Von Casanova bis Churchill. Barbara Piatti
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Deinen letzten Brief mit Inschriften u Einlagen von den Geliebten, habe ich zu grosser Freude in Bern empfangen, wo ich eben ein Geschäft hatte bei dem Buchhändler Gessner, Sohn des berühmten, der eine Wieland, Tochter des berühmten, zur Frau, u Kinder, wie die lebendigen Idyllen hat: ein Haus, in welchem sich gern verweilen lässt. Drauf machte ich mit Zschokke und Wieland, Schwager des Gessner, eine kleine Streiferei durch den Aargau – Doch das wäre zu weitläufig, ich muss dich überhaupt doch von manchen andern Wunderdingen unterhalten, wenn wir einmal wieder beisammen sein werden. – Jetzt leb’ ich auf einer Insel in der Aare, am Ausfluss des Thunersees, recht eingeschlossen von Alpen, ¼ Meile von der Stadt. Ein kleines Häuschen an der Spitze, das wegen seiner Entlegenheit sehr wohlfeil war, habe ich für sechs Monate gemiethet u bewohne es ganz allein. Auf der Insel wohnt auch weiter niemand, als nur an der andern Spitze eine kleine Fischerfamilie, mit der ich schon einmal um Mitternacht auf den See gefahren bin, wenn sie Netze einzieht u auswirft. Der Vater hat mir von zwei Töchtern eine in mein Haus gegeben, die mir die Wirthschaft führt: ein freundlich-liebliches Mädchen, das sich ausnimmt, wie ihr Taufname: Mädeli. Mit der Sonne stehn wir auf, sie pflanzt mir Blumen in den Garten, bereitet mir die Küche, während ich arbeite für die Rückkehr zu euch; dann essen wir zusammen; Sonntags zieht sie ihre schöne Schwyzertracht an, ein Geschenk von mir, wir schiffen uns über, sie geht in die Kirche nach Thun, ich besteige das Schreckhorn, u nach der Andacht kehren wir beide zurück. Weiter weiss ich von der ganzen Welt nichts mehr. Ich würde ganz ohne alle widrigen Gefühle sein, wenn ich nicht, durch mein ganzes Leben daran gewöhnt, sie mir selbst erschaffen müsste. So habe ich zum Beispiel jetzt eine seltsame Furcht, ich mögte sterben, ehe ich meine Arbeit vollendet habe. Von allen Sorgen vor dem Hungertod bin ich aber, Gott sei dank, befreit, obschon Alles, was ich erwerbe, so grade wieder drauf geht. Denn, du weisst, dass mir das Sparen auf keine Art gelingt. Kürzlich fiel es mir einmal ein, u ich sagte dem Mädeli: sie sollte sparen. Das Mädchen verstand aber das Wort nicht, ich war nicht im Stande ihr das Ding begreiflich zu machen, wir lachten beide, u es muss nun beim Alten bleiben. – Übrigens muss ich hier wohlfeil leben, ich komme selten von der Insel, sehe niemand, lese keine Bücher, Zeitungen, kurz, brauche nichts, als mich selbst. Zuweilen doch kommen Gessner, oder Zschokke oder Wieland aus Bern, hören etwas von meiner Arbeit, u schmeicheln mir – kurz, ich habe keinen andern Wunsch, als zu sterben, wenn mir drei Dinge gelungen sind: ein Kind, ein schön Gedicht, und eine grosse That. Denn das Leben hat doch immer nichts Erhabneres, als nur dieses, dass man es erhaben wegwerfen kann. – Mit einem Worte, diese ausserordentlichen Verhältnisse thun mir erstaunlich wohl, und ich bin von allem Gemeinen so entwöhnt, dass ich gar nicht mehr hinüber mögte an die andern Ufer, wenn ihr nicht da wohntet. Aber ich arbeite unaufhörlich um Befreiung von der Verbannung – du verstehst mich. Vielleicht bin ich in einem Jahre wieder bei euch. – Gelingt es mir nicht, so bleibe ich in der Schweiz, und dann kommst du zu mir. Denn wenn sich mein Leben würdig beschliessen soll, so muss es doch in deinen Armen sein. – Adieu. Grüsse, küsse, danke Alle. Heinrich Kleist.
