Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann страница 38
Am Freitag berichtete er dann:
»Wie diese Menschen mich lieben! Ah! Nichts erwärmt ein Leben so, wie die Liebe eines Volkes. Ich darf sagen, für sie bin ich ein Halbgott!«
›Ein Halbgott zum Weinen‹, dachte die Blà. Die Cucuru platzte einfach aus.
»Und ich kenne einen jeden nach Namen, Herkunft und Geschichte! Alle werden wegen lauterer Gesinnung verfolgt, wie ich, und wie Sie selber, Herzogin. Einer hat gestohlen.«
»Mir zu Gefallen?« fragte sie.
»Seinem Ideale folgend. Denn der Eigentumsbegriff ist dem einfachen Gemüte nicht natürlich. Und als die Revolution losbrechen sollte, da hielt er die Stunde für gekommen und ... stahl. Ein anderer bringt eine Puppe in Generalsuniform mit, die auf einem Pfahl steckt. Er dreht sie sehr rasch um den Pfahl, und ehe man sich dessen versieht, sitzt sein Messer ihr im Herzen. Er gibt mit rührender Andacht alle seine freie Zeit her, um sich diese Sicherheit des Stoßes einzuüben. Er wird eines Tages den König Nikolaus richten ...«
Vinon Cucuru kreischte auf.
»Dreht Nikolaus sich immerfort um einen Pfahl?«
Pavic sagte unbeirrt:
»Dieser Jüngling ist reinen Herzens, mit seelenvollen blauen Augen, und hat noch nie ein Weib berührt.«
Die Damen betrachteten ihn, erheitert und leicht angewidert, sie wußten nicht, ob durch ihn oder durch seinen Jüngling. Hinter seinem Rücken krümmte sich lautlos der Kardinal.
»Welch redlicher, empörter Patriotismus in allen ihren Handlungen und in jeder Herzensregung! Das unglückliche Dalmatien ist, wie Sie wissen, von seinen Tyrannen so herabgewirtschaftet, daß es nur noch Papiergeld besitzt. Im gerechten Zorn darüber hat einer meiner Verehrer sein neugeborenes Töchterchen Papiria genannt.«
»Allerdings habe ich ihn darauf gebracht«, setzte er hinzu, da er die Wirkung auf den Gesichtern sah. Er trank mit krankhafter Begierde die Teilnahme von den Mienen, ohne es zu beachten, wenn sie höhnisch war. Und er jagte eine Anekdote der andern nach, aus Furcht, man möge ihn unterbrechen.
»Alle beten Eure Hoheit an!« rief er, da die Herzogin ihm unaufmerksam schien; und mit verzweifelter Selbstüberwindung:
»Beinahe noch mehr als mich! Die Gestalt der Herzogin von Assy ragt diesen Armen, die für sie leiden, bereits in eine Sagenwelt hinein. Sie meinen, sie sitze irgendwo in Rom in einem Turm gefangen. Ihr schwarzes Haar hänge aus dem Gitterfenster bis auf die Straße. Wenn der Papst vorbeigehe, so speie er darauf.«
»Oh!« machte die Blà, ängstlich fast vor Entzücken. Lilian richtete ihr blasses Antlitz schnell auf die Herzogin, in das frische ihrer kleinen Schwester trat zum erstenmal etwas wie Nachdenklichkeit, und ihre Mutter glotzte gänzlich verdummt darein. San Bacco ging, geärgert durch all das nutzlose Gerede, im Hintergrunde auf und ab; er blieb plötzlich stehen und bemerkte:
»Das, was Sie da sagen, ist einmal schön.«
»Man könnte das Bild in einen Stein schneiden«, meinte der Kardinal. »Es ist recht kurios; ich will Seiner Heiligkeit davon erzählen.«
»Ich möchte die Leute sehen«, sagte unerwartet die Herzogin.
»Pavic, von wem haben Sie diese ... Sage? Hoffentlich nicht von Ihrem reinen Jüngling?«
»Dem mit dem Pfahl und ... ohne Weiber?« fragte die Blà.
»Nein, von zwei Bauern«, berichtete Pavic. »Sie haben daheim einen Gendarmen blutig geschlagen. Sie sind über das Meer geflohen – gleich uns, und sie verlangen sehr danach, Eurer Hoheit zu Füßen zu fallen.«
Tamburini hegte Bedenken gegen eine zu nahe Berührung der Herzogin mit den Ihrigen.
