Partnerschaft und Sexualität. Monika Röder

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Partnerschaft und Sexualität - Monika Röder

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zu sein, erscheinen dadurch in einem neuen Licht: Nicht der Mensch als Ganzes, sondern sein autonomes Nervensystem hat entschieden, dass in dieser Situation Kampf oder Flucht nicht möglich war.

      Die drei neuronalen Systeme sind hierarchisch organisiert: Der Mensch versucht zuerst unter Einsatz seiner sozialen Fähigkeiten zu vermitteln. Ist das wirkungslos, schaltet das vegetative Nervensystem um in die Mobilisierung und bereitet sich auf Kampf oder Flucht vor. Ist auch das erfolglos, so kommt die Immobilitätsreaktion. Der auslösende Reiz, der das Nervensystem autonom wie auf Knopfdruck von einem in den anderen Modus schalten lässt, wird als Trigger bezeichnet.

      Im Alltag sind wir häufigen stärkeren und schwächeren Triggersituationen ausgesetzt, in denen sich die Ebenen auch vermischen können. So kann es sein, dass das Soziale Kontaktsystem mit einer gewissen Aktivierung des Sympathikus zusammentrifft, etwa damit wir uns klarer ausdrücken oder besser durchsetzen können. Zwischen dem Sozialen Kontaktsystem und dem Sympathikus können wir relativ schnell und vielfach täglich hin und her navigieren. Einzig die Rückkehr aus einer intensiven Immobilitätsreaktion in den ventrovagalen Komplex, insbesondere bei traumatisierten Menschen, gelingt oft nicht spontan und benötigt therapeutische Unterstützung (Porges, 2018). Der Weg vom Shutdown ins Soziale Kontaktsystem führt dabei zwingend über das sympathische Nervensystem. Zuerst muss der Mensch mobilisiert werden, bevor echter sozialer Kontakt möglich ist.

      4.2 Neurobiologische Implikationen für die Sexualität

      Die neurobiologischen und endokrinologischen Prozesse der Sexualität zu untersuchen ist schwierig, weil das klinische Untersuchungssetting stark von der üblich gelebten Sexualität abweicht, sodass Intimität schwer aufgebaut werden kann. Aus diesem Grund werden neurobiologische Untersuchungen der Sexualität häufig an Tieren oder aus methodologischen Gründen nur an einem Geschlecht durchgeführt, woraus resultiert, dass der aktuelle Wissensstand auf diesem Gebiet noch eingeschränkt ist (Biedermann, 2018). Dennoch gibt es Befunde, die dabei helfen, sexuelle Funktionen und Funktionsstörungen besser zu verstehen.

      Die sexuelle Funktion bedarf einer feinen Abstimmung des autonomen Nervensystems. Hier greifen die Gegenspieler Sympathikus (Stresssystem) und Parasympathikus (Entspannungssystem) ineinander: Sexuelle Stimulation aktiviert zunächst den Parasympathikus, da insbesondere der dorsale Vagus die Geschlechtsteile enerviert. Das führt zur verstärkten Durchblutung der Genitalien und damit zum Anschwellen der Geschlechtsorgane sowie zur Lubrikation. Gleichzeitig aktivieren die sexuellen Reize aber auch den Sympathikus, was beispielsweise eine Erhöhung der Atemfrequenz und des Blutflusses nach sich zieht und die Ausschüttung von Noradrenalin und Testosteron bewirkt. Mit steigender Erregung kommt es zusätzlich zu einem Anstieg von Oxytocin und Östrogen (Biedermann, 2018).

      Während der sexuellen Aktivität verändert sich auch die Gehirnaktivität: So werden je nach visueller oder genitaler Stimulation unterschiedliche Hirnareale aktiviert. Mit steigender Erregung kommt es, kurz gesagt, zu einer nachlassenden Aktivität der Amygdala und des Präfrontalkortex – also des Alarmsystems und des bewussten Verstandes; beim Orgasmus werden beide Bereiche sogar weitgehend deaktiviert (Biedermann, 2018) und ältere Hirnteile übernehmen die Führung, d. h. wir »lassen uns fallen«.

      Um sowohl die Erregung als auch den Genuss zu steigern, ist die Bewegung des Körpers hilfreich: Bestimmte Muskeln arbeiten, während ihre Gegenspieler sich entspannen (Schiftan, 2019). Der Körper ist also im Mobilisierungsmodus und im Entspannungsmodus gleichzeitig. Das ist wichtig, denn für einen Anstieg von Genuss und Erregung braucht es das Zusammenspiel der beiden Nervensysteme: Nimmt die sympathische Aktivierung dabei überhand, so wird der Mensch leicht ablenkbar und seine Gefühle und Gedanken färben sich negativ. Übernimmt der Relaxmodus die Führung, ist die Aktivität zwar wohltuend und entspannend, die Erregung reicht aber nicht für einen Orgasmus.

