Geist & Leben 2/2021. Verlag Echter
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Und doch liegt das Problem des gläubigen Menschen nicht so sehr in diesem Entsetzen, sondern vor allem darin, dass die allererste und bleibend gültige Geste Gottes über alles Geschaffene vergessen wird: sein Segen. Vom ersten Blick Gottes, der sah, dass es „sehr gut“ war (Gen 1,31), bis hin zu der Zusage des Auferstandenen „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20) liegt auf dieser Welt, auf den Menschen und auf ihrem Wachstum Gottes Segen. Erstaunlich, wie sehr der Segen heute unterschätzt wird! Wir können eben nicht auf einem spirituellen E-Roller mit heimlicher Verachtung im Herzen und großem Jammern auf den Lippen souverän über unsere Zeit hinwegfliegen und uns vermeintlich geistlich, d.h. billig aus ihr herausstehlen. Das wäre eine arge Illusion: „Es gibt Menschen, die, weil sie nicht ihrer Zeit angehören, meinen, der Ewigkeit anzugehören.“5 Es wäre auch nicht der Weg Gottes, der, ob es uns passt oder nicht, „diese Welt so sehr geliebt hat“ (Joh 3,16).
Hinter diesen Gott also, der sich definitiv auf die Welt zubewegt hat, sich mit seiner Menschwerdung in sie hineinbewegt hat, kann unser Glaube und darf auch eine Spiritualität heute nicht mehr zurück. Fahrrad-Spiritualität könnte also heißen: in diese Bewegung einschwingen, sich bewegen und bewegen lassen hin zu einer liebenden, nicht naiven, aber unmissverständlichen Zeitgenossenschaft – kein Rückzug aus den heute so extrovertierten Lebenswelten hinein in eine innere Sicherheits- und Komfortzone, in eine klar abgegrenzte, vertraute Umgebung ohne Risiken und Nebenwirkungen, in der man nicht mehr viel erklären muss, weil alle gleich denken und gleich fühlen, und in der man alles unter Kontrolle hat; kein Lagerfeuer, um das sich in dunklen Zeiten die kleine Herde versammelt, trotz oder gerade wegen Corona eng zusammenrückt und unmerklich die Kirche und die Welt und die gesamte Wirklichkeit auf dieses so warm flackernde Feuerchen reduziert. Der Herr hat nirgendwo schön asphaltierte Fahrradwege verheißen, die mit Null-Risiko-Schildern ausgewiesen wären: „Gefährlich ist das Leben“, schreibt Romano Guardini, „man kann ihm nicht trauen. Es ist untreu, sobald man unter Treue versteht, dass angebbare Sicherheiten dafür bestünden, es werde sich später verhalten wie gestern und heute.“6
Eine Spiritualität also tut not, die sich nicht scheut, auch die holprigen Wege der Erde und der Menschen einzuschlagen, und die sich unterwegs selbst von fremden Welten anreden lässt; eine Spiritualität, deren Bewegung und Lebendigkeit nicht darin besteht, sich einfach der Zeit anzupassen oder ihr hinterherzuhecheln, sondern sich ihr auszusetzen und in Kauf zu nehmen, dabei auch einmal auf die Nase zu fallen (das kann beim Fahrradfahren passieren); ab und zu mal einen Gang runter- oder auch raufzuschalten und sich immer wieder neu anzustrengen, im Gegenwärtigen Gott zu suchen, zu finden, zu bezeugen und … wiederum zu suchen. Mit einem Glauben, der die Erde liebt (K. Rahner) und der dem Leben dann doch traut, weil Gott es mit uns lebt7.
Damit das Fahrrad dennoch nicht in eine Schieflage gerät, braucht es eine weitere Grundhaltung.
Ein Glaube, der den Himmel liebt
Die Komplexität unserer Zeit und die multi-optionalen Möglichkeiten heute bergen nämlich auch die Versuchung, die Wirklichkeit auf einer rein horizontalen, immanenten Ebene anzusiedeln, ohne Tiefgang und ohne Höhenluft (höchstens mit ein paar exzentrischen Höhepunkten oder recht derben Tiefschlägen) – aber ohne Fenster zum Himmel. Christliche Spiritualität kann sich da nicht einfach einrichten und es sich bequem machen oder, schlimmer noch, mit ähnlich zivilen Reflexen satt werden an den eigenen vermeintlichen Sicherheiten. Im Gegenteil: „Der Herr hat uns die Unruhe und die Verantwortung ins Herz gebrannt, und man verrät den Himmel, wenn man die Erde nicht liebt, und man verrät die Erde, wenn man nicht an den Himmel glaubt, weil man der Erde Gewalt antut und nicht mit segnenden, helfenden Händen zu ihr kommt.“8 Das Johannesevangelium bringt diesen Anspruch so auf den Punkt: in der Welt – aber nicht von der Welt (vgl. Joh 17,11ff.). Vielmehr von einer anderen Welt oder besser: aus einem Geheimnis heraus, das nicht manipulierbar ist und allen Möglichkeiten immer schon vorausliegt und dennoch hineinreicht und hineinwirkt in diese Welt – und Leben und Wirken freilassend möglich macht.
