Milieusensible Pastoral. Группа авторов

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ebenfalls missionstheologische Aufgabe darin, das Evangelium in postmodernen Kulturen zu kontextualisieren. Dies bedeutet nicht, einer an sich gegebenen Größe noch einmal eine andere Gestalt zu geben. Vielmehr konstituiert sich das, was das Evangelium ist, indem es in eine bestimmte Kultur eingeht, sich in ihr inkarniert. Sehr schön lässt sich der sprachphilosophische Sachverhalt am hebräischen dawar exemplifizieren. dawar ist kein Wort, das einen theoretischen, abstrakt fassbaren Geltungsanspruch bedeutet, sondern eine Mit-Teilung, die immer sofort eine soziale Gestalt in dem Zusammenhang hat, in den sie (hin-)eingeht. Evangelium in postmodernem Kontext ist von daher nicht „dasselbe“ wie in modernen oder prämodernen Lebenszusammenhängen. Eine solche Vorstellung unterstellt ja die Möglichkeit, eine solche Mentalitäten übergreifende Identität abstrakt zu erfassen. Evangelium ist kein Container, der von einer Kultur in die andere umgesetzt werden könnte, vielleicht noch einmal einen anderen Anstrich bekommt. Um in einer Kultur zu wirken, muss es Teil dieser Kultur werden. Um die Kultur zu verändern, muss es so weit in sie eingehen, dass Kommunikation möglich ist, „auf Augenhöhe“, in den gegebenen Relationen. Ein wunderschönes, nicht zu überbietendes Beispiel finden wir in der Kommunikation des dreieinigen Gottes mit uns Menschen, wie sie in Phil 2,5 f beschrieben wird. Wir sollen dieselbe missionarische Gesinnung und Kommunikationseinstellung haben wie der lebendige Gott, der, um mit Menschen zu kommunizieren, selber Mensch wird; der seine Lebenswelt verlässt und in unsere eingeht, unsere Lebensbedingungen teilt. Die theologische Reflexionsaufgabe ist eine doppelte: Wir müssen demütig und selbstkritisch einsehen, dass das Konzept von Theologie und Evangelium, das in knapp 1700 Jahren im Westen entstanden ist, hoch valide ist, aber eben nicht das Evangelium und die allein mögliche Form von Theologie repräsentiert, sondern eine Gestalt des Evangeliums und eine spezifisch westliche Theologie. Wir dürfen und müssen daneben eine andere Gestalt von Evangelium gewinnen und eine alternative Form von Theologie für die Postmoderne entwerfen. Ihr Spezifikum besteht darin, dass sie – anders als eine herkömmliche Theologie vermöchte – unserer postmodernen Mentalität nicht nur kritisch gegenübersteht, sondern diese dadurch bereichert und verändert, dass sie in ihr Gestalt gewinnt. Die Ängste, Essentielles zu verlieren, sind begreiflicherweise groß, und sie sind nicht unberechtigt. Das Essentielle darf nur nicht mit dem verwechselt werden, was das Spezifische einer bestimmten Kulturwerdung ausmacht. So müssen wir sehr konkret darum ringen, ob ein bestimmtes philosophisches Setting, etwa ein metaphysisches Denken über Wahrheit und Vernunft, das diese nur im Singular denken kann, zur Kommunikationssituation des Evangeliums unbedingt dazugehört; ob wir das Evangelium nur in Form einer propositionalen Wahrheitsbehauptung weitergeben können – oder nicht. Falls Ersteres der Fall wäre, wären wir freilich in bestimmten mentalen und philosophischen Szenarien zur Sprachlosigkeit verurteilt und könnten diese nur noch bekämpfen. Hier gibt es einen immensen Klärungsbedarf.

      Mentalitätssensible Kommunikation des Evangeliums und Kontextualisierung desselben in postmodernen Zusammenhängen vollzieht sich dabei in Aufnahme und Widerspruch, im Andocken und Verändern. Das möchte ich an drei Beispielen andeuten:

      – (3) Postmoderner Horizontverlust

      Postmodernem Denken sind die metaphysischen Singularitäten, wie sie vor allem die griechisch-philosophische Tradition hervorgebracht hat, zerbrochen. Noch mehr, sie sind entlarvt als Versuche, sich selbst durchzusetzen und zur Macht zu bringen. Wir können die Wahrheit als einen alle verbindenden, allen vorgegebenen Horizont nicht mehr denken, und nicht nur das: Wir haben ideologiekritisch zu oft sehen müssen, wie sich hinter Wahrheitsbehauptungen in der Sache Selbstbehauptungen verbergen; wie das, was als die Vernunft oder das Vernünftige proklamiert wird, in der Sache eine sehr individuelle Bildung darstellt, mit dem ein Individuum sich und sein Denken durchzusetzen versucht. In diesem Kontext erscheint jede Proklamation der Wahrheit von vornherein als nur neuer Versuch, sich auf dem weltanschaulichen und religiösen Markt möglichst günstig zu platzieren. Wahrheitsbehauptungen können nur missverstanden werden als Selbstbehauptungen und Versuche, andere zu dominieren.26

