Geist & Leben 2/2021. Verlag Echter
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In diesem Text wirbt sie eindringlich dafür, dass sich der Glaube in jeder Zeit neu verleiblichen muss. Sie war davon überzeugt, dass wir einen tiefen Wandel durchleben, in der sich die Gestalt von Glaube und Kirche verändert. Werden Traditionen und Strukturen hingegen als unveränderlich betrachtet und deshalb nur bewahrt, hält Madeleine das für eine „christliche Mentalität“, die der lebendigen Weitergabe des Glaubens im Weg steht15. Dann verkünden wir „nicht mehr die ‚Gute Nachricht‘, weil das Evangelium keine neue Nachricht mehr für uns ist: Wir sind daran gewöhnt, es ist eine alte Nachricht geworden. Der lebendige Gott ist kein ungeheures, umwerfendes Glück mehr; er ist etwas, was uns zusteht, der Hintergrund unseres Daseins. (…) Wir teilen nicht die ewige Neuigkeit Gottes mit, sondern sind Polemiker, die eine Lebensanschauung verteidigen, die überdauern soll. Somit wäre es unnütz, anderen nahe zu sein, um gehört zu werden, ihre Sprache zu sprechen, für sie präsent und lebendig zu sein, falls wir (…) nicht selber die vollständige Botschaft wiedergefunden hätten, die wir empfangen haben und weitergeben müssen.“16
Solchen Texten, die Madeleine Delbrêl Anfang der 1960er-Jahre geschrieben hat, entnehme ich, dass sie heute ähnlich reagieren würde wie zu ihrer Zeit. Ein weltanschaulicher Pluralismus oder eine „religionsfreundliche Gottlosigkeit“ bzw. auch eine Gottvergessenheit wären für sie vermutlich sogar noch eine tiefere Provokation „zur einfachsten und größten menschlichen Berufung: der Berufung für Gott, der Berufung zu Gott hin, der Berufung des glaubenden Menschen, sich selbst und alles, was existiert, an Gott zu binden“17. Und dies „ohne Propaganda und ohne Inkognito“18. Damit meinte sie, Taktiken und Werbestrategien zu vermeiden – zugleich aber nicht davor zurückzuschrecken, sich ggf. offensiv in das vielstimmige Konzert der Meinungen einzubringen. „Wir haben“, schreibt sie, „nicht nur als Christen zu leben, sondern Christus auch laut zu verkünden.“19
Was ihr bei alldem zu Lebzeiten das Wichtigste war, wäre es dann wohl auch heute: das Gebet, und dabei vor allem die Anbetung. Anbetung ist für sie mehr als eine Gebetsweise unter anderen. In der Anbetung ist von uns „nicht die Rede, da sie auf Gott als Gott hinzielt“20. Sie erscheint ihr als ein „Akt elementarer Gerechtigkeit“ gegenüber Gott und zugleich als „die größte Wohltat, die man der Welt erweisen kann“21. Es ging ihr darum, kontemplativ mitten in der Welt zu leben, Gott „einen Ort zu sichern“. „Vor allem der Anbetung überantwortet sein. (…) Erkennen, dass hier der eigentliche Akt der Erlösung geschieht; glauben im Namen der Welt, hoffen für die Welt, lieben im Namen der Welt.“22
Christoph Benke: Was würde Madeleine Delbrêl der Kirche in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz heute empfehlen? Ihre (fiktive) Eingabe an den Synodalen Vorgang – wie lautet dieser?
Annette Schleinzer: Dazu möchte ich ein Zitat von Madeleine Delbrêl anführen, das teilweise aus dem vorhin erwähnten Text zur Vorbereitung des Konzils stammt und das meines Erachtens an Aktualität nichts eingebüßt hat: „Der Schallraum, den das Wort des Herrn von uns fordert, ist unser ‚Heute‘: die Umstände unseres Alltags und die Bedürfnisse unseres Nächsten; die Ereignisse und Forderungen des Evangeliums, die von uns stets dieselben Antworten verlangen, aber in einer täglich erneuerten Gestalt.
