Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann страница 42
»Bin ich etwa ein diebischer Bankier? Kleine Närrin! Solange ich keinen Orden bekomme, darfst du ruhig sein.«
Sie wagte eine Bitte:
»Wenigstens solltest du sparen. Du bist so leichtsinnig, mein armer Geliebter.«
»Ich verdiene, nicht wahr? Wer verdient, hat auch das Recht, Ausgaben zu machen.«
Er saß auf dem Korso vor den reichen Kaffeehäusern, den linken Fuß auf den rechten Schenkel gestützt und den Torso leicht und fein darübergeneigt in der Haltung des Dornausziehers. Eine Schar eleganter Damen und Herren umringte ihn, und er bewirtete alle. Er war glücklich und versagte sich keine Laune. Zwei Schwestern aus England, die abenteuernd das Festland durchzogen und manchem Millionär zu teuer waren, – Piselli gönnte sie sich. Nächsten Tages gab er seiner Freundin einen ausführlichen Bericht zuungunsten der Inselbewohnerinnen.
»Man fällt auf ihre gelben Schöpfe hinein und auf ihre Länge, und weil sie englisch sprechen. Wie sind wir Männer dumm!«
Sooft er sie warten ließ, benutzte sie es als Vorwand, bei ihrer Arbeit die Nacht zu durchwachen. Er kam in der Dämmerung, schwankend und aufschluckend, doch marmorschön. Sie legte ihn hin, bettete seinen Köpf in ihrem Schöße und behütete, zärtlich und weihevoll, den Schlaf eines Gottes. Das Lampenlicht ward gelb und erlosch. Die Sonne sprenkelte die beschriebenen Blätter, die den Tisch bedeckten. Die Blà berechnete, erschöpft und sorgenvoll, was sie für das Werk dieser langen, fiebernden Stunden bekommen werde. Piselli reckte sich, er sprang auf, gut ausgeruht. In seinen Taschen klimperte der Gewinn der Nacht, er rief fröhlich:
»Was für ein Frühlingstag! Heute habe ich wieder Glück!«
Pavic genoß auf Pisellis Kosten manches gute Frühstück, aber er genoß es, in der Menge der Gäste versteckt, als namenloser Mitläufer. Auf die Frage nach dem dicken Herrn im abgetragenen Anzug und schwärzlichen Hemd erklärte Piselli, der Name sei ihm entfallen. Pavic war in seinen Schmerz vertieft, er merkte es nicht, wenn junge Gecken, die ihn gestreift hatten, sich mit dem Schnupftuch den Ärmel betupften, oder wenn ein feines Fräulein, dessen Vater den Rinnstein kehrte, ihm unter angewiderten Fratzen und Maiglöckchensträußen vor dem Gesicht umherwedelte.
Eines Abends befand er sich in der Gesellschaft der Pariser Diva Blanche de Coquelicot. Raphael Kalender hatte sie für seine Bühne gewonnen; ihre Bewunderer gaben ihr ein Souper. Auf dem Absatz der flachen Treppe, die zum Speisesaal emporleitete, erhob sich ein Prachtstück von einem Spiegel, wundervoll geschliffen, in gemeißeltem Rahmen, den schwebende Putten umkränzten. Kerzenlicht und Farben glühten höher in diesem Spiegel als in der Wirklichkeit. Er war wie ein Haus der Wonnen, das sich weit auftat, strahlend und lockend: man mußte hineinsehen. Jeder, der vorbeikam, zögerte und unterdrückte ein Lächeln der Befriedigung; denn der Spiegel zeigte ihm nur das, was er an sich liebte.
Der Tribun näherte sich dem Spiegel zwischen zwei Klubleuten. Der eine bewunderte sich hauptsächlich wegen seiner Favoris und seiner schmalen Lackschuhe, der andere wegen seines neuen Fracks. Pavic erkannte dies mit einem plötzlich grell erleuchteten Blick.
›Warum bin ich denn zerknittert von Falten, als ob ich jede Nacht auf dem Sofa schliefe? Sind meine Stiefel heute gewichst? Wann war ich zum letzten Male beim Coiffeur?‹
»Er kann sich nicht losreißen«, sagte hinter ihm eine Dame. Pavic merkte, daß er stehengeblieben war. Er zog seine Hose hinauf, doch sie rutschte gleich wieder; und er enteilte errötend.
Er aß verzweifelt und stumm. Gegen Ende des Festes benahm Blanche de Coquelicot sich gegen ihn ausgelassen. Sie behauptete, den inneren Rand seines Hutes bedecke eine Schicht Schweinefett. Sie versuchte sogar, ihn zu reinigen, indem sie Champagner darauf goß.
