Puzzeln mit Ananas. Pascale Gmür
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Die erhöhte Lebenserwartung führt nach heutigem Wissensstand nicht zu längeren Phasen der Pflegebedürftigkeit. Aber es wird erwartet, dass es lange Phasen gibt, in denen der alte Mensch auf Unterstützung und Betreuung angewiesen ist.9 Vielleicht ist es morgens und abends notwendig, dass eine Pflegeperson hilft, die Stützstrümpfe an- und auszuziehen, doch tagsüber geht es in erster Linie um die Alltagsgestaltung mit sozialen Kontakten, Zuwendung, häuslichen Aktivitäten, Naturerlebnissen, mit sinnstiftenden Beschäftigungen. Dies sind nur einige wichtige Aspekte, welche die Betreuung umfassen sollte und die schon mit kleinen Gesten der Aufmerksamkeit beginnt. Familienangehörige leisten hier enorm viel, sind aber häufig ausgelastet. Eine privat bezahlte professionelle Betreuung können sich die meisten Menschen nicht leisten, weshalb viele zu früh und entgegen ihrem Wunsch in ein Alters- oder Pflegeheim ziehen müssen. Gute Betreuung bedeutet würdevolles Altern.10
Für Franziska Ryser und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen ist klar, dass in der Betreuung ein grosses Potenzial für die Spitex-Betriebe liegt, die vielerorts schon jetzt innovative Wege gehen und sich selbst um die Finanzierung von Angeboten kümmern, welche nicht im Leistungsvertrag aufgeführt sind. Franziska Ryser sagt: «Wir schaffen Betreuungsangebote, die unverzichtbar werden, und irgendwann ist die Zeit hoffentlich reif und die Politikerinnen und Politiker beschliessen, die Leistungen zu finanzieren.»
Die Spitex in Huttwil betreibt eine Tagesstätte, um Menschen, die während der übrigen Zeit von Angehörigen umsorgt werden, stundenweise professionell betreuen zu können. In der Tagesstätte arbeitet eine Fachfrau Betreuung, deren Beruf bei der Spitex noch selten zu finden ist. Franziska Ryser verdeutlicht mit ihrer Personalpolitik, wie wichtig qualifizierte Betreuungsarbeit ist. Die Geschäftsleiterin hat neben den Pflegepersonen und den hauswirtschaftlichen Mitarbeiterinnen auch zwei Sozialpädagoginnen für Klientinnen und Klienten, die psychiatrische Unterstützung benötigen, angestellt. Die Leistungen der Nichtpflegenden lassen sich bei den Krankenkassen über die Grundpflege abrechnen, weil sie eine pflegerische Ausbildung mitbringen. Nach Möglichkeiten, Betreuungsangebote zu schaffen oder bestehende zu erweitern, suchen in der Schweiz auch andere Spitex-Basisorganisationen.11
Wer arbeitet bei der Spitex?
Alle Frauen und Männer der Spitex benötigen neben ihrer grossen fachlichen Kompetenz eine ausgeprägte Begabung für den Umgang mit den vielen Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen. Bei der öffentlichen Spitex arbeiten vorwiegend diplomierte Pflegefachleute, Pflegehelferinnen, Fachangestellte Gesundheit sowie Haushelferinnen. Hinzu kommen die Fachleute in den Bereichen Betriebsleitung und Administration sowie viele Menschen, die eine Ausbildung oder ein Praktikum absolvieren. Bei einer Zunahme der Betreuungsangebote dürften Fachangestellte Betreuung und sozialpädagogisch qualifizierte Personen vermehrt in den Spitex-Teams zu finden sein.
Pflegende und hauswirtschaftliche Mitarbeiterinnen der Spitex sprechen vielfach von einem sozialen Beruf: Sie werden zu wichtigen Vertrauenspersonen, indem sie die Klientinnen und Klienten in der eigenen Umgebung kennenlernen, viel über ihr Leben und ihre Gewohnheiten erfahren, ihnen nahekommen und sie über eine längere Zeit begleiten. Die sozialen Aspekte machen den Beruf nicht weniger anspruchsvoll, sie bereichern ihn aber mit berührenden Begegnungen und Momenten, von denen die Menschen der Spitex oft erzählen.