      Darauf gilt es Rücksicht zu nehmen. Eine unmittelbare Kommunikation des Evangeliums in Form propositionaler Geltungsansprüche verbietet sich in diesem Umfeld, auch deshalb, weil sie notwendigerweise missverstanden wird. Wohl aber gibt es alternative Kommunikationsmöglichkeiten, die an das Neue Testament selbst anknüpfen können. Wer etwa Geschichten erzählt, verzichtet auf (zu) starke Kommunikation, lädt sein Gegenüber aber in eine Wirklichkeit ein, die durch die Erzählung selbst konstituiert wird, lässt ihn frei, sich zu identifizieren, und gibt dem Heiligen Geist die Chance, sich im Akt des Hörens im Bewusstsein des Hörenden zu imponieren. Auf diesem philosophisch nicht zwingenden und rhetorisch nicht aufdringlichen Weg kann sich das Evangelium eine ihm entsprechende, verbindliche Wirklichkeit schaffen, über deren Wahrnehmung dann auch wieder die soteriologischen Exklusivaussagen des Neuen Testamentes vom Individuum eingeholt werden können und plausibel werden. Postmoderner Wahrheitspluralismus verändert sich von innen heraus.

      – (4) Wahrheit und Toleranz

      Die Pluralisierung der Wahrheit und der Verzicht auf die Proklamation der einen Wahrheit begründet auf der einen Seite eine universale Toleranzforderung – ebenweil niemand beanspruchen kann, im Besitz der einen Wahrheit zu sein. Auf der anderen Seite ist darauf zu achten, dass genau dieser Wahrheitspluralismus so gedacht wird, dass er sich nicht selber in Widersprüche verwickelt und selbst aufhebt.27 Der Wahrheitspluralismus darf ja nicht selbst wieder zur exklusiven Wahrheit werden, nach dem Motto: „Die Wahrheit ist, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt, sondern viele.“ Oder, noch deutlicher: „Es gibt nicht nur eine, sondern viele Wahrheiten. Dass das so ist, das ist die eine Wahrheit, die für alle verbindlich ist.“ Und dann werden – vgl. das beliebte Fundamentalismus-Bashing – alle gejagt, die es überhaupt noch wagen, Wahrheitsansprüche zu formulieren. Solche Selbstwidersprüche heben den Begriff des Wahrheitspluralismus auf, und sie desavouieren die Forderung nach Toleranz, die auf ihm beruht. Toleranz gäbe es dann ja nur gegenüber denen, die nichts mehr (inhaltlich aus-)sagen oder genau das, was alle sagen. Das freilich wäre das Ende von echter Toleranz gegenüber dem, was wirklich anders, wirklich fremd ist.

      Philosophische und theologische Klärung wird darum im postmodernen Kontext darauf achten, dass genau die entscheidende Wahrheitsfrage nicht ausgerechnet postmodern positionell dichtgemacht und dass genau die so relevante Toleranzfrage nicht ausgerechnet in postmodernen Zusammenhängen restriktiv beantwortet wird.

      Positiv formuliert: Es ist eben offen, ob es die eine Wahrheit gibt oder nur eine Pluralität von Wahrheiten. Genau mit dieser philosophisch durch Argumentation erreichbaren Einsicht sind wir in der Mitte der Frage, in der postmodern das Evangelium Relevanz gewinnen kann. Inmitten eines nihilistischen, weil wahrheitspluralistischen Horizontes bestünde es in seiner postmodernen Gestalt gerade nicht primär in einer Wahrheitsproposition, sondern in der Proklamation, dass es überhaupt Hoffnung auf Wahrheit gibt und dass es Gründe und Anlässe dafür gibt, das zu glauben. Der postmoderne Horizont verschärft dann die Wahrheitsfrage entscheidend: Warum sollen wir überhaupt glauben, dass es Wahrheit gibt? Was macht uns Hoffnung auf Wahrheit? Warum gibt es eine Wahrheit und nicht vielmehr viele? Warum soll es überhaupt Grund geben, von der einen Wahrheit zu reden? Christlicher Glaube ist dann nicht ein Geltungsanspruch neben anderen (moderne Formatierung). Er ist „eine Wahrheit“ neben anderen, aber keine Wahrheit wie alle anderen – und das zeigt sich, hoffentlich.

      Wichtig ist, dass postmoderne Philosophie im Anschluss an Nietzsche nicht in den „Irrtum“ verfällt, Nihilismus als Position zu vertreten. Diesen Fehler, wieder positionell zu werden, dann eben doch für etwas „Wahrheit“ zu beanspruchen und damit selbstwidersprüchlich zu werden, macht zumindest Nietzsche nicht. Nietzsche als Vordenker und Prophet der Postmoderne (G. Vattimo28) behauptet nicht, dass es keine Wahrheit gebe. Er behauptet die Fraglichkeit der Wahrheit. Es ist fraglich geworden, ob und wenn ja warum wir von der Wahrheit im Singular reden dürfen; was uns dazu das Recht gibt, oder ob nicht alle Katzen grau sind. In einer solchen nihilistischen Szenerie spricht das Evangelium noch einmal ganz

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