Milieusensible Pastoral. Группа авторов

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Hier ist ein lange Zeit dominierendes Lebenskonzept grundgelegt, das sowohl den Glauben auslegt wie auch eine ganze Kultur hervorgebracht hat. Hier bildet sich der Mensch, der spezifisch Mensch ist, im Gegenüber zu Gott; der im Gegenüber zur Offenbarung des persönlichen Gottes Geborgenheit, Sicherheit und eine heilvolle Begrenzung findet. Wer wollte umgekehrt bestreiten, dass gerade die Optionenvielfalt, der programmatische Reichtum der individuellen Lebensweisen und Lebenswelten ein kaum zu überbietender Ausdruck dessen ist, dass jeder Mensch ein einzigartiger, individueller Gedanke Gottes ist, der auf individuelle Entfaltung drängt. Uniformität ist nicht das Kleid Gottes. Es kann doch gar nicht bunt und vielfältig genug sein. Und kann es eine herrlichere Repräsentation der Majestät und Größe Gottes geben als den Menschen, der seine Freiheit realisiert und sich zum Herrscher über alles macht?

      Und sosehr, wie ein anything goes, ein „lasst uns alles ausprobieren, sind wir nicht Herren über alles“ entgleisen kann, so sehr haben wir ja bereits die Erfahrung gemacht, dass und wie eine prämoderne Gestalt und Erschließung von christlichem Glauben auch entgleisen kann, etwa da und dann, wenn Normen Menschsein nicht ermöglichten und befreiten, sondern Menschen unterjochten und Abweichungen diskriminierten.

      – (Ad 2) Wenn biblischer Gottesglaube griechischer Metaphysik begegnet und diese aufnimmt, um sich zu entfalten, wird das Evangelium anders aussehen, als wenn die biblischen Zeugnisse im Rahmen einer letztlich nihilistischen Welt-Anschauung gelesen werden. Ein Glaube, der sich philosophisch in einem umfassenden, theologisch durchwirkten Zusammenhang fundiert, der Gott ontologisch als den über den Menschen stehenden und nicht von ihren Bewegungen getriebenen „unbewegten Beweger“15 begreift, kann dem Gottesglauben eine imponierende Geschlossenheit, Sicherheit, Geborgenheit geben. Der alles wissende, alles wirkende Gott ist dieser Welt omnipräsent, auch wenn wir ihn nicht in allem verstehen. Das Evangelium fasst sich dann etwa in diesem einen Zentralwort „Vater“ zusammen, von dessen providentieller Liebe wir umgeben sind.

      Freilich, was ist, wenn die Theodizeefrage nicht mehr einfach ertragen wird; wenn sie zum „Fels des Atheismus“ wird (Georg Büchner: Dantons Tod); wenn es nach Nietzsche ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit ist, für neuzeitlich-moderne Welterfahrung keinen Sinn mehr zu unterstellen16; wenn die Wahrnehmung des Leidens und der Ungerechtigkeit in dieser Welt überwältigend wird und die Mitte des Glaubens verdunkelt wird, weil man die metaphysischen Prädikate der Allmacht, Allwissenheit und Omnipräsenz mit genau diesem Leid und dieser Ungerechtigkeit nicht mehr zusammenbringen kann; wenn die Götter der Vernunft, der Wahrheit, der Gerechtigkeit gestorben sind, weil der Mensch sie missbraucht hat, weil er sie benutzt hat, um sich selbst zur Macht zu bringen, wenn also tatsächlich unter unseren Messern das Schönste und Heiligste gestorben ist, was der Mensch besessen hat,17 wenn – für viele Menschen – nicht mehr vorstellbar ist, wie anders als im Sinne des Machtmissbrauches bzw. ohne moralische Wertung formuliert: wie anders als zum Zwecke des eigenen Willens zur eigenen Macht von „wahr“ und „vernünftig“ gesprochen werden kann, dann stehen wir in einer nihilistischen Konstellation. Nihilismus ist nichts anderes als die Kehrseite eines Wahrheitspluralismus. Logisch ist universaler Wahrheitspluralismus universalem Falschheitspluralismus ja äquivalent. Wenn alles wahr ist (und nichts mehr falsch), dann ist nichts mehr wahr (im modernen und prämodernen Sinne der Auszeichnung einer Position vor anderen); dann gibt es ja nichts mehr, was einen Unterschied machen würde. Dann kann man ja auch alles prädizieren, Wahrheit so gut wie Falschheit.

      g) Milieudifferenzierte Kommunikation des Evangeliums

      Bisher haben wir uns nur an der sehr groben, wenn auch fundamentalen Unterscheidung von nicht kompatiblen, nicht aufeinander zurückführbaren oder aufeinander abbildbaren Basismentalitäten orientiert. Moderne, Postmoderne und Prämoderne liegen dem Sinus-Milieu-Modell als unterschiedliche Grundorientierungen auf der waagrechten x-Achse der Karte der Lebensweltsegmente zu Grunde. Es ist nur konsequent, wenn wir der Fragmentierung und Segmentierung unserer Gesellschaft noch präziser folgen und auf der Basis des Bisherigen nun die feinere Milieu-Unterscheidung in den Blick nehmen und fragen, was sie für die Kommunikation des Evangeliums bedeutet.