Ein Glaube, der das Geheimnis und den Himmel liebt, ist die Antriebskraft, die uns daran hindert, auf unserem geerdeten Fahrradweg zu früh abzusteigen. Das ist uns eigentlich schon neutestamentlich eingeimpft. Der Brief an Diognet aus dem 2./3. Jahrhundert zeichnet ein erstaunliches Porträt frühchristlicher Fahrradfahrer(innen): „Die Christen unterscheiden sich von anderen Menschen weder dadurch, dass sie in einem bestimmten Land leben, noch durch ihre Sprache oder ihre Sitten (…). Und doch haben sie eine verwunderliche Haltung zum Leben: Sie wohnen in ihrer jeweiligen Heimat, aber wie Ausländer; (…) jedes fremde Land ist ihnen Heimat, und jede Heimat ist ihnen fremd (…). Sie leben in der Welt, passen sich aber der Welt nicht an. Sie leben auf der Erde, sind aber Bürger des Himmels.“9
So ließe sich in den Fahrradkorb einer heutigen Spiritualität ein Wunsch für die Weiterfahrt hineinlegen: dass wir etwas von dieser frühchristlichen Frische wiederfinden, die so selbstverständlich und unbekümmert zweispurig fuhr – auf der ökonomischen Spur des Heilshandelns Gottes in Welt, Geschichte und Menschenleben, und zugleich auf der eschatologischen Spur der großen Himmelshoffnung. Das wäre eine Haltung, die das ewige Leben auch, aber nicht nur bekennt und besingt, die es nicht nur im Jenseits, nach dem Tod verortet, sondern die sich heute beim Wort nehmen und sich engagieren lässt. Und die – auch wenn es ein bisschen anmaßend klingen mag – dem ewigen Leben hilft, schon jetzt diese Welt und ihre Erdenschwere zu „durchwohnen“ (M. Delbrêl).
Es braucht einen Glauben, der Erde und Himmel liebt, denn es kann nicht mehr angehen, nur einfach auf der einen Überholspur und damit auf Kosten der anderen zu fahren. Vielleicht sind wir ab und zu noch heimlich versucht zu meinen, dass es auch spirituell getrennt (nur der Himmel – nur die Erde) manchmal schneller gehen würde. Aber nur mit beiden im Gepäck, zeitgleich auf beiden Spuren unterwegs, kommen wir weiter und ans Ziel. Das setzt allerdings die Bereitschaft voraus, sich vom Leben berühren zu lassen – und zugleich die Fähigkeit, das Unaussprechliche, das ganz Andere ins Wort zu bringen; eine Dialogfähigkeit also.
Eine dialogische Beziehung zur Wirklichkeit 10
Entweder ist Spiritualität pneumatisch, wie ihr Name schon sagt, also wirklich vom Heiligen Geist bewegt, oder sie erscheint als ein verehrungswürdiges, museales Relikt der Vergangenheit. Wer unter dem Wirken des Hl. Geistes steht, versteht sich darauf, mit anderen zu sprechen und nicht nur mit sich selbst. Geistesgegenwärtig und geistbewegt werden wir zu Hörenden, die die Wirklichkeit überhaupt erst einmal als Anrede wahrnehmen11 und die sich dann dem An-Spruch der Welt stellen. Daraus erwachsen wesentliche Optionen:
– Das Vertrauen auf die liebende Zuwendung Gottes, die bleibende Gegenwart Jesu Christi, das Wirken seines Geistes heute (wer könnte theologisch aufzeigen, dass er das letzte Mal bei uns in den 1950er-Jahren gewirkt hätte?).
– Das Schöpfen aus der eigenen Tradition als einem kostbaren Erbe, aber auch die Bereitschaft, sich von der Gegenwart anfragen und herausfordern zu lassen, ohne ängstlich vor ihr zurückzuweichen.