Mörderisches Vogtland. Roland Spranger
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Zurück im Bio-Seehotel wurde mir in der Hotelbar Wasser in einem sehr sauberen Metallnapf vorgesetzt, während für Karsten ein Bier gezapft und für Britta ein Caipirinha gemixt wurde. Ich war mit dem Wasser zufrieden. Ich musste nüchtern bleiben. Mein Herrchen und die Situation im Auge behalten. Auf einer Party hatte ich mal ein Glas mit einem irischen Whiskey leer geschleckt. Sehr lecker. Brennt gar nicht so stark auf der Zunge, aber danach hatte ich Probleme, meine vier Gliedmaßen in die richtige Reihenfolge zu bringen. Whiskey überfordert jeden, der mehr als zwei Beine hat.
Herrchen und Frauchen prosteten sich zu, als hätten sie das schönste Herrchen-und-Frauchen-Verhältnis der Welt. Nach einer Weile verzogen sie sich auf die Sonnenterrasse und rauchten. Mit mir an der Leine. Sie ließen sich die untergehende Sonne ins Gesicht scheinen, aber mich konnte die ganze verlogene Romantik natürlich nicht blenden. Aufmerksam behielt ich die Bar durch die Panoramascheiben im Auge. Tatsächlich kam Oooliiii an den Tresen und bestellte einen Sex on the Beach beim Barkeeper. Kaum hatte der sich umgedreht, um den Cocktail zu mixen, entleerte Oooliiii eine kleine Ampulle mit einer klaren Flüssigkeit in Karstens Bier.
Ich konnte mich genau erinnern, als jemand das letzte Mal eine klare Flüssigkeit in etwas geschüttet hatte – und zwar Frauchen in meinen Futternapf. Danach hatte ich ein paar Erinnerungslücken, aber irgendwann war ich kastriert beim Tierarzt aufgewacht. Klare Flüssigkeit in einer Ampulle konnte nichts Gutes bedeuten.
Für den Sex on the Beach bedankte sich Oooliiii und zeigte seine Zähne. Dann ging er zu einem Sessel, von dem er einen guten Blick auf die Bar hatte.
Nachdem Karsten und Britta ausgeraucht hatten, gingen beide wieder mit mir zu den Getränken. Als sie sich zuprosteten, sprang ich mit vollem Körpereinsatz hoch. Herrchen fiel das Glas aus der Hand. Überall Scherben. Ich bewegte mich nicht vom Fleck, um mir nicht die Pfoten aufzuschneiden, bis auch der letzte Splitter aufgekehrt war. Das Frauchen sah mich die ganze Zeit wütend an. Karsten schob einen bunten Papierlappen über die Theke und bekam ein neues Bier. Er lachte.
Während das Herrchen in die Sauna ging, machte sich Frauchen mit mir auf den Nacht-Gassi-Gang. Unten am Strand traf sie Oooliiii.
Ich tat unbeteiligt und wälzte mich im Sand.
»Der Hund muss weg«, sagte Oooliiii. »Er beschützt deinen Mann.«
»So ein Blödsinn«, antwortete Britta. »Das ist nur ein Hund. Der kann nicht denken. Außerdem würde Karsten sofort abreisen, wenn ihm etwas passierte. Dann hätten wir gar keine Gelegenheit mehr.«
Danach machten mein Frauchen und der Oooliiii-Rüde Sex on the Beach. Sie saß auf ihm. Ekelhaft. Würden Hunde nie machen. Geht auch gar nicht. Anatomisch gesehen. Zurück im Hotelzimmer roch Herrchen wieder mal nichts. Menschen sind echt zu bedauern.
Am nächsten Morgen brachen wir zu einer Sightseeingtour auf. Mit dem Auto fuhren wir nach Wünschendorf. Im Garten der St.-Veit-Pfarrkirche 8 führte der Küster gerade Reparaturen durch. Deshalb traute ich mich nicht, an einen der bemoosten Grabsteine zu pinkeln. Ich hielt es zurück, bis wir an der alten überdachten Holzbrücke 9 waren. Bei Holz kann ich nicht anders. Ich hob das Bein. Frauchen verdrehte wieder die Augen, während Herrchen lachte.
Danach ging es weiter zum Kloster Mildenfurth 10 . Leider abgesperrt. Ein paar Gerüste waren aufgebaut. Sie sollten den Eindruck vermitteln, dass wirklich Restaurierungsarbeiten stattfanden. Herrchen und Frauchen bekamen Zugang, nachdem sie einen Künstler angesprochen hatten, der in unmittelbarer Nachbarschaft nicht nur sein Atelier, sondern auch den Hauptschlüssel zum Kloster hatte. Er führte uns in ein Gewölbe, in dem die langen Finger seiner Skulpturen aus der Dunkelheit tasteten. Verlorene Kinder. Menschen mit Tierköpfen. Maskierte Gestalten. Gruselig. Ich bellte wie verrückt. Es machte einen Heidenspaß.