»Was wird denn aber aus dem Märchen vom Turm, wenn Sie sich den beiden am hellen Tage in einem behaglichen Zimmer zeigen?«
»Es könnte draußen geschehen, und bei Nacht«, meinte die Blà, verliebt in eine romantische Vorstellung. Die Cucuru kicherte, kurzluftig vor Bosheit.
»Jawohl, in finsterer Nacht! Huhu! Und an einem Orte, wo es keine Polizei gibt. Da schleicht eine vornehme Dame zu zwei verdächtigen Individuen. Alle drei sind vermummt und erzählen sich gräßliche Geschichten. Man hört in der Ferne jemand umbringen, und es blitzt. So ist es doch auf dem Theater, nicht?«
»Herzogin, ich begleite Sie!« rief San Bacco.
›Zögere ich?‹ dachte sie. ›Habe ich denn Furcht?‹ Sie sagte laut:
»Ganz so, Fürstin. Aus Ihrer Vision wird Wirklichkeit, und es gehört nicht viel dazu. Ich gehe allein zu der Zusammenkunft, ich danke Ihnen, Marquis. Ein abgelegener, möglichst dunkler Ort, wo finden wir ihn? In der Tibergegend, denke ich; vielleicht beim Wechslerbogen. Herr Doktor, bestellen Sie mir die Männer.«
»Frau Herzogin ...«, stotterte Pavic. Die Cucuru verlor zum zweiten Male das Verständnis.
»Tu es nicht!« bat leise die Blà. Eindringlich wiederholte San Bacco:
»Herzogin, ich begleite Sie.«
»Gehen Sie hin, Herzogin!« so verlangte Lilian Cucuru, »und gehen Sie allein! Auch ich würde ganz allein hingehen!«
Sie sprang auf, sie dachte mit Leidenschaft an Nacht, Gefahr und Ende. Jener Mensch zu sein, der in der Ferne umgebracht ward, während es blitzte – sie hätte das für ein Glück gehalten. Tamburini belästigte sie empfindlicher als sonst. Es wurde Frühling, und seine Säfte machten ihm zu schaffen. Tragisch gestimmt in gewitterschwerer Sciroccoluft, empfand Lilian vorübergehend als tötende Lasten die Gemeinheit, auf Kosten der Herzogin von ihrer Mutter ausgeübt, und die Unkeuschheit des eigenen Lebens. Sie wurde von Neid zerrissen beim Anblick der Blà, die mit gutem Gewissen dieser Frau die Hand hinstrecken konnte. Die ihrige zuckte, und wenn die Herzogin sie ergriffen hätte, vielleicht hätte Lilian, von einem Krampf erlöst, schluchzend vor Dankbarkeit und besinnungslos eine Menge störender Geständnisse gemacht.
Doch nahm die Herzogin raschen Abschied.
Eine halbe Woche später fuhr sie zu ihrem ungewöhnlichen Stelldichein. Es schlug ein Uhr, die Stunde war schwarz und regnerisch. Sie verließ ihren Wagen bei Piazza della Verità, am Flußufer. Der Tiber spülte trübe, langsame Fluten unter der einzigen Wölbung der zerbrochenen Brücke hinweg, wie durch einen versunkenen Triumphbogen. Die Herzogin stieg drei Stufen hinab, der Platz war weit und leer, verwahrlost und schlecht beleuchtet. Sie überschritt ihn mit einem Entschluß; im wankenden Geplätscher seines Brunnens lag er seltsam dumpf, wie verbannt aus dem Leben, in eigener Luft, der ihre Schritte erstickte. Die Gebäude umstanden ihn als Märchen einer Nacht, und höchst geheimnisvoll. Warum schimmerte der Vestatempel so schlank und still? Niedrig wie für den Besuch alter Zwerge hockte die Kirche neben ihrem langen, greisenhaften Glockenturm. Das Haus des Rienzi spreizte sich, abenteuerlich geziert. Um seine Schwelle huschte es; Pavic, der noch lärmte, begab sich zu einem Bruder mit längst verhalltem Geschrei. Vor dem Kirchenportal, und höher als sein Dach, reckte sich Tamburini;