wohngebäude war halb so groß wie der Pferdestall, den Jessica gestern gesehen hatte.
Nachdem sie mehrfach an der Haustür geklingelt hatte, sah sie einen jungen Mann in grüner Arbeitshose um die Hausecke biegen. Er hob grüßend seine rechte Hand und lief weiter durch die offen stehende Stalltür.
»Entschuldigung«, rief Jessica ihm nach. »Wissen Sie, ob Michael Mühlbrunner oder seine Frau hier sind?«
Der junge Mann blieb stehen, drehte sich zu ihr um und schüttelte den Kopf. Jessica schätzte ihn auf Mitte 20. Ein gut aussehender Bursche mit blondem Haar, moderner Kurzhaarfrisur, aufgeweckten, himmelblau leuchtenden Augen, einem schmalen Gesicht und sportlicher Figur. Nur der grün-violette Bluterguss an seiner linken Schläfe und die mit Schorf verkrustete Unterlippe trübten das adrette Erscheinungsbild.
»Die Mühlbrunners sind auf dem Wochenmarkt in Oberstdorf. Dort sind sie samstags immer«, sagte er und lächelte höflich. »Aber es ist schon nach 13 Uhr. Sie müssten gleich zurück sein. Wenn Sie warten wollen …« Er wies auf eine Bank, die direkt neben der Haustür in der Sonne stand und mit karierten Kissen dekoriert zum Verweilen einlud. »Soll ich Ihnen einen Kaffee holen?«
»Vielen Dank, ich möchte nichts«, sagte Jessica, nahm jedoch die Einladung an, sich zu setzen. »Wie ist das mit Ihrem Gesicht passiert? Sieht übel aus.«
Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ein Unfall auf dem Hof. Das passiert, wenn man nicht aufpasst«, sagte er. »Darf ich fragen, was Sie von den Mühlbrunners wollen?« Er blieb neben der Bank stehen.
»Ich