Geist & Leben 2/2021. Verlag Echter
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Geist & Leben 2/2021 - Verlag Echter страница 5
14 Ebd., 42.
15 Vgl. T. Halík, Glaube, 264 [s. Anm. 10].
16 R. Guardini, Der Gegensatz, 40 [s. Anm. 6].
17 Ebd., 250.
18 Ebd., 252.
19 Ebd., 255.
Annette Schleinzer | Röderhof
geb. 1955, Dr. theol., Exerzitienbegleiterin, Ordinariatsrätin und Theologische Referentin des Bischofs von Magdeburg
Madeleine Delbrêl
Ein Interview mit Annette Schleinzer
Christoph Benke: Sehr geehrte Frau Dr. Schleinzer, Sie haben sich in mehreren Publikationen intensiv mit der Person und dem Werk Madeleine Delbrêls auseinandergesetzt. Was fasziniert Sie persönlich, immer noch und immer neu, an ihr?
Annette Schleinzer: Als ich Anfang der 1980er-Jahre anfing, mich mit Madeleine Delbrêl zu beschäftigen, bin ich oft nach Ivry zu ihren damals noch lebenden Gefährtinnen gefahren. Dort hat mich als erstes der einfache Lebensstil der Gemeinschaft fasziniert. Das Haus in der Rue Raspail Nr. 11 war ein „Haus der offenen Tür“. Wer vorbeikam, wurde mit großer Wärme und Herzlichkeit aufgenommen. Mir wurde sofort der Zugang zu allen Schriften Madeleines ermöglicht, die damals noch größtenteils unveröffentlicht waren. Dabei ist mir in diesen Texten und in den Gesprächen mit ihrer Gemeinschaft entgegengekommen, wie lebendig, wie zeitgemäß und zugleich wie geerdet ihre Spiritualität ist. Gedichte wie „Die Liturgie der Außenseiter“, „Fahrradspiritualität“ oder „Der Ball des Gehorsams“ spiegeln etwas von ihrer Frische und Originalität wider. Jenseits traditioneller pastoraler Konzepte ging sie zusammen mit ihren Gefährtinnen einen ganz eigenständigen kirchlichen Weg, um Gott mitten im atheistischen Milieu einer Arbeiterstadt „einen Ort zu sichern“.
Je mehr ich mich mit ihr und ihren Schriften beschäftigt habe und in verschiedenen Veranstaltungen mit anderen über sie ins Gespräch kam, desto bewusster wurde mir, wie sehr sie eine Gotteszeugin für unsere heutige Zeit ist. Sie legt „uns das Zeitalter nach dem Konzil“ aus, schreibt einer ihrer engsten Freunde, der Dominikaner und spätere Arbeiterpriester Jacques Loew.1
Dabei leuchtet für mich inzwischen eine frappierende Verwandtschaft mit Papst Franziskus auf. Ich halte sie für eine Prophetin einer „Kirche im Aufbruch“, wie sie dem Papst so sehr am Herzen liegt. Sie ist ganz buchstäblich „an die Ränder“ gegangen und hat ihr Leben mit den Armen geteilt. Wie Papst Franziskus war sie durch die Intuition ihres Herzens ein „Genie der Begegnung“.
Das ist es wohl auch, was bei vielen Menschen ihrer Umgebung über ihre Texte hinaus einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Ob das nun ein emeritierter Professor war, Jugendliche aus der Nachbarschaft, traumatisierte ehemalige Kriegsgefangene oder die zahlreichen Priester und Ordensleute, die mit ihr in Kontakt kamen: Dem Charme ihrer Persönlichkeit konnte sich kaum jemand entziehen. Mit ihrem südfranzösischen Temperament, ihrer Vorliebe für Rotwein und Gauloises hat sie Grenzen überwunden und Brücken gebaut. Sie war „eine Lebende“, wie eine Freundin einmal schrieb – eine lebensfrohe, Mut machende Frau, und dies trotz zahlreicher schwerer Schicksalsschläge und immer wiederkehrender Krankheiten. Was sie mir persönlich am tiefsten bedeutet, habe ich in dem Satz eines ihrer marxistischen Freunde wiedergefunden: „Wenn man Madeleine kennenlernte, lernte man etwas vom Antlitz Gottes kennen.“
Christoph Benke: Stoßen die Person und das Werk Madeleine Delbrêls heute noch im deutschsprachigen Raum auf Interesse? Wird sie in Frankreich rezipiert?
