Mörderisches Vogtland. Roland Spranger
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Um die Kartoffelprinzessin kennenzulernen, hatte sich Alex für die über acht Kilometer lange Wanderung angemeldet und war an einem Samstagmorgen extra mit der Vogtlandbahn nach Hundsgrün gefahren. Er hätte sie auch ohne ihr gold-weißes Kleid mit schwarz-gelber Schärpe erkannt. Dafür hatte ihr rotgoldenes Haar gesorgt, das wie brennendes Kartoffelkraut in der Abendsonne leuchtete. Inzwischen wusste er, dass die anderen Hoheiten mit ihren blonden Fäden oder den braunen Pferdeschwänzen langweilig aussahen im Vergleich zur Herrin der Knolle aus dem Vogtland. Damals hatte er aufpassen müssen, dass er sich nicht in sie verliebte, denn so etwas war bei Jobs wie diesem grundsätzlich tabu.
Eine frühere Schulfreundin hatte er zur Kartoffel- und Weinverkostung der besonderen Art in Gündels Kulturstall 13 eingeladen, weil die Prinzessin dort einen ihrer legendären Auftritte hatte. Das war schwer genug bei einer kabarettistischen Veranstaltung, die mit so viel Begeisterung gestaltet wurde. Sie hatte es trotzdem geschafft, durch ihr brillantes Wissen gepaart mit natürlichem Charme. Wegen seiner weiblichen Begleitung war Alex unter den anwesenden Paaren kaum aufgefallen. Eigentlich waren Kartoffeln mit Quark oder Leberwurst und Wein so gar nicht sein Ding, aber er hatte sich im umgebauten Kuhstall wohlgefühlt und es den anderen Gästen gleichgetan. Drei Stunden hatte das Programm gedauert, bei dem die Hausband Vinotheker Kartoffeln und Wein besang oder besprach. Bei der Führung des Hausherrn durch den Weinkeller war Alex wie zufällig mit der Prinzessin ins Gespräch gekommen. Er war sicher, dass Rosa ihn nicht wiedererkennen würde, wegen der Dunkelheit im Gewölbekeller. Und wenn, dann würde er sich etwas einfallen lassen.
Im zweiten Schritt seiner Vorbereitungen hatte er sich um die anderen Hoheiten gekümmert, zumindest virtuell. Er hatte Kartoffelprinzessinnen in Westfalen und im Odenwald gefunden, in Niedersachsen und im Münsterland, in Rotenburg und im Kartoffeldorf Heichelheim bei Weimar. Es gab die Rheinische Kartoffelkönigin und die Bayrische, die Genthiner Hoheit und die Wolfsburger. Einige Regionen hatten gleich beides – Prinzessin und Königin. Und nun sollte es in Rehau die Jubiläums-Wahl der gesamtdeutschen Hoheiten geben. Die Bestimmung des Austragungsortes kam nicht von ungefähr. Im Rehauer Ortsteil Pilgramsreuth 14 soll Hans Rogler 1647 die ersten Kartoffeln im Vogtland angebaut haben. Ein Denkmal gleich neben der Kirche erinnert daran. Alex hatte im Winter eine Recherchetour unternommen. Dabei hatte er sich die beiden Figuren mit dem Kartoffelkorb gut angeschaut. Die Frau buckelt auf den Knien im Acker und liest die Kartoffeln in den Korb. Der Mann steht hinter ihr, auf einen Stock oder ein Grabegerät gestützt. Der große Interpretationsspielraum hatte ihn noch während der Rückfahrt beschäftigt. Alex hatte gelesen, dass der vogtländische Kartoffelanbau sogar noch älter sein könnte, als es die Jahreszahl auf dem Denkmal vermuten ließ. Es hieß, dass der Pilgramsreuther Bauer sein Saatgut aus Roßbach im Ascher Ländchen mitgebracht haben soll, also aus dem böhmischen Zipfel des Vogtlandes. Alex hatte gestaunt, was die Kartoffel im Vogtland lange vor dem Kartoffelbefehl von Friedrich dem Großen im Jahre 1756 für eine Bedeutung hatte. Tatsächlich hatten die Vogtländer als Erste in Deutschland den feldmäßigen Anbau der Kartoffel betrieben und nicht die Preußen, wie es landläufig hieß! Mehr als 100 Jahre früher. Griegeniffte, also Grüne Klöße, Bambes, eine Art Kartoffelpuffer und Kartoffelkuchen frisch aus der Röhre halfen schon gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges, die Hungersnot zu lindern. Clever waren sie, diese Vogtländer, fand Alex. 2012 hatten die Rehauer dem Alten Fritz posthum ihren Ehrenpreis ›Goldene Kartoffel‹ verliehen und damit für Wirbel in ganz Deutschland gesorgt. Dass der Geehrte nicht persönlich erscheinen konnte, war nebensächlich. Es wurde in allen Gazetten über die Vogtländer als Kartoffelpioniere geschrieben, Fernseh- und Rundfunkreporter hatten über das Ereignis berichtet, nur das zählte.
