Von Casanova bis Churchill. Barbara Piatti
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Wir stiegen ans Land. Meine Knie zitterten. Es war mir zu Muthe wie einem furchtsamen Liebhaber, der zum erstenmahl sich der Geliebten nähert, um ihr seine Leiden zu erklären. Ich stieg ans Land, oder eigentlich ich sank darauf hin; denn am ersten Stein kniete ich unwillkührlich, und küsste die Erde. Ich ward über mich selbst verlegen, und verbarg diese Bewegungen vor den Leuten, die sie nicht verstanden, und selbst vor M[oltke], indem ich etwas zu suchen schien; denn die Vernunft, wenn sie auch gleich die Gefühle des gerührten Herzens billigt, erröthet doch über deren Ausdruck. Wir gingen durch eine kleine natürliche Allee, mit einem Weinberge auf der einen, und einem spiegelhellen Kanal durch die Wiese auf der andern Seite, herauf nach dem Meierhofe, dem einzigen Hause auf der Insel, das auswendig sehr einfach und vollkommen ländlich aussah. Hier trafen wir den Steuereinnehmer oder den Verwalter über dieses Paradies. Wir fragten ihn, ob wir die Nacht auf der Insel zubringen könnten; aber es hiess, es sey unthunlich, ohne Erlaubniss von dem Hospitalvorsteher, Herrn Tribolet zu Bern. Da es nun für uns weitläuftig und unpassend war, nach Bern zu laufen, um diese Erlaubniss zu holen, so versprachen wir ihm, alle Verantwortung auf uns zu nehmen, wenn er uns erlaubte da zu bleiben, und einen Brief an Hrn. Tribolet zu schreiben, der alles gut machen sollte. Der gute Mann gab endlich unsern inständigen Bitten nach. Unsere erste Frage war nun nach Rousseau’s Zimmer. Er führte uns dazu hinauf. Wir giengen vom Hofe eine ziemlich lange steinerne Treppe hinan, nach einem Gange, von dem wir zuletzt drei Tritte hinab durch eine Küche in Rousseau’s Kammer kamen, die kleinste und unansehnlichste in dem ganzen weitläuftigen Hause, die er aber eben ihrer Simplicität und abgesonderten Lage wegen sich gewählt hatte.
Ich weiss nicht, ob sein Schatten mir wirklich entgegen kam, oder ob es mir nur so schien; aber es war mir unmöglich, mit einem Sprung gerade hinein zu laufen. Es kam mir vor, als ob etwas mich fragte: Bist du Mensch? oder strebst du wenigstens ernstlich es zu werden? Ich blieb einige Sekunden auf der Treppe stehen, bis ich endlich mit einer gewaltsamen Anstrengung Muth fasste und hineingieng. Kaum war ich hineingekommen, und sein kleines Gypsbildniss, das auf dem Ofen stand, gewahr geworden, als Thränen mir so gewaltig aus den Augen stürzten, als wenn das Blut von meinem Herzen dahin geströmt wäre. Ich näherte mich ihm; – es war mir nicht länger ein Bildniss, es war er selbst – ich liess meine Thränen auf seine Füsse fallen. «Dein Geist ruhe über meinen Bestrebungen!» – war ungefähr der Inhalt meines Gebetes, die Summe meiner Gefühle.
Quelle: [Jens Immanuel Baggesen]: «Rousseau’s Insel oder St. Peter im Bielersee». Fragment aus Baggesens Reisen, aus dem Dänischen übersetzt. In: Neuer Teutscher Merkur (1795), S. 13–19.
1802
Heinrich
von Kleist
Paris —
Basel —
Bern —
Thun —
Bern —
Weimar
Thun mit einer Ansicht von Schloss, Aare und See. Farbkupferstich, gemalt von Friedrich Rosenberg, gestochen von Charles-Melchior Descourtis (um 1790).
Auf der Insel wohnt auch weiter niemand, als nur an der andern Spitze eine kleine Fischerfamilie, mit der ich schon einmal um Mitternacht auf den See gefahren bin, wenn sie Netze einzieht und auswirft.
