Martin Fourcade. Martin Fourcade

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Martin Fourcade - Martin Fourcade

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Ich wollte all das auch kennenlernen, was Simon gerade erlebte, und diese Idee setzte sich in mir so fest, bis sie zu einer Art von Besessenheit wurde. Das ist zweifellos meine katalanische Seite: Wenn ich etwas wirklich will, habe ich einen Dickschädel. Ich muss bis zum Äußersten gehen, alles dafür tun, um es zu erreichen.

      In diesem Jahr gab es mit Jean-Guillaume Béatrix und Grégoire Jacquelin zwei Sieger bei den französischen Junioren-Meisterschaften. Beide trugen die Farben des Comité du Dauphiné und wurden von Thierry Dusserre trainiert. Ich landete in der Mitte des Klassements und hatte sicher Potenzial, war aber nicht auf ihrem Niveau. Um meine Leistung zu verbessern, gab es in meinen Augen nur eine Lösung: Mitglied ihrer Trainingsgruppe zu werden. Was bedeuten würde, den Pyrenäen den Rücken zu kehren und in die Alpen zu gehen, um dort wie Simon das Nachwuchsleistungszentrum in Villard-de-Lans zu besuchen.

      Ehrlich gesagt bin ich mir nicht mehr ganz sicher, was mich am meisten reizte: das unabhängigere Leben, fern von den Eltern, oder die Tatsache, dass das Comité du Dauphiné eine obligatorische Durchgangsstation war, um sportlich mehr zu erreichen.

      Ich wusste, dass ich in diese Elitegruppe aufgenommen werden konnte. Erstens, weil mein Niveau gut und für ein Expertenauge auch unübersehbar war, dass dieses noch verbessert werden konnte. Zweitens, weil ich der kleine Bruder von Simon Fourcade war und dessen Einstellungen und Leistungen für die ganze Familie sprachen! Ich hatte Thierry Dusserre gefragt, der mir seine prinzipielle Zustimmung gegeben hatte. Blieb nur noch die meiner Eltern …

      In der Mitte des Winters begann ich mit der Überzeugungsarbeit. Über Monate hinweg saß ich ihnen damit im Nacken, bei jeder Mahlzeit habe ich das Thema wieder auf den Tisch gebracht. Es war ein richtiger Kampf, mit ungewissem Ausgang: Sie waren der Meinung, dass es mir mit 15 Jahren noch etwas an emotionaler Reife fehlte, um fortzugehen, und sie waren sich auch der damit verbundenen finanziellen Opfer bewusst. Zwei Söhne im Hochleistungssportbereich, die weit weg von ihnen leben, ist für die Eltern kein unerheblicher Posten. Ich war nicht wirklich überzeugt, dass ich sie dazu bringen könnte, nachzugeben, aber ich hatte eine Strategie – Zermürbung. Diese habe ich systematisch angewendet. Ich ließ sogar eine Petition in der Familie unterzeichnen, um »befreit« zu werden!

      Gegen Ende des Frühlings haben sie sich schließlich gefügt. Ich glaube, dass es mein Großvater väterlicherseits war, der meine Mutter überzeugte, es mich versuchen zu lassen. Ich war gerade im Zimmer von Brice, als sie zu mir sagten: »Okay, du kannst gehen.« Ich erinnere mich an kein anderes Detail, ich glaube, ich habe nichts mehr gehört oder gesehen, außer dass mein Traum endlich wahr werden würde. Sofort rief ich Thierry Dusserre an – und los ging’s!

      Thierry lud mich zu einem Trainingslager Mitte des Sommers in den Cevennen ein, zusammen mit dem Rest der Gruppe. Die übrige Zeit jobbte ich bei der Wassersportanlage des Lac de Matemale – ich räumte das Material auf, half bei Reparaturen … Mein Chef war der Vater von jenem Thibault, der mich ein paar Jahre vorher noch vermöbeln wollte, aber inzwischen mein bester Freund geworden war. Die Vormittage hatte ich frei zum Trainieren, nachmittags arbeitete ich dann bis abends um 20.00 Uhr. Dann ging ich nach Hause oder feierte mit meinen Freunden.

      Eines Nachts nach einer Party mit Freunden waren Thibault und ich allein im Chalet seiner Eltern, das oberhalb vom See lag. Sie hatten den Schlüssel eines ihrer Autos auf dem Tisch liegen lassen, und wir konnten einfach nicht widerstehen … Also nahmen wir den Schlüssel an uns, um eine kleine Runde zu drehen. Natürlich hatten weder Thibault noch ich – wir waren beide 15 Jahre alt – einen Führerschein. Nach ein paar Kilometern kam es, wie es kommen musste: Wir fuhren gegen einen Baum. Und zwar mit voller Wucht. Es war ein Wunder, das keiner von uns verletzt wurde. Das Erste, was ich nach dem Schock zu Thibault sagte, war: »Scheiße, meine Eltern werden mich nicht mehr nach Villard gehen lassen!«