Ruth Meyer
Diplomierte Pflegefachfrau HF, Spitex Thal (SO)
Von Weitem ist zu sehen, wo die Frühschicht begonnen hat. Hinter der nachtgrünen Wiese, im dritten Stock des höchsten Gebäudes, leuchtet ein Fensterband. Mitarbeiterinnen der Spitex Thal, einem Amtsbezirk des Kantons Solothurn, stimmen sich auf den Tag und ihre Touren ein. Das Wort «synchronisieren» ist da und dort zu vernehmen, inmitten der Begrüssungen und des munteren Austauschs von Erlebtem und Neuigkeiten. Die Daten von Computer und Tablet werden abgeglichen, unzählige elektronische Informationen müssen à jour sein, vor allem diejenigen der individuellen Pflegeplanung für die Klientinnen und Klienten. Ruth Meyer öffnet auf dem Tablet, ihrem ständigen Begleiter, die Morgentour und sieht, woran sie unbedingt denken muss: Sie hakt den Hausschlüssel von Frau Tobler12 an den Karabiner ihres Rucksacks und holt für Herrn Lanker die gefüllte Medikamentenbox aus dem Schrank. Alles weitere Material ist bereits vor Ort – würde unterwegs etwas fehlen, könnte es die Pflegefachfrau nicht einfach schnell im Büro holen gehen.
Im Tal zwischen den Höhenzügen des Solothurner Juras wohnen manche Menschen, die vorübergehend oder für unbestimmte Zeit auf Unterstützung angewiesen sind, weit auseinander. Die Region heisst Thal, ausgehend von Balsthal, dem Bezirkshauptort und Spitex-Stützpunkt. Der Leistungsauftrag für die ambulante Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner besteht für Balsthal und acht weitere Gemeinden: Aedermannsdorf, Gänsbrunnen, Herbetswil, Holderbank, Laupersdorf, Matzendorf, Mümliswil-Ramiswil und Welschenrohr. Bis zum kleinen Gänsbrunnen, das zuhinterst im Tal, auf der Nordseite des Weissensteinpasses liegt, sind es vom Spitex-Büro aus vierzig Autominuten.
Über dem Taleingang färbt sich der Himmel blaurot, als Ruth Meyer in ihr Auto steigt und zu Frau Tobler, der ersten Klientin, fährt. Sie ist um diese Uhrzeit bestimmt schon wach, kann jedoch nur mit Hilfe aufstehen, zu kraftlos sind ihre Beine. Anna Tobler ist 97 Jahre alt. Dank ambulanter Pflege lebte sie allein in Bern, bis ihre Tochter sie vor zehn Tagen zu sich holte und die Spitex Thal um Unterstützung für ihren Feriengast bat. Vorübergehend. Wie lange dieser Übergang dauern mag und wohin er führt, ist ungewiss. Zurück in die eigene Wohnung oder in ein Heim?
Ruth Meyer begleitet kranke und geschwächte Menschen, die sich aufgrund einer Veränderung neu orientieren müssen. Sie gehört zum spezialisierten, kleinen Übergangsteam, das gebildet wurde, weil einerseits die Spitäler die Aufenthaltszeiten verkürzen und andererseits die Patientinnen und Patienten möglichst bald nach Hause möchten. «Das sind Wechselwirkungen», stellt Ruth Meyer fest. «Die Spitäler entlassen Patienten nur deshalb frühzeitig, weil sie wissen, dass die Spitex die erforderliche Behandlung und Pflege weiterführt. Und wer selbst nach Hause drängt, kann nur gehen, wenn der nahtlose Wechsel zur ambulanten Pflege gewährleistet ist. Solche Überweisungen sind relativ häufig.» Im Übergangsteam arbeiten erfahrene diplomierte Pflegefachfrauen, «die sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn es viele Neuanmeldungen hereinschneit». Das bedeutet: Am Morgen meldet das Spital oder ein Hausarzt manchmal mehrere Personen an, die an diesem Tag entlassen werden und bereits am Nachmittag oder am nächsten Tag von der Spitex besucht werden sollen, zum Beispiel, weil die Wunde nach einer Operation versorgt werden muss. Ruth Meyer lernt tagtäglich neue Klientinnen und Klienten kennen. Sie informiert sich im elektronischen Dossier über die Krankheitsgeschichte und die ärztlichen Verordnungen, erfährt Wesentliches jedoch erst vor Ort im persönlichen Gespräch: Was braucht es von der Spitex, damit das Alltagsleben