Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann страница 40
Sie richteten sich auf, sahen einander an, bezwungen und traurig, und schlichen zur Seite. Einer wandte sich.
»Es ist gut, Mütterchen, wir gehorchen.«
Und sie tauchten langsam in das Dunkel. Sie sah ihnen nach. Plötzlich, ohne Nachdenken, sagte sie:
»Kommt zurück!«
Sie löste ihr Haar mit zwei tapferen Griffen. Sie hielt es in den Händen, es entfloß ihr, lang und schwer. Da fiel ihr die Cucuru ein. ›Das ist der Schlußeffekt‹, dachte sie. ›Was für ein Theater!‹
Im nächsten Augenblick sagte sie: »Trotzdem«, und sie warf den beiden Seltsamen ihre schwarzen Flechten zu, wie vorher ihr Gold. Sie stürzten sich darauf, mit Lippen und Zähnen. Die Herzogin sah auf sie herab, erbleicht, den Kopf zurückgelehnt, wie aus der starren Höhe des Turmes, von dem nach dem Glauben dieser Geschöpfe ihr Haar herunterhing.
»Geht nun!«
Ihre Stimme drang matt in die mit Dämpfen von Sinnlichkeit erfüllten Köpfe. Sie fand sich überwältigt von einem Auftritt, den sie nicht überlegt hatte. Sie durchsuchte das Dunkel, ratlos und fast blind vor jäher Angst. Sie war nahe daran, um Hilfe zu rufen. ›Warum?‹ fragte sie, und gestand sich: ›Weil ich mich schäme.‹ Und dabei fühlte sie, daß sie diese sonderbare Feierlichkeit nicht hätte missen wollen.
Sie stampfte auf:
»Geht!«
Die beiden taumelten, erschraken und verschwanden. Sie wartete, abgewendet, bis sie allein war. Endlich erreichte sie, fast flüchtend und unterwegs ihr Haar zusammenraffend, ihren Wagen. Sie warf sich in eine Ecke und schloß die Augen, voll wilder Bilder, die sie schwindeln machten. Nach einer Weile fand ihr Finger im Winkel des Lides eine Träne.
Beim Kardinal erzählte sie alles, kühl und anschaulich. Dabei formte sich ihr erst der Vorgang; sie ergänzte ihn durch Züge, die nicht hätten fehlen dürfen. Sie waren grausam, und die Herzogin lächelte dabei nur noch zurückhaltender. Ehe sie die Hingabe ihres Haares eingestand, ward es ihr heiß zumute. Sie fügte rasch hinzu, die beiden Wilden hätten ihr mit den Zähnen große Stücke herausgerissen. Da sie gleichzeitig vor wütendem Eifer sich selbst in die Hände gebissen hätten, so sei das Blut ihr über die Haare geronnen. Man fand ihre Stimme vollkommen gefühllos. Die Blà zweifelte vorübergehend an ihr, die Cucuru fühlte sich unbehaglich.
Zu Hause in ihrer Vigne, über der duftenden Stille des Frühlingsgartens, bebte sie bei der Erinnerung an jene Nacht.
›Wer waren die beiden Seltsamen? Menschen und Freunde, die zu mir den Weg fanden und keine andere Bedeutung hatten als andere Menschen und andere Freunde?‹
›O nein, was ich damals sah, es muß ein Stück meiner eigenen Seele gewesen sein, mir unversehens entsprungen, rot, warm und pochend. Vor meinen Augen hat es sich geregt und gespielt, ein wunderbares Spiel, eine Maskerade, beängstigend und bezaubernd.‹
Sie blieb stehen und lächelte sich zu.
›Das hätte ich ihnen am Mittwoch sagen sollen! Aber du bleibst immer das Kind auf dem Felsenriff im Meer, – dein Leben lang, kleine Violante. Mit Monsieur Henry verspottest du Gott und die Weltgeschichte, und dann legst du dich an das Ufer deines Sees und träumst mit Farren und mit Eidechsen.‹
Man ließ sie träumen.
Am Abend nach ihrer erstaunlichen Erzählung blieb Monsignor Tamburini länger als sonst beim Kardinal. Seine Eminenz war angeregt und wißbegierig, er näherte einige Münzen dem Lichte der dreiarmigen Ampel und sah darüber weg.