      4.3 Frühe Prägungen und Auswirkungen auf das Beziehungsverhalten

      Aus der Säuglingsforschung wissen wir, dass das Gehirn seine neuronale Struktur über Spiegelprozesse in der frühen Kommunikation mit den Eltern bildet. Für die Bedürfnisregulation des Säuglings braucht es die Responsivität der Eltern und deren Fähigkeit, die Bedürfnisse des Kindes zu versorgen (Schore & Schore, 2008). Werden beispielsweise kindliche Bedürfnisse aufgrund einer depressiven Bezugsperson nicht gestillt, so reagiert der Säugling zunächst mit Regulationsversuchen und schließlich mit Rückzug. Die entstandenen Gefühle wie Hilflosigkeit, Ohnmacht oder Verlassenheit verursachen Bindungsverletzungen und werden im limbischen System wie körperlicher Schmerz verarbeitet und dauerhaft gespeichert (Eisenberger & Lieberman, 2004).

      Die frühen Interaktionsmuster des Säuglings werden als affektiv-motorische Programme im limbischen System gespeichert. Sie bilden den Prototyp internaler, handlungsleitender und in neuronalen Netzwerken gespeicherter Strukturen heraus und bilden somit die Vorlage für spätere Beziehungen (Trevarthen & Aitken, 2001). Nachfolgende Lebens- und Beziehungserfahrungen werden in die vorhandenen Strukturen einsortiert. Gibt es in den frühen Bindungserfahrungen beispielsweise keine angelegte Struktur für Wertschätzung, Liebenswürdigkeit oder Gesehenwerden, so kann ein unstillbarer Hunger danach entstehen. Positive Rückmeldungen können aber aufgrund der fehlenden Struktur nicht gehalten werden. So kann ein Mensch, der als Kind beispielsweise schlimme Erfahrungen aufgrund seines Aussehens gemacht hat, auch später Komplimente kaum annehmen. Die wohlwollenden Rückmeldungen fallen durch wie bei einem Fass ohne Boden.

      Reinszenierungen in der Partnerschaft: In Paarinteraktionen werden sowohl positiv-fürsorgliche Gefühle als auch bedrohliche Erfahrungen reaktualisiert und deren Erfüllung vom Partner ersehnt (Kachler, 2015). Das Nervensystem ist mit seiner Neurozeption ständig auf der Suche nach potenziellen Gefahren. Wird am Partner ein Verhalten wahrgenommen, das im sekundenschnellen Abgleich mit den gespeicherten Erfahrungen als Bedrohung erkannt wird, so schlägt das System Alarm. Auch wenn es sich dabei um Über- oder Fehlinterpretationen des partnerschaftlichen Verhaltens handelt, ist es evolutionsbiologisch sinnvoll sich zu schützen: Die Amygdala meldet lieber zehnmal falsch positiven Alarm, bevor sie eine gefährliche Situation übersieht. In der Paardynamik können so aber Missverständnisse und Streit entstehen.

      Die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung helfen, die Dynamik zwischenmenschlicher Kommunikation besser zu verstehen: Wenn ein Partner die Augenbrauen hebt, mit gereizter Stimme spricht oder eine Abwertung formuliert, so kommt diese Information per Neurozeption über die Sinnesorgane doppelt so schnell im limbischen System des anderen an als in dessen Großhirnrinde. Sind beispielsweise entsprechende Erinnerungen an Ohnmacht, Abwertung oder Verlassenwerden im emotionalen Gedächtnis vorhanden, so intensiviert sich die als bedrohlich wahrgenommene Reaktion und die körperliche Abwehrreaktion setzt automatisch ein. Kortikale Funktionen mit logischen Analysen haben dann nur noch begrenzte Möglichkeit, beruhigend auf das System einzuwirken.

      In chronischen Paarstreitsituationen ist die sympathische Aktivierung ein Automatismus, da zu oft die Erfahrung gemacht wurde, dass Diskutieren nichts bringt. Noch bevor eine bewusste Analyse zur Verfügung steht, wird das Kampf-/Flucht-System aktiviert bzw. ist daueraktiviert. Das Soziale Kontaktsystem, das zur Empathie befähigt, wird deaktiviert. Der Blick und das Denken werden eng; Klienten sprechen oft vom »Tunnelblick«. In einer Bedrohungssituation braucht es schnelle Entscheidungen, ob etwas richtig oder falsch ist, gut oder schlecht, bedrohlich oder nicht bedrohlich. Wurde mehrfach die Erfahrung gemacht, dass Kämpfen nichts nutzt und es kein Entkommen gibt, beispielsweise weil gemeinsame Kinder, ein Haus oder andere Abhängigkeiten vorhanden sind, so wird der dorsale Vagus aktiv. Es kommt zur Immobilitätsreaktion und Klienten berichten dann: »Mein Gehirn ist leer.«; Muskeltonus und Affekt flachen ab und es kommt zu Resignation, Dissoziation oder Depression.

      Die Neurobiologie liefert die biologische Verständnisgrundlage dafür, weshalb es in solchen Situationen notwendig ist, zuerst das Nervensystem zu beruhigen und damit eine Wende zu bewirken. Erst dann ist es wieder möglich, höhere Hirnareale

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