Wir können nicht außerhalb von Raum und Zeit aus dem Wort des Herrn heraushören, was er heute von uns will. Unser Beitrag besteht darin, heute, in der heutigen Welt und in der heutigen Zeit darauf zu lauschen, was der Herr seit jeher für heute von uns will, für die heute lebenden Menschen, für unseren heutigen Nächsten, und dafür zu beten, dass wir es sehen und begreifen (…).
Wenn wir versuchen, einfach nur den Glauben zu bewahren, einfach nur Christen zu bleiben, verkümmert unser Glaube meist, und meist bleiben wir gerade dann keine echten Christen mehr. Denn der ‚Status quo‘ scheint uns, von nahem betrachtet, die tödlichste Einstellung zu sein – vielleicht, weil er in Bezug auf den Glauben sozusagen gegen die Natur ist.“23
Christoph Benke: Zuletzt bitten wir Sie noch um eine Leseempfehlung. Welches (im Handel derzeit erhältliche) Buch eignet sich als Einführung in Madeleine Delbrêls Leben und Werk?
Annette Schleinzer: Aufgrund von Rückmeldungen scheinen sich diese Bücher als Einstieg zu eignen:
– Madeleine Delbrêl, Gott einen Ort sichern. Texte – Gedichte – Gebete. Kevelaer: Topos-Taschenbuch 620 20 (Neuauflage);
– Annette Schleinzer, Madeleine Delbrêl. Prophetin einer Kirche im Aufbruch. Impulse für Realisten. München: Verlag Neue Stadt 22018;
– Rosemarie Nürnberg, Ergriffen von Gott. Exerzitien mit Madeleine Delbrêl. München: Verlag Neue Stadt (Neuausgabe 2017).
1 M. Delbrêl, Wir Nachbarn der Kommunisten. Diagnosen. Übers. u. Vorwort v. H. U. von Balthasar. Einsiedeln 1975, 9.
2 M. Delbrêl, J’aurais voulu … Textes à ses équipières 1950–1956. Vol. 2. Paris 2016 (= Œuvres complètes Tome XIV), 273.
3 M. Delbrêl, Indivisible Amour. Pensées détachées inédites. Préface de J. Sommet, Introduction de C. de Boismarmin. Paris 1991, 40.
4 G. François / B. Pitaud, Madeleine Delbrêl. Die Biografie. München 2019, 102.
5 Ebd., 103.
6 A. Schleinzer, Madeleine Delbrêl. Prophetin einer Kirche im Aufbruch. Impulse für Realisten. München 22018, 55.
7 M. Delbrêl, Auftrag des Christen in einer Welt ohne Gott. Vollständige u. überarb. Neuausgabe. Einsiedeln 2000, 41.
8 M. Delbrêl, Gebet in einem weltlichen Leben. Ausgewählt, übers. u. eingel. v. H. U. von Balthasar. (Einsiedeln 1974) Einsiedeln 51993, 102.
9 M. Delbrêl, Auftrag des Christen, 184 [s. Anm. 7].
10 M. Delbrêl, Wir Nachbarn der Kommunisten, 167 [s. Anm. 1].
11 M. Delbrêl, La question des prêtres-ouvriers. La leçon d’Ivry. Textes missionnaires. Vol. 4. Paris 2012 (= Œuvres complètes Tome X), 252.
12 E. A. Johnson, Der lebendige Gott. Eine Neuentdeckung. Freiburg i. Br. 2016, 53.
13 M. Delbrêl, La question des prêtres-ouvriers, 193.203 [s. Anm. 11].
14 M. Delbrêl, Athéismes et évangelisation. Textes missionnaires. Vol. 2. Paris 2010 (= Œuvres complètes Tome VIII), 119f.
15 M. Delbrêl, La femme, le prêtre et Dieu. Au cœur du mystère intime de l’Église. Textes missionnaires. Vol. 3. Paris 2011 (= Œuvres complètes Tome IX), 196f.
16 M. Delbrêl, Wir Nachbarn der Kommunisten, 237f. [s. Anm. 1].
17 M. Delbrêl, Auftrag des Christen, 142 [s. Anm. 7].
18 Vgl. A. Schleinzer, Madeleine Delbrêl, 97f. [s. Anm. 6].