      Trotzdem habe ich meinen Vater angerufen, damit er uns abholt. Es war mein Glück, dass er das um den Baum gewickelte Wrack des Autos zuerst gesehen hat, bevor er mich anschreien konnte. Er muss rückblickend solch eine Angst gehabt haben, was uns hätte passieren können, dass er erst mal ruhig blieb. Doch am nächsten Tag ließ das Donnerwetter unserer Eltern nicht auf sich warten. Und natürlich mussten wir die Rechnung unserer riesigen Dummheit begleichen. Thibault hat den ganzen Sommer unbezahlt gearbeitet, um die Schulden bei seinen Eltern abzubezahlen. Mit mir zeigte sein Vater sich etwas gnädiger und behielt nur einen Teil meines Lohns ein … Dafür wurde uns nur eine überwachte Freiheit zugestanden – und zwar jedem für sich: Der eine ackerte vormittags, der andere am Nachmittag. Abends ausgehen durften wir kaum noch …

      So zog sich der Sommer in die Länge, bis auf eine kleine Pause für das Trainingslager in den Cevennen. Ich wurde gut aufgenommen und fand leicht meinen Platz in der Gruppe. Ich freundete mich recht schnell mit Jean-Guillaume Béatrix an, aber auch mit Marie-Laure Brunet, die wie ich aus Font-Romeu kamen.

      Mein Start in Villard im September gestaltete sich etwas komplizierter. Hier musste ich mich in der Gruppe erst zurechtfinden. Ich teilte mir ein Zimmer im Internat mit drei Abfahrtsskifahrern, und zum Glück war die Stimmung hier gut. Am Wochenende ging ich zu meiner Gastfamilie, Chantal und Bruno Dusser, die auch schon Simon beherbergt hatten, bevor er seine eigene Wohnung hatte. Unter der Woche war ich mit ihrer Tochter Marine in der Schule. Mit ihnen fühlte ich mich fast wie in einer Familie. Chantal kommt auch aus den Pyrenäen, und Bruno arbeitet bei Rossignol als Leiter des Skilanglaufbereichs. Wir lebten also in der gleichen Welt …

      Ich war nun ein Sportler unter vielen. Die Trainingseinheiten nahmen immer mehr zu, und ich machte gute Fortschritte. Nichts deutete darauf hin, dass ich dem Tod nur wenige Wochen nach dem Autounfall ein zweites Mal knapp entrinnen würde …

      Im Oktober fuhren wir mit dem ersten Schnee ins Trainingslager nach Alpe d’Huez. Thierry Dusserre hatte für uns eine Schießeinheit vorgesehen, aber die stürmischen Wetterbedingungen zwangen uns zum fluchtartigen Rückzug in eine Turnhalle.

      Wir mussten Schießbewegungen imitieren – leer, ohne Patronen im Magazin, als »Trockentraining«. Dabei arbeitet man an den Automatismen und an der Aufstellung: Laden mit geschlossenen Augen, es werden unermüdlich die Handgriffe wiederholt, die wir im Wettkampf ohne das geringste Zögern ausführen müssen.

      Ich erinnere mich daran, dass Thierry Folgendes sagte: »Stellt euch vor, ihr seid beim ersten Rennen des Winters, bei der Qualifikation für den Europacup, ihr kommt im Schießstand an, atmet durch, nehmt euer Gewehr, steckt das Magazin hinein, und wenn ihr bereit seid, schießt ihr.«

      Wir standen vor einer verspiegelten Wand, um unsere Position perfekt visualisieren zu können, in drei Reihen. Ich stand in der ersten. Hinter mir, leicht links, ein Mädchen aus der Gruppe. Auf Anordnung von Thierry nahmen wir unsere Gewehre, setzten das Magazin ein, legten das Gewehr an und schossen. Normalerweise hätten wir jetzt nur den Ton eines leeren Stoßes hören dürfen. Ein trockenes Klacken. Ich dachte an einen schlechten Scherz, als ich den Knall hörte. Aber als ich mit den Augen nach oben ging, sah ich den gesprungenen Spiegel vor mir. Etwas oberhalb vom Abbild meines Kopfes im Spiegel …

      Ich dachte sofort, dass ich Mist gebaut und eine Patrone in meinem Magazin vergessen hätte. Ich ärgerte mich schon über mich selbst, solch einen Fehler gemacht zu haben. Denn das Erste, was man beim Biathlon lernt, sind die Sicherheitsvorkehrungen bei der Handhabung einer Schusswaffe. Wenn man am Ende einer Trainingseinheit das Magazin herausnimmt, überprüft man, dass keine Patrone darin verblieben ist – dass das Schloss leer ist, wenn man es wieder schließt. Diese Handgriffe werden sehr schnell zu Automatismen, und unsere Trainer nehmen uns diesbezüglich in die Verantwortung. Ich dachte, dass ich mich falsch verhalten hätte, aber als ich das Schloss öffnete, war dort keine Patronenhülse. Der Schuss konnte sich also gar nicht aus meinem Gewehr gelöst haben. Ich drehte mich um. Das Mädchen hinter mir überprüfte gerade seine Waffe. Und

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