N. S. Ich war vor etwa 4 Wochen, ehe ich hier einzog, im Begrif nach Wien zu gehen, weil es mir hier an Büchern fehlt; doch es geht so auch u vielleicht noch besser. Auf den Winter aber werde ich dorthin – oder vielleicht gar schon nach Berlin. – Bitte doch nur Leopold, dass er nicht böse wird, weil ich nicht schreibe, denn es ist mir wirklich immer eine erstaunliche Zerstreuung, die ich vermeiden muss. ln etwa 6 Wochen werde ich wenigstens ein Dutzend Briefe schreiben.
Quelle: An Ulrike von Kleist (Brief Nr. 68). In: Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke, Band 4: Briefe von und an Heinrich von Kleist 1793–1811. Herausgegeben von Klaus Müller-Salget und Stefan Ormanns. Frankfurt am Main: © Deutscher Klassiker Verlag 1997, S. 305–307.
1814
Mary
Godwin &
Percy Bysshe
Shelley
London —
Dover —
Calais —
Paris —
Neuchâtel —
Aarberg —
Sursee —
Luzern —
Brunnen —
Luzern —
Laufenburg —
Rheinfelden —
Basel —
Breisach —
London
Blick auf Brunnen, im Hintergrund Rigi-Hochfluh. Hier wollten sich Mary Godwin und Percy Bysshe Shelley im Sommer 1814 niederlassen. Kolorierte Aquatinta, gezeichnet von Johann Jakob Wetzel (1817).
Ein stürmischer «vent d’italie» (Südwind) durchpflügte den See, schuf riesige Wellen und sog das Wasser in einem Wirbelsturm hoch in die Luft, von wo es wie heftiger Regen in den See zurückfiel.
Mary Godwin (1814)
«In der Nacht, die diesem Morgen voranging, da alles entschieden war, bestellte ich eine Kutsche, die um 4 Uhr bereitstehen sollte. Ich wartete, bis die Blitze und Sterne verblassten. Endlich war es 4 Uhr. Ich glaubte nicht, dass es uns gelingen würde: Sogar in der Gewissheit schien noch eine gewisse Gefahr verborgen zu sein. Ich ging. Ich sah sie. Sie kam auf mich zu. Es blieb uns noch eine Viertelstunde. Es mussten noch einige Vorkehrungen getroffen werden & sie verliess mich für kurze Zeit. Wie quälend erschienen mir diese Minuten. Es schien, als spielten wir mit Leben & Hoffnung. Wenige Minuten später lag sie in meinen Armen – wir waren in Sicherheit. Wir befinden uns auf dem Weg nach Dover.» Nein, das ist kein Romananfang, aber es klingt wie einer! Und ja, geschrieben sind diese Zeilen von einem Dichter von weltliterarischem Rang. Percy Bysshe Shelley (1792–1822) notierte sie am 28. Juli 1814 in den ersten Band eines gemeinsamen Reise-Tagebuchs, das er mit seiner blutjungen Geliebten Mary Godwin (1797–1851) führte (grün eingebunden, in Paris erstanden, als Zeichen für den Beginn eines neuen Lebens). Das Tagebuch, das heute noch so frisch und teilweise atemlos wirkt, als wäre es erst gestern geschrieben worden, macht uns zu späten Zeugen dieser Fluchtgeschichte.
Die noch nicht siebzehnjährige, ausserordentlich belesene Mary, ausgestattet mit einem messerscharfen Intellekt, und der 23-jährige Lyriker Percy, der aber bereits Ehemann und Vater war (um genau zu sein: Shelley lässt seine Frau Harriet, im dritten Monat schwanger und mit einem vierzehn Monate alten Baby, in England zurück), waren einander vor Kurzem erst verfallen. Selbst in der Phase des Kennenlernens kam es zu Szenen, die wie so vieles in dieser Geschichte erfunden anmuten: nämlich dass die Liebenden sich für ihre Rendezvous am Grab von Marys Mutter, der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, trafen.
Mary und Percy, das ist eine jener grossen Leidenschaften, die das Leben aller Beteiligten wie eine Naturgewalt umpflügen. Um diese Liebe leben zu können, mussten sie England verlassen – sie taten es im Bewusstsein, wohl nie wieder in die Heimat zurückzukehren (doch in diesem Punkt haben sie sich geirrt). In der Kutsche sass in jener Nacht noch eine