Mörderisches Vogtland. Roland Spranger
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Alex war bereits zwei Tage vor den Hoheiten in Rehau angereist und hatte sich die wichtigsten Stationen der Kartoffel-Rallye angeschaut. Einige kannte er schon von seiner Recherchetour. Der Volontärin des Organisationsbüros hatte er bei einer Piña Colada Einzelheiten zu den Aufgaben entlockt. Er konnte kaum fassen, wie einfach das gewesen war. Mit ein paar billigen Komplimenten hatte er sie an die Bar des Hotels eingeladen, als er sie nach einer Besprechung zu den Hotelbuchungen allein in der Lobby gesehen hatte. »Ich warte auf unseren Teamleiter. Wir wollen noch ein paar Dinge für die Wahl der Königin besprechen«, hatte sie ihm bereitwillig erzählt, nachdem er sich zu ihr gesetzt hatte. Der Teamleiter verspätete sich, dafür sprudelten die Neuigkeiten wie aus einer Quelle, und Alex musste sie nur aufsaugen. »Stell dir vor, die müssen ganz blöde Aufgaben erledigen, mit Kunst und so. Was das mit den hässlich braunen Knollen zu tun hat, weiß ich nicht, aber ich esse eh keine Kartoffeln. Und Bilder oder gar Schriftsteller interessieren mich überhaupt nicht. Mein Freund, der fährt eine Harley…«, quasselte sie weiter und nahm die Nachfragen von Alex kaum wahr.
Ein bisschen sehr blond, dachte sich der und hatte nach einem Glas genug von der hirnlosen Schönheit.
An den folgenden Tagen waren die Prinzessinnen und Königinnen nach und nach in Rehau angekommen und hatten sich mit dem Ort und ihren Aufgaben vertraut gemacht. Manche Dinge waren einfach lächerlich, aber bei solchen Veranstaltungen normal. Anfangs war jede Hoheit auf sich selbst gestellt. Dann standen sogenannte kollektivbildende Maßnahmen im Mittelpunkt des Treibens. Zum Abschluss sollten die Hoheiten auf einer interaktiven Karte Standorte des Kartoffelanbaus mit belastbaren Jahreszahlen und Namen eintragen. Das hatte etwas Pennälerhaftes.
Alex hatte Rosa einen ganzen Tag lang so unauffällig wie möglich verfolgt. Die Hoheiten sollten mithilfe ausgewählter Rehauer aus den von zu Hause mitgebrachten Kartoffelrezepten etwas kreieren. Sie musste den Küchenchef vom Mehrgenerationenhaus am Maxplatz nicht lange zum Mitmachen überreden. Die Rehauer Kochkünstler waren durch das Orgbüro unterrichtet und kannten die Anforderungen besser als die Themenadligen, die gerade Neuland betreten hatten. Als der Küchenchef gehört hatte, dass Rosa nahe der Rehauer Partnerstadt Oelsnitz wohnte und arbeitete, sagte er sofort zu. Neben vogtländischer Kartoffelsuppe und Rouladen mit grünen Klößen gehörten Quarkkeulchen als Dessert zu ihrem Drei-Gänge-Menü, das wie die Kreationen der anderen Hoheiten gemeinsam verkostet und bewertet wurde. Zuvor hatte Rosa im Kunsthaus eine Ausstellung mit konstruktiver Kunst besichtigt. Laut Aufgabenstellung war dort ein Kunstwerk auszuwählen, das die Kandidaten in einer schriftlich fixierten Interpretation mit der runden Knolle verbinden sollten. Rosa hatte eine Installation aus verschiedenen geometrischen Figuren ausgewählt und ihnen den Weg der Kartoffel ausgehend von der Entdeckung in Südamerika bis zum heutigen Anbau in fast ganz Deutschland zugeordnet. Mit der konkreten und visuellen Poesie im Kunsthaus hatte der nächste Auftrag nicht unmittelbar zu tun. Rosa vermutete jedoch, dass die Jury durch das Museum oder das Wort Poesie inspiriert worden war. Ein Kartoffelgedicht sollte geschrieben werden, möglichst eins, das man als Liedtext verwenden konnte. Das Dichten lag Rosa nicht so. Die Kartoffel in eigene Verse zu pressen, war ihr deshalb gründlich misslungen. Es war eher ein ›Reim dich oder ich fress dich‹-Gedicht entstanden. »Kartoffeln haben alle gern, egal ob nah oder fern. Die Mama kocht die tolle Knolle, der Papa futtert sich den Bauch ganz volle …« Siegverdächtig klang das nicht, aber die Aufgabe war erfüllt. Im Jugendzentrum sollte sie mindestens sechs Kinder und Jugendliche gleichzeitig mit dem Thema Kartoffel beschäftigen. Dafür hatte sie ein paar Kartoffeln, Pinsel, Stofffarbe und weiße T-Shirts geordert. Sie ließ die Teilnehmer Kartoffelstempel schnitzen und die Shirts damit bedrucken. Alle hatten ihren Spaß. Dann wurden gemeinsam Begriffe gesucht, die mit Kartoffeln in Verbindung standen. Alex hatte unauffällig zugehört, wie die Einheimischen Rosa Worte zuriefen, die sie notierte. Am Ende hatte sie die stattliche Anzahl von 317 Wörtern in ihrem Notizbuch stehen. Das musste erst einmal jemand nachmachen! Bratkartoffeln, Salzkartoffeln, Pellkartoffeln, Kartoffelkönig, Kartoffelhaus, Kartoffelkäfer, Kartoffelacker, Kartoffelsorte, Kartoffelturm … Es gab so viele Kartoffelwörter! Auch ein paar sinnlose Begriffe wie Kartoffelbraut oder Kartoffelreichtum waren dabei. Der Begriff Reichtum hatte Alex wieder an den Grund seiner Anwesenheit erinnert.