Heinrich von Kleist (1802)
Von Heinrich von Kleist gibt es nur ein einziges Bildnis (siehe Porträt Seite 52), das uns eine ungefähre Ahnung davon vermittelt, wie dieser Wortmagier wohl ausgesehen haben mag, der Mann, der die Ausdrucksfähigkeit des Deutschen bis an die Grenzen des Möglichen getrieben hat. Es ist 1801 vom Maler Peter Friedel angefertigt worden und taucht auf praktisch jedem Buchumschlag, jedem Ausstellungsplakat, auf allem auf, was mit Kleist zu tun hat – eben weil es kein anderes gibt (um ganz präzise zu sein: ein zweites Porträt ist 1807 von einem Laien gemalt worden, es ist zwar ein visuelles Dokument, aber eben so ungelenk-dilettantisch ausgeführt, dass es fast wie eine Karikatur wirkt). Das Bildnis aus Friedels Atelier misst winzige 5,5 auf 7 Zentimeter. Kleist hat es seiner Verlobten Wilhelmine von Zenge geschenkt, bevor er im Sommer 1801 für längere Zeit auf Reisen ging. Und sie hatte ihm eins von sich mitgegeben, im selben Format. «Küsse mein Bild, Wilhelmine, so wie ich so eben das Deinige geküsst habe …», lauten Kleists Anweisungen aus der Ferne. So weit, so romantisch. Das Miniatur-Porträt zeigt einen scheuen, zerbrechlichen, aber irgendwie doch auch freundlich-verschmitzt wirkenden jungen Mann mit bubenhaftem Kopf – 24 Jahre alt war Kleist, als er Modell gesessen hatte. Aus seinen Zügen lässt sich vieles oder nichts lesen. Kleist selber war damit gar nicht zufrieden: «Mögest Du es ähnlicher finden als ich. Es liegt etwas Spöttisches darin, das mir nicht gefällt, ich wollte, er hätte mich ehrlicher gemalt – Dir zu gefallen, habe ich fleissig während des Malens gelächelt, u. so wenig ich auch dazu gestimmt war, so gelang es mir doch, wenn ich an Dich dachte.» Dieses kostbare Porträt, wie wahr oder unwahr es nun immer sein mag, wäre beinahe in einer Schublade in einem kleinen Häuschen in Thun für immer vergessen gegangen. Weshalb ausgerechnet in Thun? Das ist eine längere Geschichte. Und sie beginnt nicht am Thunersee, sondern in Paris.
Als Kleist im Juli 1801 in Paris ankam, ein ziellos Reisender, ohne festen Wohnsitz, ohne erlernten Beruf, praktisch ohne finanziellen Rückhalt, nur mit dem vagen Plan im Kopf, sein abgebrochenes Studium der Naturwissenschaften wieder aufzunehmen, fühlte er sich überfordert. Die Grossstadt wurde ihm zum Albtraum: «Ich gehe durch die langen, krummen, engen, mit Kot oder Staub überdeckten, von tausend widerlichen Gerüchen duftenden Strassen, an den schmalen, aber hohen Häusern entlang, die sechsfache Stockwerke tragen, gleichsam den Ort zu vervielfachen, ich winde mich durch einen Haufen von Menschen, welche schreien, laufen, keuchen, einander schieben, stossen und umdrehen, ohne es übelzunehmen, ich sehe jemanden an, er sieht mich wieder an, ich frage ihn ein paar Worte, er antwortet mir höflich, ich werde warm, er ennuyiert sich, wir sind einander herzlich satt, er empfiehlt sich, ich verbeuge mich, und wir haben uns beide vergessen, sobald wir um die Ecke sind […]», schrieb er an eine Freundin zwei Wochen nach seiner Ankunft.
Aus seinen Pariser Briefen schlägt einem auf fast jeder Zeile heftige Zivilisationskritik entgegen, und genau dort, in jenen dreckigen Strassen, entwickelte sich die Sehnsucht nach einem Leben auf dem Land – in der Schweiz! Diese Idee kam nicht einfach aus dem Nichts, sie hing eng mit den Rousseau’schen Idealen zusammen, vor allem mit Kleists gründlicher Lektüre der Nouvelle Héloïse (1761). In Clarens am Genfersee führt Julie, nachdem sie sich von der leidenschaftlichen, geheimen Liebe zu ihrem Hauslehrer Saint-Preux losgesagt hatte, ein ruhiges Leben im Kreis ihrer Familie, mit Gatte und Kindern. Es gibt dort keine Passionen, keine unstillbaren Wünsche, keinen Ehrgeiz, Glanz und Pomp werden verachtet, und alles Streben richtet sich auf die makellose Organisation des Landgutes, auf Felder, Garten, Haus (es sind, offen gestanden, sehr langweilige Passagen, in denen diese Freuden des Landlebens ausgemalt werden …). Wie dem auch sei: Kleist fühlte sich von solchen Aussichten offenbar sehr angesprochen und teilte seiner Wilhelmine die Pläne in einem Brief mit. Datiert ist er auf seinen Geburtstag am 10. Oktober 1801, denn just ab diesem Tag durfte Kleist ohne Vormund über sein Vermögen verfügen, sodass das «Schweizer Projekt» auch rein ökonomisch in greifbare Nähe rückte (dennoch musste er sich am Ende zusätzliches Geld von der Schwester leihen): «Was meinst Du, Wilhelmine, ich habe noch etwas von meinem Vermögen, wenig zwar, doch wird es hinreichen mir etwa in der Schweiz einen Bauernhof zu kaufen, der mich ernähren kann, wenn