Pavic war weit entfernt von den Gänsen, die ihn bewitzelten. Er dachte an seine Photographie, die ehemals in den Schaufenstern zu Zara aushing. Wer weiß, vielleicht hing sie noch dort. Die Frauen schwärmten noch immer vor dem Bildnis des edelgeformten Freiheitshelden. ›Und ich sitze hier!‹ Plötzlich fiel ihm, mit leidenschaftlicher Deutlichkeit, ein perlgraues Beinkleid ein. Er war einmal mit ihm im Triumph spazierengefahren, im Wagen der Herzogin von Assy.
Er ging erst, als die Rechnung bezahlt war und ihm kein Wein mehr gereicht wurde. Darauf besuchte er eine Weiberkneipe. Gegen Morgen erreichte er sein Zimmer, es lag im vierten Stockwerke eines von Handlungsreisenden benutzten Hôtel meublé. Er hielt sich für todmüde, aber als er an dem gelben Stück Glas vorbeikam, vor dem er sich zu kämmen pflegte, begann er unversehens vor Wut zu zittern. Er wandte sich drohend um nach einer unsichtbaren Person.
»So hast du mich aussehen gemacht! Ruchlose! Die Hölle erwartet dich, das glaube nur! Du Vornehme! Eine Herzogin gehört in die Hölle! Sie hat ja nie gelitten!«
»Du! Spielt man so mit Menschenleben?« schrie er, und sein Haß und seine Gier quollen auf in Tränen. Eine Sucht quälte ihn nach der Herzogin und der perlgrauen Hose, beide auf immer verloren. Hätten beide vor ihm gelegen, so wäre Pavic in ohnmächtigem Verlangen an ihnen zerflossen.
Er begab sich nicht zu Bette, er redete bis an den Morgen mit der Herzogin.
»Du bist nun vogelfrei, denn du bist zu böse! Dir darf man antun, was man will! Schlecht? Nein, schlecht ist nichts, wenn es zu deinem Schaden geschieht!«
Nachmittags traf er Piselli im Café Venezia. Er winkte ihn in die Ecke und überreichte ihm eine um ein halbes Jahr zurückdatierte Schuldverschreibung der Herzogin von Assy. Pisellis Haut verlor ihren Glanz, sie ward fahl.
›Dieser Mensch bringt mir Unglück‹, dachte er. Er zahlte sofort aus seiner Tasche und begann dabei schon nachzusinnen, wie Pavic, falls er sein Stückchen wiederholte, zu beseitigen sei.
Doch hatte er von Pavic nichts mehr zu befürchten. Der Tribun ließ sich die Hose anfertigen, aber als sie über seinem Stuhle hing, verkroch er sich ins Bett. Ihn schauderte vor ihr und vor seiner Tat. Die Bettwärme erweichte endlich seine grausame Reue, und er durfte weinen. Er schluchzte dermaßen, daß sein Bauch umherkollerte und das Tuch, das ihn bedeckte, Wellen schlug. Das Morgenrot fand Pavic auf den Steinfliesen im Gebet.
San Bacco ging oft im Zimmer der Herzogin auf und nieder. Unter Fechterbewegungen und mit hoher Kommandostimme erklärte er:
»Diesen Tamburini liebe ich nicht, er ist ein Wolf. Und gar die Fürstin Cucuru und ihre Tochter – ha! Was für Wölfinnen.
»Die armen Frauen!« meinte die Herzogin.
»Arm? Oh, ich glaube, daß es für jede weibliche Schande Verzeihung gibt, nur nicht für die Wölfinnen von Priestern.«
»Die Familie Cucuru ist also verdammt?«
»Ich glaube es. Dann die Contessa Blà, sie ist mir viel zu witzig. Der Doktor Pavic, ich weiß nicht, warum er ganz verblödet.«
»Der eine hat zuwenig Geist, der andere zuviel. Lieber Freund, Sie sind grämlich.«
San Bacco verstand seine Gefühle nicht zu deuten, doch wurde ihm im Verkehr mit allen diesen Leuten nicht wohl. Sie berührten ihn geradeso unheimlich wie manche unter seinen Kollegen im Parlament: beträchtliche, weltkundige Herren, deren zahlreiche Ordensbänder als Fahnen aufgepflanzt waren auf einem Wall von Diebereien und Gesinnungslosigkeiten. Er konnte ihnen nichts davon nachweisen, und wenn der alte Garibaldianer, unterstützt von den geraden Draufgängern und den ahnungslosen Philosophen seiner Partei, einmal losbrach gegen die gewandten Regierungsfreunde, dann hatte er sie zum Schluß verleumdet,