Sein Wissen sollte Alex helfen, als es im Mai ernst wurde. Die Aufgabe war für ihn klar umrissen. Rosa I. sollte weg und den Titel der Deutschen Hoheit nicht erringen. Zum Glück war der Winter mild gewesen, als Alex sich schon einmal in Rehau und Umgebung umgeschaut hatte. Der Große Kornberg 15 hatte wegen des gut sichtbaren Gipfels mit dem ehemaligen Aufklärungsturm der Bundeswehr sein Interesse geweckt. Als er dorthin gefahren war, hatte Schnee gelegen. Alex hatte einen Weg gesucht, auf dem er möglichst nah an den Berg herankommen konnte. Sein Smartphone hatte ihm Auskunft gegeben und den Zugang über Dörflas bei Kirchenlamitz empfohlen. Dort hatte er vergeblich nach einem Parkplatz Ausschau gehalten und seinen Wagen in einer Seitenstraße abgestellt, ehe er den mit einem roten Viereck und einem N markierten Nordweg des Fichtelgebirgsvereins 16 eingeschlagen hatte. Bei der Beschreibung hatte er etwas von einer Ruine namens Hirschstein gelesen. Er hatte erkunden wollen, ob sich die Ruine als Versteck für Rosa eignete. Bei ziemlich miesem Wetter hatte er den Aufstieg durch den Wald begonnen. Der Karte am Fuße des Berges fehlten die Entfernungsangaben. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er einen Pfeil gefunden, der die Richtung zu den Zigeunersteinen zeigte. Ehe er sich die Frage nach der politischen Korrektheit des Namens stellen konnte, hatte er den Wackelstein 17 entdeckt, neben dem ein dünner Baumstamm lag. Alex kannte Wackelsteine von anderen Orten. Meist waren dort Schilder angebracht, die das Phänomen erklären und Tipps für die Technik zum Bewegen des Steins gaben. Das hatte er hier vermisst. Überhaupt hatte er die Nase voll von dem Fußmarsch, denn eine Ruine, die so weit von der öffentlichen Straße entfernt war, eignete sich kaum als Versteck. Wie hätte er Rosa dorthin bringen sollen, ohne sich verdächtig zu machen? Er war zum Auto zurückgegangen und hatte eine andere Zufahrt zum Berg gesucht.
Unterwegs in Richtung Schönwald war ihm ein Schild mit der Aufschrift Schloss Sophienreuth 18 aufgefallen. Von Weitem war ihm das Gebäude leer erschienen, doch auf dem Weg hatte er ein altes Konzert-Plakat erblickt. Er konnte also nicht sicher sein, dass er im Mai hier allein war. Deshalb war er weitergefahren. Nach kurzer Zeit hatte er bemerkt, wie sein Magen knurrte. Im Örtchen Grünhaid hatte er direkt an der Straße zwei Gaststätten, eine Freizeitanlage und einen Campingplatz 19 entdeckt. Überrascht war er von dem Ferienschiff mitten im Binnenland, das man für seinen Aufenthalt mieten konnte. Er hatte sein Auto auf den Parkplatz gelenkt und sich in das Restaurant auf der gegenüberliegenden Seite begeben. Ein Schnitzel mit Pommes und ein leichtes Weizen später war er weitergefahren, um nahe dem leider geschlossenen Gasthaus Vorsuchhütte am Kornberg zu parken. Beim Mittagstisch hatte er gehört, dass der Aufstieg auf dieser Seite des Großen Kornbergs wesentlich kürzer war, vor allem wenn man die neu geschaffene Skipiste 20 benutzte. An der Kornberghütt’n gleich neben der Piste hatte er sich ein Heißgetränk geholt und beschlossen, die Gegend im Frühjahr weiter zu erkunden. Auf dem Rückweg war ihm die etwas abseits gelegene Unterkunft der Bergwacht Rehau aufgefallen. Dabei hatte er die erste zündende Idee, seit er in der Gegend unterwegs war. Im Mai würde es hier keinen Schnee und keinen Liftbetrieb mehr geben. Die Bergwacht dürfte also keinen Dienst mehr schieben. Er hatte die GPS-Koordinaten der Hütte in seinem Smartphone gespeichert und vergnügt die Heimreise angetreten. Die verbleibende Zeit bis zum Hoheitstreffen im Mai nutzte er für umfangreiche Recherchen und ein paar Begegnungen mit Rosa im Rahmen von größeren Events, bei denen sie ihn möglichst nicht wahrnehmen sollte.
Als er Anfang April nach Rehau zurückgekehrt war, startete er sofort zu einem ersten Rundgang durch die Altstadt. Er wollte die Stadt und das Umfeld recht genau kennen, bevor die Kartoffel-Hoheiten das Terrain in Besitz nehmen und ihre Wettbewerbsaufgaben erfüllen würden. Hatte er auf der Autobahn noch nichts mit dem Schild ›Rehau Modellstadt Bayerns‹ 21 anzufangen gewusst, so war ihm hier schnell klar geworden, dass die Straßen und Plätze ein Ergebnis von Entwürfen auf dem Reißbrett waren. Am Maxplatz befanden sich mehrere Tafeln, die von den großen Stadtbränden berichteten. Nach dem letzten Stadtbrand 1817 war die Stadt neu angelegt worden, was man mit Kenntnis des Stadtplanes genau nachvollziehen konnte. Alex hatte in Erwartung üppiger Spesen im besten Haus am Platz übernachtet, um sich am nächsten Tag auf Museumstour zu begeben. Nach dem Gewaltakt mit Besichtigung der Museen am Maxplatz, der Mechanischen Werkstätte am Angergässchen 22 und des Kunsthauses samt Skulpturengarten 23 hatte er den Abend bei fränkischem Bier und Rehauer Bratwürsten mit Sauerkraut verbracht. Er war früh zu Bett gegangen, denn sein Programm für den nächsten Tag war gespickt mit mehreren Stationen, die er abfahren oder ablaufen wollte.
Sein Weg hatte ihn erneut zum Großen Kornberg geführt. Dort angekommen,