Annette Schleinzer: Ich nehme wahr, dass das Interesse an Madeleine Delbrêl im deutschsprachigen Raum seit einigen Jahren immer mehr zunimmt. Ihre Texte sind bei den verschiedensten Menschen, Gruppen und Gemeinschaften nach wie vor sehr gefragt und werden als Inspiration für die eigene Berufung und alltägliche Lebenshilfe empfunden. Das betrifft Familien und Einzelne genauso wie Ordenschrist(inn)en, und inzwischen auch evangelische Christ(inn)en. Ich weiß, dass nicht wenige engagierte Gläubige in ihr eine prophetische Gestalt für den Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland sehen.
In Frankreich gibt es inzwischen ebenso eine stärkere Rezeption, was sich z.B. darin zeigt, dass es sowohl in Paris als auch in der Diözese Lille Gruppen gibt, die gemeinsam nach einem Weg suchen, miteinander im Geist Madeleine Delbrêls zu leben.
Christoph Benke: Zuletzt haben Sie die Übersetzung der Biografie verantwortet. Auf welche Neuigkeiten sind Sie dabei gestoßen? Welche Zusammenhänge waren auch Ihnen so bisher nicht bekannt?
Annette Schleinzer: Neu waren für mich vor allem die Briefe, die Madeleine Delbrêl einige Jahre nach ihrer Konversion an ihren geistlichen Begleiter, Abbé Lorenzo, geschrieben hat. Diese Briefe wurden erst im Jahr 2004 gefunden und der damaligen Verantwortlichen ihrer Gemeinschaft übergeben. Sie spiegeln eine ganz innige Christusbeziehung wider, ohne die sich die Entscheidung für ihre Lebensform und viele ihrer späteren Texte in ihrer Tiefe kaum verstehen lassen. Neu war für mich auch, dass sich Madeleine und Frère Roger Schutz im Dezember 1959 in Taizé getroffen haben, um sich über das Thema Taufe auszutauschen.
Christoph Benke: Madeleine Delbrêl wollte nichts weiter als in Gemeinschaft „nach dem Evangelium leben“. Dennoch spielte in der Geschichte der Equipe Madeleine Delbrêls deren kirchenrechtliche Einordnung eine nicht unwesentliche Rolle. Gibt es dazu neue Erkenntnisse?
Annette Schleinzer: Madeleine Delbrêl bezeichnete ihre Gemeinschaft gern als „inclassable“: als kirchenrechtlich nicht einzuordnen. Auch wenn es ihr immer wichtig war, „echte Laien“ zu bleiben, denen die Taufe als Grundlage genügt, so gab es in ihrer Lebensform doch auch eine innere Verwandtschaft mit dem Ordensleben. „Wir sind ein lebender Widerspruch“2, schrieb sie einmal. Diesen Widerspruch auszuhalten, fiel einigen Mitgliedern ihrer Equipe nicht leicht. Zudem gab es auch von außen immer wieder Anfragen zu ihrem Status, gerade von Seiten ihrer Pfarrei.
Als 1947 die (faktisch damals bereits bestehenden) Säkularinstitute durch die Konstitution „Provida Mater“ kirchlich approbiert wurden, sahen viele ihrer Gefährtinnen eine Lösung darin, sich einem Säkularinstitut anzuschließen. Es kam dann tatsächlich zu Gesprächen mit dem Institut „Caritas Christi“. In der Biografie wird dieses für Madeleine sehr schmerzhafte Ringen ausführlich dargestellt; vor allem wird deutlich, wie sehr der spätere Pariser Kardinal Veuillot von Anfang an Vorbehalte gegen einen solchen Anschluss hatte. Er half dann der Gemeinschaft, sich ihrer ursprünglichen Berufung zu vergewissern.
Christoph Benke: Wie geht es der Equipe heute?
Annette Schleinzer: Die ursprüngliche Equipe existiert nicht mehr. Die letzte von Madeleines Gefährtinnen ist 2018 im Alter von fast 100 Jahren gestorben. Es gibt aber einen sehr engagierten Verein (Association des Amis de Madeleine Delbrêl),