Anschließend durften wir den Klostergarten besichtigen. Überall Skulpturen. Immerhin waren auch Hunde dabei. Sehr große Hunde. Der Künstler mochte mich. Seine Dogge war irgendwann gestorben.
»Aber in so ein Umfeld gehört ein Hund«, sagte er und kraulte mich hinter den Ohren. Dabei war ich einen Moment unachtsam. Ein dicker Stein schlug direkt neben meinem Herrchen auf. Kreidebleich drehte er sich um.
»Deshalb lasse ich normalerweise niemanden herein«, sagte der Künstler. »Es kann sich jederzeit ein Stein lösen. Kein Geld für die Restaurierung. Eine Schande. Die Menschen sind nicht mehr an Kultur interessiert, sondern nur noch an glatten Straßen.«
Ich war wütend auf mich selbst, weil ich nicht aufgepasst hatte. Bellend rannte ich zu der geöffneten Tür des Klosters. Die Treppe hoch. Bis zu der Tür, hinter der ich Oooliiii wittern konnte. Das Herrchen nahm mich an die Leine. Ich war ich widerspenstig. Bremste mit den Pfoten. Bis ich begriff, dass Karsten wieder mal das andere Männchen nicht riechen konnte. Dabei stank es nach Oooliiiis Anwesenheit. Nach der Präsenz des Bösen. Natürlich hätte ich noch ewig die Tür ankläffen können, aber auf diese erniedrigende Lassie-Nummer hatte ich wirklich keine Lust.
Während ich die Treppe nach unten sprang, wurde mir klar, dass ich langsam begann, das Spiel zu bestimmen. Oooliiii fiel nichts mehr Neues ein. Vermutlich war Plan A der Felsen in Greiz. Und Plan B das Gift im Bier. Jetzt griff er auf alte Ideen zurück. Er improvisierte. Wurde leichtsinnig.
Wir fuhren zur Burgruine Reichenfels 11 . Idyllisch gelegen mit einem Baum-Lehrpfad. Hundeparadies mit der Möglichkeit, an verschiedene Baumarten zu pinkeln. Unterhalb der Burg gab es einen Steinbruch. Ich konnte mir zusammenreimen, was das bedeutete: Diesmal würde kein Stein von oben kommen, sondern Karsten sollte in die Tiefe stürzen.
Aber diesmal würde ich so aufmerksam sein, wie man es vom besten Freund des Menschen erwartete. Und Herrchen half mir dabei: Er nahm mich von der Leine. Während er mit Frauchen Hand in Hand den steilen Zugang zur Ruine hochging, büchste ich aus. Unbemerkt. Britta und Karsten waren mit der Idylle beschäftigt. Den Bäumen. Dem Licht. Der Ruhe. Wir Hunde sind nicht so romantisch veranlagt. Ich folgte dem Geruch. Oooliiiis Geruch. Ich kam zu einem Holzzaun, an dem ein Warnschild befestigt war:
›Betreten verboten! Lebensgefahr!‹
Mit einem Satz sprang ich über den Zaun.
Oooliiii versteckte sich hinter einem Baum.
»Mistvieh«, zischte er. »Was willst du hier?«
Leider kann ich nicht reden. Sonst hätte ich was Cooles gesagt. »Yippie-ya-yeah, Schweinebacke!« beispielsweise.
Ich sprang Oooliiii an. Einen wunderbaren Moment lang war er sehr erstaunt, taumelte, machte einen Schritt zurück und stürzte in die Tiefe – während ich sicher auf allen vieren vor dem Abgrund aufkam. Ihm hinterher sah. Er schrie nicht einmal wirklich. Nur ein Geräusch, als hatte er sich verschluckt.
Ich lief zurück zu Herrchen und Frauchen.
Beide begrüßten mich freudig, als ich ihnen auf der Brücke zur Ruine entgegenkam.
»Wo bist du denn gewesen?«, fragte Herrchen lachend.
Während wir an dem Holzzaun vorbeigingen, blieb Frauchen etwas zurück und warf ihr Smartphone über die Latten. Deutlich sichtbar lag es auf dem kurzen Weg, der zum Steinbruch führte.
Übertrieben laut stöhnte sie auf: »Mein Gott!«