      Die vielleicht entscheidende und wichtigste Erkenntnis der modernen Lebensweltforschung besteht in der Einsicht, dass Kirche nur ca. zwei bis drei von zehn Milieus erreicht.18 Unter „erreichen“ versteht die entsprechende Sinus-Studie für die katholische Kirche aus dem Jahr 2005 nicht eine gelegentliche Berührung mit Glaube und Gemeinde, etwa aus Anlass der Teilnahme an einer Kasualie. „Erreichen“ soll in diesem Zusammenhang einen prägenden Einfluss auf die Lebensgestalt eines Menschen meinen. Die Sinus-Kirchen-Studien wirken auch deshalb so provozierend, weil sie empirisch erhärten, was viele zuvor vermutet oder unscharf erahnt haben: Je (post-)moderner ein Lebensstil ist, umso ferner steht er dem verfassten kirchlichen Leben vor Ort.19 D. h., Kommunikation des Evangeliums in postmodernen (im Sinne von nachmodernen, s. o.) Verhältnissen gelingt durchaus, aber eben nur für ein bestimmtes, eingegrenztes Klientel. Verschiedene Untersuchungen haben erhärtet, dass Menschen, die traditionsorientiert leben, Kirche, oder präziser formuliert: dem kirchengemeindlichen, parochial verfassten Leben von Kirche deutlich näher stehen und an ihm signifikant stärker partizipieren als Menschen, die eine moderne Grundorientierung verfolgen und dabei postmaterielle, kritische oder liberale oder auch emanzipative Werthaltungen einnehmen oder aber postmoderne Settings einnehmen: also multioptional orientiert sind, ein Leben in – modern gesehen – Widersprüchen nicht scheuen, sich antibürgerlich verstehen, dagegenleben, versuchen, in ihrem Leben Grenzen zu überschreiten, und ihr Leben als Experiment entwerfen.

      Kirche20 erreicht Menschen im traditionsorientierten, konservativetablierten und teilweise im Milieu der Bürgerlichen Mitte. Hier gelingt ihr Glaubenskommunikation. In anderen Milieus gelingt sie ihr sehr viel weniger bis gar nicht. Die kulturanthropologischen Grundlagen der Milieu- und Mentalitätsforschung legen einen Zusammenhang nahe, der sehr einleuchtend ist, aber für die missionarische Pastoral immense Konsequenzen hat. Milieu ist deshalb zum Schlüsselbegriff aktueller Lebensweltforschung geworden, weil Menschen sich vor allem in Gruppen Gleichgesinnter zusammenfinden und organisieren. Nicht eine nahezu grenzenlose Individualisierung bestimmt die Lebensstile der Menschen, sondern eine überschaubare Gemeinschaft von Menschen, mit denen einen gemeinsame Überzeugungen, Gewohnheiten, Vorlieben, materielle Möglichkeiten und Bildungsvoraussetzungen verbinden. Konkret äußert sich das in einer sehr ähnlichen Ästhetisierung des Alltags: in einem Musikstil, der verbindet; in Freizeitaktivitäten, die man teilt; in einem Outfit, das man für cool, und genauso wichtig: in der Ablehnung von Kleidung, die man für mega uncool/doof/unangebracht etc. hält. Hier, in dem eigenen Milieu, fühlt sich das Individuum wohl. Hier muss es sich nicht ständig erklären. Hier trifft es in den „Mitbewohnern“ der eigenen Lebenswelt ein Stück weit auf sich selbst. In der Sache bedeutet das,

      – dass die Milieus zwar empirisch nicht scharf voneinander getrennt werden können, dass es Übergänge und lebensweltliche Überlappungen gibt,

      – dass ein Milieu aber gerade darin seine Funktion hat, dass es ein spezifisches, beschreibbares Profil hat,

      – dass dieses Milieu-Profil ebenso – einige – integriert, wie es – viele – abstößt, dass es ebenso inkludiert, wie es exkludiert, – dass Milieus deshalb attraktiv sind, weil sie ein Profil haben, das „zu mir“ passt und zu dem ich passe, dass wir uns genau deshalb in ihnen wohlfühlen,

      – dass Milieus deshalb funktionieren und eine so große, für die sozialwissenschaftliche Beschreibung unserer Gesellschaft unverzichtbare Bedeutung erlangt haben, weil diese Passungen Distinktionsgrenzen generieren: Ich fühle mich in einer Lebenswelt, mit einem bestimmten Lebensstil wohl; ich will mein Milieu so, wie es ist. Wer anders ist, soll bitte woanders bleiben; er (oder sie) wird aber vermutlich von selber merken, dass er (oder sie) hier nichts zu suchen hat, hier einfach nicht hinpasst. – Wir reden von unsichtbaren Grenzen, die mental gegeben sind, im Regelfall nicht rational reflektiert werden, sondern intuitiv gelten und unwillkürlich vollzogen werden. Wo über sie nachgedacht wird, ist das im Regelfall ein – typisch modernes

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