Es war bereits dunkel gewesen, als Rosa nach dem abendlichen Treffen der Hoheiten zu ihrer Unterkunft laufen wollte. Sie hatte ihr Zimmer etwas außerhalb gebucht und für den niedrigen Preis lieber ein paar Minuten Fußmarsch auf sich genommen.
Alex hatte in einer Seitenstraße auf die Prinzessin gewartet und ihr einen in Chloroform getränkten Lappen ins Gesicht gedrückt. Es dauerte nicht lange, bis Rosa bewusstlos in seine Arme gesunken war. Er nahm das Fliegengewicht auf den Arm und ging damit die paar Schritte bis zum Auto. Dort setzte er Rosa behutsam auf den Beifahrersitz, schnallte sie an, erneuerte den Chloroformlappen und fuhr mit ihr zur Bergwacht am Kornberg. Bei seinem letzten Besuch hatte er sich auf der Rückseite Zugang verschafft und den Zweitschlüssel mitgehen lassen. Ein paar Lebensmittel hatte er bei seinem Kontrollgang vor zwei Tagen vorsichtshalber hier gelagert. Die Fesseln und den Knebel legte er Rosa ziemlich locker an, denn er wollte sie nur vorübergehend aus dem Verkehr ziehen und nicht umbringen.
Der Ausflug und das Fest am Samstagabend hatten wie von ihm geplant ohne Rosa stattgefunden. Ihr Verschwinden war erst nach der Tour in den Ortsteil Pilgramsreuth aufgefallen. Mitarbeiter des Organisationsbüros hatten sich im Hotel umgehört und erfahren, dass die Kartoffelhoheit ihr Bett in der letzten Nacht nicht benutzt hatte. Rosa war weg, ihr Handy ausgeschaltet. Die Show war ohne sie weitergegangen. Alex hatte sich darauf verlassen, dass sie innerhalb kurzer Zeit am Kornberg gefunden werden würde. Seinen Auftrag glaubte er erledigt, denn die Wahl der Deutschen Kartoffelkönigin konnte Rosa nicht mehr beeinflussen. Das Vogtland hatte wieder einmal verloren. Alex auch, nur wusste er das zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Als er das Hotel verließ, wartete der nächste Gast bereits darauf, dass sein Zimmer frei wurde. Er gehörte zur Journalistenmeute, die deutschlandweit über ein besonderes Ereignis berichtete. Nach der Morddrohung hatte Alex Rosa und Pilgramsreuth in die Internetsuchmaschine eingegeben. Fassungslos hatte er auf die vielen Einträge geblickt. Er hatte mehrere Meldungen gelesen und sich den Rest zusammengereimt. Inzwischen schwante ihm etwas.
Am Tag nach der Krönung hatten sich die Hoheiten erneut auf Pilgramsreuther Flur begeben. Dort wurde das Legen der Kartoffelsorte Rosa mit einem zünftigen Frühschoppen gefeiert. Die Sorte mit der roten Schale und dem weißen Fleisch liebten die Bauern wegen des hohen Ertrags. Trotzdem sollte sie von den Äckern verschwinden. Das Unternehmen Knollo Knollanum hatte viel Geld investiert, um vorhandene Saatkartoffeln aufzukaufen und zu vernichten. Der Kartoffel-Mogul wollte eine Neuzüchtung auf den Markt bringen, an der er etliche Jahre experimentiert hatte. Viele Bauern waren bereits auf seine vollmundigen Versprechen hereingefallen und hatten Rosa fast freiwillig aus ihrem Anbauprogramm verbannt, andere gegen gewisse Geschenke. Nur die Pilgramsreuther hatten sich gegen ihn aufgelehnt, als er Rosa aus dem Katalog gestrichen hatte.
Das alles musste Alex irgendwie entgangen sein. Dafür dauerte es nicht lange, bis Knollo Knollanum den Irrtum seines Kartoffelkillers bemerkt hatte. Statt einer Bezahlung ließ er ihm Morddrohungen schicken. Bei seinen Nachforschungen hatte Alex auch erfahren, was seiner Kartoffelprinzessin widerfahren war. Rosa I. wurde nach drei Tagen in ihrem Gefängnis auf Zeit gefunden. Ihr Tod war der Aufmacher des Lokalblattes. Auch die überregionalen Zeitungen berichteten vom Schicksal