»Mit der Gesellschaft, die wir uns für unsern Mittwoch geschaffen haben, bin ich recht zufrieden. Was wir soeben wieder gehört haben, war durchaus merkwürdig und unterhaltend. Aber nun sagt mir einmal, lieber Sohn, was Ihr mit diesen so liebenswürdigen Versammlungen für eine Absicht verfolgt. Ich gestehe, daß ich mich noch gar nicht darum bekümmert habe, warum Ihr eigentlich mit der schönen Herzogin Politik treibt. Mir selbst – Ihr wißt, wie ich genügsam bin – ist sehr an den schönen, alten Geldstücken gelegen, die sie mir verehrt. Aber Ihr, ein so wirklichkeitsliebender Mann ...«
»Eminenz, das Ganze ist ein Zufall, und mein Verdienst beschränkt sich darauf, daß ich ihn nicht ungenützt gelassen habe. Ich fand die Herzogin von Assy im Klostergarten zu Palestrina –«
»Wie ein Blümchen! Und Ihr brachet es mir, Ihr Guter!«
»Ich nahm sie mit – ursprünglich nur aus Spekulation, weil eine Herzogin von Assy der Kirche stets nützen kann. Ich dachte an eine Bekehrung der allzu weltlichen Frau, an ihr großes Vermögen, auch an eine interessante und nutzbringende Verbindung mit ihrem Geschäftsmanne, dem Baron Rustschuk ...«
»Ein großes Licht unter euch praktischen Leuten, nicht wahr?«
»Ein hochbedeutender Mann. All das Geld! All das Geld! ... Leider ist die Bekehrung der Herzogin unmöglich; ich mußte mich davon überzeugen. Diese Heidin verschließt sich der Gnade. Auch wurden ihre Besitzungen eingezogen. Ich gestehe, daß mich das anfangs gegen sie einnahm.«
»Ich begreife Euch, mein Sohn.«
»Dann aber erkannte ich, daß uns gerade die Konfiskation ihrer Güter die erfreulichste Aussicht eröffne, nämlich sie ihr wiederzugewinnen und dafür belohnt werden.«
»Sie ihr wiedergewinnen? Ihr müßt mir das Kunststück zeigen. Ich habe nicht genug Genie, es selbst zu finden, doch reizt es mich gewissermaßen.«
»Sehr einfach. Die dalmatinische Regierung ist erzürnt wegen der revolutionären Umtriebe, die im Namen der Herzogin von Assy stattfinden. Wir verhandeln also mit der Regierung wegen Unterdrückung der Revolten. Alles kommt auf den Preis an, den sie uns bietet. Nach Beruhigung des Landes muß man das Assysche Vermögen freigeben, es wird keinesfalls möglich sein, die Konfiskation aufrechtzuerhalten. Die Herzogin hat zu mächtige Verbindungen, ihr Kredit bei den Höfen ist größer als der des Königs Nikolaus ... Sie erhält alles zurück und zeigt sich natürlich gleichfalls gegen uns erkenntlich.«
»Belohnung von zwei Seiten! Ihr seid stärker, als ich dachte, Tamburini. Nur möchte ich noch wissen, weil ich's ganz kurios finde – wie Ihr's anstellen wollt, daß die Revolten aufhören.«
»Aber mir scheint ... da wir sie anzetteln, können wir sie auch aufhören lassen.«
»Das ist ... Das übersteigt, ich gestehe es, meine Voraussicht. Also man erregt Aufstände; die dalmatinischen Bischöfe, die Kirche – sagen wir: wir ...«
»Jawohl, sagen wir: wir.«
»Wir erregen in jenem Lande Aufstände, dann gehen wir zu den Machthabern und sagen: ›Gebt uns Geld, so hört es auf.‹ Das ist gut erdacht, mein Sohn. Und sollte es fehlschlagen, so war es darum doch eine höchst sinnreiche Sache.«
Der Kardinal kehrte bereits zu seinen Altertümern zurück. Eine Frage machte ihm noch zu schaffen.
»Solch ein gelungenes Spiel, wie nennt man es nur? Erpressung, vielleicht? Mir scheint, ja, Erpressung.«
Und er nahm die Lupe zur Hand. Tamburini entrüstete sich ehrlich.
»Es ist eine der heiligen Kirche durchaus würdige